Betreibsanleitung für Diktaturen

DER NEUE TOTALITARISMUS. Zwei renommierte amerikanische Politikwissenschaftler erklären in einem aufsehenerregenden Buch, wie die Abschaffung der Demokratie funktioniert: in Ungarn, in Polen, in den USA, in Venezuela, in Peru … Eine erfrischende Gute-Nacht-Lektüre für wachsame Österreicher.

 

Demokratie verschwindet nicht über Nacht. Sie wird schleichend abgeschafft, selbst wenn es auf diesem Wege sehr laut zugeht. Am Beispiel des Donald Trump zeigen die beiden Harvard-Professoren Steven Levitsky und Daniel Ziblatt, wie ein „scary clown“ brüllend durchs Land zieht, unfassbare Brutalitäten und derbsten Unsinn äußert, zum Präsidenten gewählt wird und Stück für Stück die Demokratie abmontiert. En passant vermöbelt er täglich die „Lügenpresse“, um seinem Volk einzuhämmern, dass nur ein Weg zur Wahrheit führt: die Befehlsausgabe per Twitter. Wären wir nicht Zeugen dieser verstörenden transatlantischen Szenerie, wir würden’s ja gar nicht glauben.

 

Der stille Putsch

Während Trump aus seiner demokratiefeindlichen Agenda nie ein Hehl gemacht hat und in aller Öffentlichkeit rabiat gegen Personen und Institutionen vorgeht sehen die beiden Autoren Levitsky und Ziblatt international eher die Tendenz, Demokratie auf leisen Sohlen abzuschaffen. Das Putsch-Modell (siehe Chile, Thailand, Peru, Pakistan, Türkei …) verliert an Attraktivität, stattdessen „beginnt der demokratische Rückschritt heute an der Wahlurne“ und: „Gewählte Autokraten halten eine demokratische Fassade aufrecht, während sie ihre demokratische Sub­stanz auflösen.“ Die neuen Anti-Demokraten verkaufen ihren stillen Putsch als „Stärkung der Demokratie“ und als „Effizienzsteigerung der Judikative“. Diese Vorgänge laufen derart geräuschlos ab, dass die Bevölkerung gar nicht bemerkt, wie weit der „Umbau“ bereits gediegen ist: „Das Politbarometer misst immer noch eine hohe Meinung über die scheinbar real existierende Demokratie, währenddessen diese bereits fast schon außer Kraft steht.“

 

Rezepte aus der Nachbarschaft

Das Buch „Wie Demokratien sterben“ richtet den Blick auch nach Europa, wo es speziell aus Polen und Ungarn jede Menge zu berichten gibt.

Anti-Demokraten gehen als erstes auf unabhängige staatliche Institutionen los, konstatieren die Autoren: „Am häufigsten werden Schiedsrichter gleichgeschaltet, indem man in aller Stille Beamte und andere, nicht der eigenen Partei verbundene, Mitarbeiter entlässt und durch regierungstreue Leute ersetzt. In Ungarn zum Beispiel besetzte Ministerpräsident Orban nominell unabhängige Behörden wie die Staatsanwaltschaft, den Rechnungshof, das Ombudsamt, das Zentrale Amt für Statistik und das Verfassungsgericht … mit seinen Parteigängern.“ Ein Blick nach Polen zeigt – Thema Verfassungsgericht – ein ähnliches Bild.

 

USA als Warnsignal

Die beiden Trump-kritischen Harvard-Professoren finden in ihrem Buch immer wieder Trost bei der Robustheit amerikanischer Institutionen und einzelner renommierter Individualisten, die sich entgegen der (republikanischen) Parteilinie gegen den Präsidenten stellen. Also alles nicht so schlimm? Nein, sagen die Autoren. Die Tendenz ist – auch international – für die Demokratie gefährlich: „Angesichts einer schwachen Wirtschaft, verbreiteter Skepsis gegenüber der Europäischen Union und des Aufstiegs einwanderungsfeindlicher Parteien gibt Westeuropa durchaus Anlass zur Sorge. Die jüngsten Wahlerfolge der extremen Rechten in Frankreich, den Niederlanden, Deutschland und Österreich haben Befürchtungen in Bezug auf die Stabilität der europäischen Demokratien aufkommen lassen.“ Fast schon verzweifelt klingt es im Finale des Buches „Wie Demokratien sterben“: „Frühere Generationen von Europäern und Amerikanern haben enorme Opfer gebracht, um unsere demokratischen Institutionen gegen äußere Bedrohungen zu verteidigen. Unsere Generation, die in einer Zeit aufgewachsen ist, in der die Demokratie für selbstverständlich gehalten wurde, steht jetzt vor einer anderen Aufgabe: Wir müssen verhindern, dass sie von innen her zerstört wird.“