Abschied vom Territorialitätsprinzip?

Mag. Rüdiger Schender

Vorsitzender des ÖRAK-Arbeitskreises Strafrecht

Dr. Mathias Preuschl

Vorsitzender des ÖRAK-Arbeitskreises

für IT & Organisation


PRIVATISIERUNG ZWISCHENSTAATLICHER RECHTSHILFE? Europäisches Parlament und Europäischer Rat planen eine Verordnung zur Herausgabe und Sicherung elektronischer Beweismittel. Kritiker des Entwurfs, unter anderem der ÖRAK, sprechen von Anlassgesetzgebung wegen dramatischer Zunahme von Cyberkriminalität und warnen eindringlich vor schwerwiegenden Folgen für den Grundrechtschutz.

Interview: Dietmar Dworschak

 

„Das Ziel dieser Verordnung ist es offensichtlich,ein Regelwerk zu schaffen, nach dem eine Behörde eines Mitgliedsstaats (Anordnungsstaat) von einem Diensteanbieter, der in einem anderen Mitgliedsstaat Dienstleistungen anbietet (Vollstreckungsstaat), verlangen kann, elektronische Beweismittel herauszugeben oder zu sichern, unabhängig davon, wo sich die Daten befinden (also sowohl im EU-Ausland als auch in Drittstaaten.“

So erklärt die ÖRAK-Stellungnahme die geplante E-Evidence-Verordnung der EU. Und weiter: „Es kommt nicht darauf an, wo sich der Server befindet, sondern wo die Firma ihren Sitz hat. Damit wird die Verpflichtung zum Transfer etwaige Auslandsdaten ins Unionsinland geschaffen.“

 

Abschied vom Territorialitätsprinzip

Hintergrund des Vorhabens ist der Gedanke, bei grenzüberschreitenden Straftaten im Internet zu einer „rascheren“ Aufklärung zu kommen. Man möchte sich den bisweilen mühsamen Weg ersparen, im Zuge eines Rechtshilfeverfahrens die Herausgabe bestimmter Daten zu erlangen, wie bisher üblich. Dr. Mathias Preuschl, Vorsitzender des Arbeitskreises IT & Organisation ist einer der Autoren der Stellungnahme des ÖRAK. Er erläutert das durch die E-Evidence-Verordnung entstehende Szenario, wenn der Staatsanwalt eines anderen Landes

beispielsweise bei einem Server-Betreiber in Österreich die Herausgabe von Daten verlangt:

„Das sind üblicherweise irgendwelche Techniker, die in ihrem Bereich sicher toll sind, aber keine Juristen. Die müssen jetzt, noch dazu unter enormem Zeitdruck eine Entscheidung fällen, welche Daten sie aufgrund der vorliegenden Anordnung herausgeben. Wenn sie jetzt zu viele Daten herausgeben stehen sie dann unter Umständen massiven Haftungsansprüchen gegenüber. Hier kann ein einziger solcher Fehler ein Unternehmen umbringen.“

 

Umgehung zwischenstaatlicher Rechtshilfe

Mag. Rüdiger Schender, Vorsitzender des Arbeitskreises Strafrecht, ist gemeinsam mit Dr. Preuschl Autor der sehr kritischen ÖRAK-Stellungnahme: „Derartige Anordnungen bedürfen in manchen Ländern einer gerichtlichen Bewilligung, in anderen Ländern kann das die Staatsanwaltschaft selber oder sogar die Polizei machen. In letzteren

Fällen kommt es dann zu überhaupt keiner gerichtlichen Kontrolle mehr. „Das halte ich für sehr sehr problematisch.“, so Mag. Schender. Originalzitat der Stellungnahme: „Insoweit wird der Vollstreckungsstaat in der Regel ‚übersprungen‘,was mit der Beeinträchtigung bzw. Verdrängung seiner Souveränität, aber auch seiner grundrechtlichen Pflichten verbunden ist.“ Rüdiger Schender warnt vor einem gefährlichen Paradigmenwechsel im zwischennationalen Rechtssystem der EU: „Es soll erstmalig unmittelbar anwendbares EU-Recht im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit geschaffen werden. Dafür gibt es nach meiner Ansicht keine Kompetenzgrundlage.

Hier sollen nämlich nicht Justizbehörden zusammenarbeiten, sondern die Justizbehörde des Anordnungsstaates wendet sich direkt an einen Privaten im Vollzugsstaat. Ein wesentliches Problem ist dabei der Grundrechtschutz.

Es geht hier um grundrechtrelevante Eingriffe. Für den Grundrechtschutz ist aber der Staat zuständig, nicht der Private. Wenn also der private Anbieter einfach Unterlagen übermittelt, was der Regelfall sein wird, dann erfahren

die Behörden des ersuchten Staates meist wohl gar nicht, dass hier eine Anfrage stattgefunden hat.“

 

Betroffene sind rechtschutzlos

Mathias Preuschl weist darauf hin, dass die Verhandlungen des EU-Parlaments zur geplanten Verordnung noch nicht abgeschlossen sind und dass mittlerweile viele Abgeordnete sehr kritisch zu dem Vorhaben stehen. Der derzeitige Zustand der europäischen Rechts-Zusammenarbeit in Sachen Internet-Nachforschungen müsste dringend verbessert werden: „Es gibt teilweise Staaten, die sich weigern, Ermittlungsanordnungen in englischer Sprache zu akzeptieren. Wie man sich jetzt vorstellt, dass irgendein Techniker bei „susiserver. at“ die englischsprachige E-Evidence-Verordnung aus einem anderen Land verstehen und umsetzen soll, darauf bin ich schon sehr gespannt. Das massive Problem, das ich hier sehe: „Es gibt keinen Rechtschutz für den Betroffenen im eigenen Land.“

 

Auch Anwaltsgeheimnis gefährdet

Auf einen weiteren heiklen Punkt der geplanten E-Evidence-Verordnung der EU kommt Rüdiger Schender zu sprechen: „Die Verordnung sieht zwar den Schutz von Verteidiger-Korrespondenz vor. Man ist darauf angewiesen, dass dies eine Behörde im ersuchenden Staat berücksichtigt. In Österreich ist – über den Verteidiger-Schutz hinaus

– das Anwaltsgeheimnis umfassend. Die Verordnung schützt beispielsweise die Korrespondenz eines Anwalts mit seinem Klienten in einer zivilrechtlichen Angelegenheit überhaupt nicht.“ Die ÖRAK-Stellungnahme zur

E-Evidence-Verordnung ist durchgehend negativ und schließt mit der Forderung: „Handelt es sich bei Österreich

um einen Vollstreckungsstaat müsste zumindest eine präventive Rechtskontrolle durch den Rechtsschutzbeauftragten – auf Grundlage des österreichischen Rechts – gewährleistet werden.“