Fieberkurve des Rechtstaates

 

 

 

Dr. Rupert Wolff

Präsident des Österreichischen Rechtsanwaltskammertages (ÖRAK)

 

ÖRAK-Präsident Dr. Rupert Wolff stellt im Gespräch mit Anwalt Aktuell einen neuen Rechtsstaatlichkeitsindikator vor und gibt einen Ausblick auf den diesjährigen Wahrnehmungsbericht des ÖRAK.

 

Der ÖRAK hat gerade einen aufsehen­ erregenden Rechtsstaatlichkeitsindikator unter dem Titel „Die Fieberkurve des Rechtsstaates“ präsentiert. Was sind die Ergebnisse, was sind Ihre Ableitungen?

 

Rupert Wolff: Grundsätzlich freut es mich, dass wir mit unserer „Fieberkurve“ so viel me­ diale Aufmerksamkeit erzeugen konnten und ich bedanke mich bei allen, die uns geholfen haben, die enorme Bedeutung des Rechtsstaates damit zum Ausdruck zu bringen. In der Studie wurden elf Cluster mit jeweils drei Einzelindi­katoren von Experten zu einem Indikator zusammengefasst. Im Vergleich zur ersten „Fieber-messung“ im Jahr 2016 kann man sagen, dass das Fieber zwar leicht gesunken ist, aber da und dort jedenfalls „Therapiebedarf“ besteht.

 

Die meisten Probleme sehe ich im Bereich Grund- und Freiheitsrechte, wo eine stark negative Entwicklung zu verzeichnen ist. Die Einschätzung der Kollegenschaft, die wir in einer ergänzenden Umfrage erhoben haben, bestätigt diese Tendenz. Hier besteht also dringender Handlungsbedarf.

 

Gab es auch Bereiche, in denen man Verbesserungen feststellen konnte?

 

Rupert Wolff: Der Cluster mit dem besten Gesamtergebnis ist „Ordnung und Sicherheit“. Hier sind sowohl die Hardfacts als auch die Umfrageergebnisse recht positiv. Das ist zu begrüßen und gleichzeitig auch ein Zeichen dafür, dass es keiner zusätzlichen Verschärfungen bedarf.

 

Wie meinen Sie das genau?

 

Rupert Wolff: Ich meine damit, dass wir nicht dringend überall eine Videoüberwachung be­nötigen. Auch weitere polizeiliche Befugnisse sind definitiv nicht nötig. Im Gegenteil, ich sehe in der Gesamtschau viel eher die Notwendigkeit, die Grund- und Freiheitsrechte zu stärken um die nötige Balance halten zu können.

 

Werden Ihre diesbezüglichen Warnungen und Anmerkungen von der Politik gehört?

 

Rupert Wolff: Ja, ich glaube das wird immer stärker. Man hat weitgehend aufgehört beleidigt zu sein, wenn wir Kritik anbringen, sondern hört uns zu und nimmt unsere Einwände ernst. Wir unterstellen ja auch niemandem, dass etwas absichtlich schlecht gemacht wird. Die Rechts-anwaltschaft ist ein konstruktiver Partner, wenn es darum geht, für Verbesserungen einzutreten und diese auch herbeizuführen.

 

Am 10. Dezember, dem Internationalen­ Tag der Menschenrechte, präsentieren Sie den diesjährigen Wahrnehmungsbericht der Rechtsanwälte. Was sind dabei die Unterschiede zur „Fieberkurve“ und was lässt der Bericht erwarten?

 

Rupert Wolff: Die „Fieberkurve des Rechts­staates“ stellt die Entwicklung des Rechtsstaates dar. Sie zeichnet also das große Umfeld und fasst dieses in Zahlen und letztlich in einem Indikator zusammen. Der Wahrnehmungsbericht hingegen beschreibt detailliert einzelne Fälle, die uns von Rechtsanwälten berichtet werden. Wir messen sozusagen dem Rechtsstaat zuerst das Fieber und schreiten nun zur detaillierten Diagnose. Diese ergibt in vielen Bereichen Verbesserungspotenzial. Angefangen in der Straf- und Zivilrechtspflege bis hin zum Asyl- und Fremden-recht, wo nach wie vor eklatante Missstände zu beobachten sind. Ich halte es daher für absolut notwendig, mit unserem Bericht den Finger in die Wunde zu legen und derartige Fehlent­ wicklungen aufzuzeigen. Er ist unser bestes Werkzeug gegen Behördenwillkür und negative Entwicklungen.