Jackson Hearings als Probe für Midterm Elections?


HITZIGE DEBATTE. Wie die Nominierung einer Supreme Court Justice politisch hohe Wellen schlägt und bereits einen Vorgeschmack auf die zu erwartenden Themen der Republikaner bei den bevorstehenden Midterm Elections gibt.

 

Stephen M. Harnik

 

 

Auch im Jahr 2022 sind wir anscheinend noch nicht so weit, dass ohne sehr großen Aufruhr eine schwarze Frau als potentielle neue Richterin des Supreme Court nominiert wird. Ketanji Brown Jackson wäre tatsächlich die erste schwarze Frau, die diese Position innehätte und ihr Name ist (nicht nur, aber vor allem) bei Republikanern – die keine Gelegenheit auslassen, sie öffentlich zu diffamieren – in aller Munde. Die auch im Fernsehen übertragenen Anhörungen vor dem Senate Judiciary Committee bieten den wahlkämpfenden Parteien schließlich eine willkommene Gelegenheit, im Hinblick auf die Midterm Elections kommenden November Wähler auf ihre Seite zu ziehen.

 

Kritik an der Kandidatin

Geboren in Washington, D.C., zog Jackson mit vier Jahren gemeinsam mit ihrer Familie nach Miami, Florida, wo Jacksons Vater – ihr persönliches Vorbild – die University of Miami Law School besuchte. Nachdem sie selbst sehr erfolgreich an der Harvard Law School studiert hatte, gelang es Jackson auch eine der sehr begehrten Positionen als Law Clerk am Supreme Court, und zwar bei Justice Breyer, zu erhalten. Nach weiteren Stationen in der Justiz ist Jackson seit 2021 Richterin am US D.C. Court of Appeals. Interessanterweise antwortete Jackson auf die Frage, ob internationales Recht eine Rolle bei der Entscheidung verfassungsrechtlicher Fragen spiele „very limited“, im
Gegensatz zu Justice Breyer, der sich dafür ausspricht, bei sozialen und strafrechtlichen Problemen für Antworten einen Blick in das Recht ausländischer Staaten zu werfen (siehe dazu Anwalt Aktuell 06/21 – „Ein Blick ins Ausland“).

Auch wenn Top-Republikaner zu einem respektvollen Umgang mit der Kandidatin für das Richteramt aufrufen, ließ der eine oder andere seinem Unmut über die Nominierung Jacksons freien Lauf. Dies erinnert auch an die chaotischen Justice Kavanaugh Hearings im Jahr 2018, als dieser von der demokratischen Minderheit im Senat und im Ausschuss regelrecht abgeurteilt wurde. Am härtesten kritisiert, unter anderem von Senator Ted Cruz, wird die Kandidatin Jackson wegen ihrer positiven Einstellung zu CRT („Critical Race Theory“).

 

Systemischer Rassismus

CRT ist ein akademisches Konzept, das auf der Vorstellung beruht, dass Rassismus nicht nur ein individuelles sondern ein systemisches Vorurteil sei, welches in den Institutionen und der Politik des ganzen Landes tief verwurzelt sei; wie beispielsweise ein Strafjustizsystem, das nachweisbar weiße und schwarze Angeklagte unterschiedlich behandelt. Aufgrund des Konzepts der CRT soll verstanden werden, wie der systemische Rassismus die Gesetze des gesamten Staates geformt hat und wie sich diese Gesetze wiederum auf das Leben
nicht weißer Menschen ausgewirkt haben.

Vielen Republikanern ist CRT ein Dorn im Auge und stellt somit das Zentrum zahlreicher aktueller politischer Diskussionen (auch weit außerhalb der Hearings) dar. Konservative Politiker und Medien zeichnen dabei ein extrem verzerrtes Bild. So wird beispielsweise behauptet, dass mit Hilfe von CRT an den Schulen gelehrt würde, dass Weiße für alles, was je in der Geschichte des Universums falsch gelaufen sei, verantwortlich wären. Donald
Trump alarmierte in einer Rede vor seinen (nach wie vor zahlreichen) Anhängern mit den Worten:
„Getting critical race theory out of our schools is not just a matter of values, it’s also a matter of national survival.“ und empfahl „...to lay down their very lives to defend their country“ (gegen den Einfluss von CRT).

Trumps Aussage folgte auf die Verabschiedung eines aufsehenerregenden Gesetzes in Florida, mit welchem es Schulen und privaten Unternehmen verboten wird, Unterrichtsstunden und Schulungen in einer Weise abzuhalten, die bei Weißen „discomfort“ erregen würde. Laut dem republikanischen Governor Floridas, Ron DeSantis könnten Unterrichtseinheiten über die Geschichte der USA in Bezug auf die Ungleichbehandlung ethnischer Gruppen spaltend wirken.

Gegenstimmen sind nicht überzeugt davon, dass es der richtige Ansatz ist, Kindern nur die halbe Wahrheit über die Geschichte Amerikas zu lehren und sehen Gesetze wie diese als Angriff auf die Möglichkeit von LehrerInnen, die amerikanische Geschichte in ihrer ganzen Bandbreite mit ihren SchülerInnen zu besprechen. Immerhin stand
schon in der Verfassung der Vereinigten Staaten, dass Schwarze „3/5 Personen“ ohne Rechte wären. Dies wurde erst mit dem 13th, 14th und 15th Amendment als Konsequenz auf den Civil War behoben – ein Jahrhundert später herrscht noch immer faktisch keine Gleichberechtigung. Auf diesen Verfassungstext bezieht sich die CRT, wenn
sie davon spricht, dass Rassismus systemisch im US Rechtssystem verankert sei.

 

Gesetze gegen „spaltende Themen“

Nichtsdestotrotz haben seit Jänner 2021 zumindest 41 Staaten Gesetzesentwürfe vorbereitet, die gegen das Lehren von „spaltenden Themen“ vorgehen sollen, die bei SchülerInnen ein Gefühl von Unbehagen auslösen könnten. In 15 Staaten ist bereits ein „Anti-CRT-Gesetz“ in Kraft. Diese stellen auf eine Liste an „divisive concepts“ ab, die auf eine von Ex-Präsident Trump 2020 unterzeichnete – mittlerweile von Präsident Biden widerrufene –
Verordnung zurückgeht, die bestimmte Arten von „diversity training“ – das als Reaktion auf George Floyds Tod vielfach abgehalten wurde, um Rassismus und Vorurteile zu bekämpfen – in Bundesbehörden verbietet. Abgezielt wird in erster Linie auf CRT- und LGBTQ+-Themen. Im Bundesstaat New Hamsphire geht ein neuer Gesetzesvorschlag noch einen Schritt weiter und hat zum Ziel, LehrerInnen zu verbieten, eine Lehre oder Theorie zu vertreten, die eine negative Darstellung der Gründung und Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika
fördert. In Indiana und Missouri müssen Schulen Lehrmaterial zur Einsichtnahme den Eltern zur Verfügung stellen und Florida erlaubt Eltern, dass sie gegen LehrerInnen vor Gericht ziehen, wenn sie der Ansicht sind, dass ihre Kinder zu CRT in der Schule unterrichtet würden. Governor DeSantis unterzeichnete erst am 28. März das von Demokraten als „Don’t Say Gay-Bill” bezeichnete Gesetz, welches den Unterricht über Themen wie sexuelle
Orientierung und Geschlechtsidentität vom Kindergarten bis zur 3. Klasse verbietet.

Juristen hegen gegenüber Gesetzen wie diesen auch verfassungsrechtliche Bedenken. Beispielsweise wurde in Oklahoma (dem zweiten Bundesstaat nach Idaho, in dem ein solches Gesetz erlassen wurde) von der American Civil Liberties Union u.a.eine Klage eingereicht, wonach das dortige Gesetz die Rechte von SchülerInnen und LehrerInnen verletze, die ihnen nach dem First Amendment und 14th Amendment zustehen. Das First Amendment der Verfassung der Vereinigten Staaten schützt u.a. das Recht auf freie Meinungsäußerung. Das 14th Amendment besagt unter anderem, dass keinem Staatsbürger ohne ordnungsgemäßes Verfahren seine Rechte entzogen
werden dürfen und postuliert durch die Equal Protection Clause den gleichen Schutz aller, was insbesondere dazu beitragen soll, Diskriminierung und Rassentrennung zu beenden. Ein weiteres Problem stellt die vage und zu weit gefasste Formulierung des angefochtenen Gesetzes dar, welche die Türe zu einer willkürlichen und diskriminierenden Vollziehung öffnet. Generell zielen viele dieser Gesetze angeblich darauf ab, dass nicht „rassistisch gelehrt“ werden dürfe, zwischen den Zeilen kommt man aber oft zum Schluss, dass überhaupt nicht über Rassismus gesprochen werden darf. Auf die Klage in Oklahoma im Oktober folgte eine in New Hamsphire gegen das dortige „Anti-CRT-Gesetz“ im Dezember, und das dürfte erst der Anfang sein.

 

Republikaner geben Wahl-Vorgeschmack

Bei den Hearings zu Jacksons Ernennung als Supreme Court Justice wurde wohl keine Gelegenheit ausgelassen, die Demokraten als Extremisten darzustellen und damit Wähler abzuschrecken. So wurde z.B. Jacksons Rolle als board member einer privaten links-liberalen Schule in Washington, DC aufgegriffen, um dies als Angriffsfläche für „parental rights“ zu verwenden. Durch einen sogenannten „Woke Kindergarten“ und ein antirassistisches
Trainingsprogramm für weiße Haushalte in dieser Schule, würde laut der republikanischen Senatorin Martha Blackburn von Tennessee die Indoktrination von Kindern erfolgen. Das lässt natürlich bei Eltern, die sich ohnehin schon vor einer zu starken staatlichen Kontrolle in der Erziehung ihrer Kinder fürchten, alle Alarmglocken läuten.

Ob die Jackson Hearings schon das gesamte Strategiebuch der Republikaner für die Midterm Elections vorweggenommen haben, bleibt allerdings abzuwarten...

 

Ich möchte mich sehr herzlich bei meiner Praktikantin Anna Friedrich für ihre Mithilfe bedanken.


Stephen M. Harnik
ist Vertrauensanwalt der Republik Österreich in New York. Seine Kanzlei Harnik Law Firm berät und vertritt unter anderem österreichische Unternehmen in den USA.
(www.harnik.com)