„Da geht es um massive Grundrechtseingriffe“

Dr. Gerald Ruhri, 51

Strafverteidiger in Graz, verheiratet mit einer Anwältin, Sohn bereits als Konzipient in der Familienkanzlei. Gemeinsam mit Dr. Richard Soyer Gründer der Vereinigung öster­ reichischer StrafverteidigerInnen, Mitglied des Arbeitskreises Strafrecht beim ÖRAK.

STAMPIGLIENRICHTER. Die Causa BVT hat eine Diskussion über die Rolle der Journal- bzw. der HR-Richter ausgelöst. Der Grazer Strafverteidiger Gerald Ruhri sieht ein deutliches Ungleichgewicht zugunsten der mächtigen Staatsanwaltschaften.

 

Im Zusammenhang mit der BVT-Affäre haben Sie sich zur Rolle des Richters zu Wort gemeldet und ihn „Stempelrichter“ genannt. Wird Ihrer Meinung nach zu wenig auf das geschaut, was Staatsanwälte beantragen?

 

Dr. Gerald Ruhri: Es geht um Inhalte und nicht um den Begriff. Weniger bedeutende Dinge wie eine Sicherstellungsanordnung kann der Staatsanwalt aus eigenem erlassen. Bei schwerwiegenderen Angelegenheiten muss er eine Anordnung erlassen, die von einem Richter bewilligt werden muss. Das Problem liegt darin, dass es zu keiner originären Auseinandersetzung mit dem Akt kommt, sondern nur zu einem Abstempeln der staatsanwaltlichen Anordnung. Der Richter bekommt die Anordnung, in der beispielsweise drin steht „wir beantragen die Durchführung einer Hausdurchsuchung“, dann ist eine Begründung dabei, und der letzte Satz ist dann unter dem Stempel des Staatsanwaltes „das Gericht bewilligt die Anordnung aus den in der Anordnung genannten Gründen“. Darunter Name, Stempel und Unterschrift des Richters. Dadurch sind diese HR-Richter (HR steht für Haft und Rechtsschutz) zu dieser durchaus despektierlichen Bezeichnung „Stampiglienrichter“ oder „Hilfsrichter“ gekommen. Diese Begriffe kommen nicht von mir, die habe ich von Staatsanwälten über ihre richterlichen Kollegen gehört.

 

In der Causa BVT war es ja nicht nur Zeitdruck, sondern, wie man hört, eine lediglich mündliche Information der Staatsanwaltschaft in einem Telefonat, aufgrund deren der Journalrichter die Razziaerlaubnis gegeben hat. Er konnte hier ja nur glauben, was er gehört hat. Ist das der Rechtsschutz, den wir wollen?

 

Lassen wir aber das Sonderthema Journalrichter beiseite. Auch in der normalen Bewilligung sieht der Richter die Anordnung, liest diese mehr oder weniger genau durch und stempelt ab.

Damit ist die Sache dann aber bewilligt, dann wird festgenommen, dann werden Telefone überwacht, dann können Hausdurchsuchungen durchgeführt werden … da geht es um ganz massive Grundrechtseingriffe.

 

Wie sollte das geändert werden?

 

Dr. Gerald Ruhri: Ich habe dem kürzlich in den Ruhestand getretenen OGH-Präsidenten Ratz gesagt: „Nehmt’s den Richtern die Stampiglie weg!“ Die Richter müssen dazu gebracht werden, dass sie den Akt lesen und das, was beantragt wird, anhand des Aktes prüfen. Das ist ja im Grunde eine absurde Situation, so, als würde in der Buwog-Causa die Richterin die Anklageschrift unterschreiben. Auch in jedem anderen Schöffenverfahren würde niemand auf die Idee kommen, zu sagen, ich nehme die Anklage zugleich als Entscheidung.

 

Der OGH-Präsident wird’s nicht richten können. Wer also soll welche Maßnahme ergreifen?

 

Dr. Gerald Ruhri: Diese Stampiglien-Geschichte steht ja nicht im Gesetz. Im Gesetz steht: ein Beschluss muss Spruch, Begründung und Rechtsmittelbelehrung enthalten. Dass der „Stampiglienbeschluss“ zulässig ist geht schon auf eine Judikatur zurück, in der die Oberlandesgerichte und der OGH sagen, es macht keinen Unterschied, ob der Richter die Begründung selbst anfügt oder ob er sich einer schon vorgegebenen Begründung des Staatsanwaltes anschließt. Darüber kann man aber trefflich streiten, ob es keinen Unterschied macht, oder ob man sagt, das ist einfach zu wenig, das muss eine Begründung des Richters sein. Es hat in den letzten Jahren zahlreiche Änderungen im Prozessrecht gegeben. Es besteht kein Grund, nicht auch für diese wichtige Sache eine gesetzliche Klarstellung zu schaffen.

 

Neben den Stempelrichtern haben Sie als Strafverteidiger auch die Staatsanwaltschaften im Visier. Was passt Ihnen dort nicht?

 

Dr. Gerald Ruhri: Man muss einfach zur Kenntnis nehmen, dass das Ziel des Gesetzgebers darin bestanden hat, die Kompetenzen und Machtbefugnisse der Staatsanwälte enorm auszudehnen. Diese Entwicklung sieht man mittlerweile in ganz Europa, dass die Staatsanwaltschaft das Verfahren leitet. Ich bemerke, dass die Staatsanwaltschaften immer mehr Gefallen an den Ins­trumenten finden, die ihnen das Gesetz bietet. Ich beobachte schon, wie versucht wird, immer einen Schritt weiter zu gehen, und dass man ihnen dabei – damit meine ich auch uns Vertei­diger – zu wenig entgegensetzt. Auch bei Mandanten erlebe ich immer wieder, wenn wir eine Beschwerde einlegen, die Frage: ist das schlecht, ist der Staatsanwalt dann gereizt und schlägt er dann mit aller Kraft zurück? Meine Erfahrung ist gerade­ das Gegenteil. Wenn man sich mit guter Begründung zur Wehr setzt, überlegt sich der Staatsanwalt beim nächsten Mal, ob er es wieder macht oder ob er einen Schritt zurückgeht.

 

Sehe ich das richtig, dass sich Ihrer Meinung nach die Bedingungen für Strafverteidiger eher ungünstig entwickeln?

 

Dr. Gerald Ruhri: Ich bin gerne Verteidiger und fühle mich in meiner Funktion in unserem System sehr wohl. Es ist zwar Jammern auf hohem Niveau, wenn es allerdings um Rechtsschutz geht, kann das Niveau gar nicht hoch genug sein. Wenn ich die Lage mit Deutschland vergleiche, wo ich immer wieder mit Kollegen rede, haben wir eine viel bessere Ausgangssituation. Die StPO 2004, in Kraft getreten im Jahre 2008, war ein großer Wurf, hat erstmals auch Beschuldigtenrechte ganz klar definiert … Aber, wir laufen jetzt Gefahr, dass die Staatsanwälte sich immer mehr von den Möglichkeiten, die sie haben, zueignen. Wenn wir Verteidiger da nicht gegensteuern, dann ist das eine Entwicklung, die so nicht sein darf, weil sie dem Rechtsstaat nicht gut tut.