Amtshaftung nach Terroranschlag?

JURISTENSTREIT. Ein Rechtsprofessor und ein Anwalt sehen nach dem Terroranschlag des 2. November in Wien gute Gründe, die Republik wegen Behördenversagens haftbar zu machen. Wenig überraschend sieht es die Finanzprokuratur anders.

 

Nachdem ein terroristischer Attentäter am letzten Abend vor dem neuerlichen Lockdown in der Wiener Innenstadt mehrere Menschen getötet und viele weitere verletzt hatte begann die polizeiliche und juristische Aufarbeitung der Ereignisse für österreichische Verhältnisse relativ rasch. Wieder einmal im Zentrum der Aufmerksamkeit und Kritik steht das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorbekämpfung (BVT). Der am schwersten wiegende Vorwurf gegen diese Behörde lautet auf Nichtbeachtung einer möglicherweise den Anschlag verhindernden Information des slowakischen Geheimdienstes. Dieser Dienst hatte das BVT darüber informiert, dass der spätere Attentäter versucht hatte, in der Slowakei Munition für ein Sturmgewehr einzukaufen. Diese Waffe wurde bekanntlich am 2. November mit tödlicher Konsequenz eingesetzt. 

"Täter war auf Bewährung frei und hätte nach dem versuchten Munitionskauf sofort wieder eingesperrt werden können"

Der Wiener Rechtsanwalt Dr. Karl Newole überlegt für zwei Personen, die an ihn herangetreten sind, eine Amtshaftungsklage gegen die Republik Österreich. Er geht davon aus, dass der (versuchte) Munitionskauf in der Slowakei eine Verletzung der Bewährungsauflage des Attentäters von Wien darstellt, die – wenn nicht ein erneutes Einsperren – zumindest eine U-Haft nach sich hätte ziehen müssen. Dr. Wolfgang Peschorn, Präsident der Finanzprokuratur, hält diesem Ansinnen entgegen, „dass Amtshaftung bedeutet und voraussetzt, dass staatliche Organe rechtswidrig und schuldhaft gehandelt haben.“ Dies sei momentan noch keineswegs klar. Hier müsse man die Ergebnisse der eingesetzten unabhängigen Untersuchungskommission abwarten. Aus seiner Sicht könne man dem BVT und der Polizei nur einen Vorwurf machen, „dass hier ein ausreichend großer Zeitraum zur Verfügung stand von Kenntnis des Munitionskaufes und der Wahrscheinlichkeit von Attentatsplänen oder einer Straftat“ sagte Peschorn im Ö1-Morgenjournal am 23. November.

 

Der Schadenersatzexperte Univ. Prof. Dr. Andreas Kletecka von der Universität Salzburg sieht die robuste Abwehrstrategie der Finanzprokuratur kritisch. Denn Präsident Peschorn selbst habe von „unentschuldbaren Fehlern“ der Behörden im Zusammenhang mit der Nichtweitergabe der Munitionskauf-Informationen gesprochen. Wenig begeistert ist er auch von der vom BVT gewählten Verteidigungslinie. Verharmlosungen wie „er hat die Munition ja nicht gekriegt“ oder „wir waren uns nicht sicher“ seien ebenso unangebracht wie die Ausrede, die Nachricht aus Bratislava sei nicht früh genug gekommen. Kletecka: „Der slowakische Geheimdienst hat am 16. Oktober, also zwei Wochen vor dem Attentat, den versuchten Munitionskauf nach Österreich gemeldet. Da wäre reichlich Zeit gewesen, einzugreifen.“

"Einschlägige OGH-Urteile zu einer Mordsache und einem Waffenkauf geben Anlass, auch im Zusammenhang mit dem Wiener Terroranschlag eine Amtshaftung des Staates zu sehen"

Die Aussicht auf eine erfolgreiche Amtshaftungsklage gegen die Republik begründet Professor Kletecka teile (1989 und 2001). Der Fall Ende der Achtzigerjahre trägt eine ähnliche Überschrift wie der Terroranschlag in Wien: Waffenkauf. Obwohl eine Frau mehrfach gedroht hatte, ihren Geliebten umbringen zu wollen und beim Inhaber eines Nachtklubs erfolglos versuchte, eine Waffe zu kaufen, versäumte es die Polizei, entsprechende Informationen des Nachtklubbesitzers an die Justiz weiterzugeben. Die Frau besorgte sich die Waffe anderswo und schoss auf den Geliebten, der mit schweren gesundheitlichen Dauerfolgen überlebte. In Fall zwei geht es um den Mord am Ende eines jahrelangen Ehestreits, durchgeführt von einem als gewalttätig bekannten und weggewiesenen Ehemann. Auch hier wurde die akute Bedrohungsinformation von der Polizei nicht an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet. Wenn man dem Staat grob fahrlässiges Handeln nachweisen könne sieht Schadenersatzexperte Kletecka gute Aussichten, vom Staat eine Reihe von Entschädigungen einzuklagen – von Unterhaltskosten für Kinder von Attentatsopfern oder Schockschäden bis zur Abgeltung gewöhnlicher Trauer.