ÖRAK-Präsident Dr. Rupert Wolff im Gespräch mit Anwalt Aktuell über Anzeigen von Staatsanwälten gegen Journalisten und Rechtsanwälte und die Herausforderungen der Justiz in der Corona-Krise.
Anwalt Aktuell: Die heimische Justiz kommt seit Monaten intern nicht zur Ruhe. Zuletzt wurde bekannt, dass Oberstaatsanwälte der WKStA Strafanzeige gegen eine Journalistin eingebracht haben, mit deren Berichterstattung sie nicht einverstanden waren. Wie beurteilen Sie diese Vorgänge?
Rupert Wolff: Die Strafanzeige von gleich fünf Oberstaatsanwälten der WKStA gegen eine Journalistin der Tageszeitung „Die Presse“ halte ich für eine ganz massive Grenzüberschreitung. Die damit befasste Staatsanwaltschaft Wien hat in weiterer Folge auch keinerlei Anfangsverdacht feststellen können. Was mich wirklich beunruhigt, ist die Tatsache, dass gleich mehrere Oberstaatsanwälte gemeinsam – unter Duldung der Behördenleiterin – durch ihr Vorgehen ein derartig bedenkliches rechtsstaatliches Verständnis offenbaren. Wir wissen, dass auch Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte immer häufiger von Disziplinar- und auch Strafanzeigen durch Staatsanwälte betroffen sind. Diese Tendenz macht mir große Sorgen, offenbart sie doch zumindest den Versuch der Strafverfolgungsbehörden, unliebsame, unbequeme Berufsgruppen einzuschüchtern. Dem werden wir uns entschlossen entgegenstellen und uns nicht unter Druck setzen lassen. Das habe ich auch Vizekanzler Werner Kogler, der in der Bundesregierung derzeit für die Justizagenden zuständig ist, in aller Deutlichkeit mitgeteilt.
Anwalt Aktuell: Außerdem wurden Vorwürfe eines langjährigen Ex-Kabinettsmitarbeiters im Justizministerium gegen zwei hochrangige Beamte rund um die Ibiza-Ermittlungen publik. Was läuft hier Ihrer Ansicht nach alles falsch?
Rupert Wolff: Ich verstehe natürlich, dass vor allem das mediale Interesse an internen Vorgängen der Justiz groß ist, jedoch kann ich hier mangels Kenntnis der konkreten Vorgänge keinerlei inhaltliche Bewertung vornehmen. Ich vertraue da auf die rechtsstaatlichen Prozesse und Mechanismen, die es gibt, um solche Dinge aufzuklären. Das Funktionieren des Staates ist zu einem großen Teil vom Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Institutionen des Rechtsstaates abhängig. Das sollte man immer mitbedenken. Vor allem in einer Krisensituation, in der wir uns seit Monaten befinden, halte ich es für entscheidend, das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in den Rechtsstaat nicht zu gefährden.
Anwalt Aktuell: „Vertrauen“ ist ein gutes Stichwort – aktuell mehren sich die Demonstrationen gegen das Corona- Krisenmanagement der Bundesregierung. Zuletzt wurde auch ein Verbot derartiger Demos ins Spiel gebracht. Wie beurteilen Sie diese Situation aus Sicht des Juristen?
Rupert Wolff: Die Versammlungsfreiheit ist ein Grundrecht. Einschränkungen in diesem Bereich sind sowohl juristisch als auch gesellschaftlich sehr heikel. Grundsätzlich glaube ich, dass unsere Demokratie so stark ist, dass sie ein sehr breites Meinungsspektrum – Absurditäten inklusive – aushält und das auch aushalten muss. Problematisch wird es bei Gewaltaufrufen oder Agitationen gegen den Rechtsstaat. Das ist dann eine Grenzüberschreitung, der man wirksam begegnen muss. Ganz allgemein sage ich aber: Lieber etwas mehr Freiheit als zu wenig.
Anwalt Aktuell: Bleiben wir noch bei Corona. Die Krise hält nach wie vor an und verschiedene Virus-Mutationen könnten – trotz beginnender Impfung – noch längere Zeit massive Einschränkungen für uns alle bedeuten. Welche Herausforderungen bringt das für die Justiz mit sich?
Rupert Wolff: Eine der großen Herausforderungen sehe ich darin, sich weiterhin bewusst zu machen, dass wir es bei dieser Krise mit all ihren Einschränkungen mit einer Ausnahmesituation zu tun haben. Die legistischen Dämme, die wir jetzt errichten, um der Virus-Flut Herr zu werden, müssen im Nachgang der Krise wieder sorgsam abgebaut werden, und wir müssen aufpassen, dass dabei kein Sandsack vergessen wird. Dass die Rechtspflege – und dazu zähle ich natürlich auch uns Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte – auch in der Krise funktioniert, haben wir bewiesen. Natürlich ist das mit beeinträchtigten Arbeitsbedingungen verbunden, die nicht immer angenehm sind. Wichtig ist aber, dass gerade in Krisenzeiten der Motor des Rechtsstaates nicht ins Stottern gerät und die Bürgerinnen und Bürger ihre Rechte durchsetzen können. Dafür werden wir uns weiterhin einsetzen.