Anwalt oder nicht Anwalt – das ist die Frage!


BERUFSZUFRIEDENHEIT. „Lehrjahre sind keine Herrenjahre“ ist eine Warnung, die im Anwaltsberuf noch häufig Gültigkeit hat, wie Konzipientinnen und Konzipienten quer durch die Kanzleigrößen berichten. Der mittlerweile als Unternehmensjurist tätige Markus Grundtner hat seine zwiespältigen Erfahrungen als Auszubildender in einem Buch zusammengefasst.

Eine Klarstellung zum Anfang: Das Buch „Die Dringlichkeit der Dinge“ von Markus Grundtner ist keine Abrechnung. Der Konzipient, den er (mit Ähnlichkeit zum Autor) beschreibt, kommt zwar laufend gehörig ins Schwitzen, taugt aber nicht zur Kühlerfigur am Panzerkreuzer der anwaltlichen Nachwuchs-Revolution. Es gibt schon einige Passagen, in denen man sich fragt, ob man sich so etwas gefallen ließe, grundsätzlich aber weht der Wind des Einverständnisses zwischen Berufsanwärter und Anwalt.

 

Beschreibung einer Entfremdung

Ungeduldige Leser wie ich gehen nach der Lektüre des Buchanfangs gleich einmal nach ganz hinten, um sich zu vergewissern, wie das Ganze endet. Auch bei diesem Buch hilft dies weiter, allerdings nur bedingt. Denn die Entwicklung des jungen Protagonisten ist interessant und wichtig. Nur wenn man sowohl den Zugang zum Job wie auch die dort langsam stattfindende Entfremdung genauer studiert, erkennt man, dass unterschwellig doch einige Kritik an den Ritualen der anwaltlichen Ausbildung stattfindet.

Im Gespräch vertieft Markus Grundtner sein Unbehagen: „Das Studium bereitet einen schlecht auf den Beruf vor.“ Ähnlich wie im Arztberuf, wo ebenfalls das Fach „Empathie“ fehle, werde man für den täglichen psychologischen Infight nicht geschult. Die Paragraphen könne bald einmal jemand erlernen. Viel schwieriger sei es jedoch, die
Tricks für jede Art von Verhandlung innerhalb und außerhalb des Gerichtssaales zu erlernen. Dazu komme, dass man während der Ausbildung meist mit verschiedenen Qualitäten von Lehrmeisterinnen und Lehrmeistern konfrontiert sei. Die größte Gefahrenzone für die Auszubildenden lauere aber in der jungen Kolleginnen- und Kollegenschaft: „Im Gefängnis sind es nicht die Wärter, die wehtun, sondern die Mitgefangenen“ erklärt Markus
Grundtner. Speziell in Großkanzleien herrschte ein ständiges Herumgerede: „Viele regen sich auf – und keiner sagt was!“ Man bespitzele sich gegenseitig und konzentriere sich auf den eigenen Vorteil.

Die anfängliche Euphorie des Berufsanwärters hält den Turbulenzen der Job-Wirklichkeit nicht stand, so viel sei verraten.

 

Die ideale Kombination

Am Ende des Buches bleibt offen, in welche Richtung es für den jungen Juristen weitergeht. Sicher ist nur, dass er den Weg des klassischen Rechtsanwaltes nicht fortsetzen wird, trotz aller guten Worte seines Mentors. Der Zweifel, der zum Vorschein kommt, bezieht sich nicht nur auf die Rahmenbedingungen des Anwaltsberufes, sondern auch auf die Möglichkeit, Recht tatsächlich durchzusetzen, und mit welchen Mitteln.

Für Markus Grundtner hat sich beruflich 2021 die schlechthin ideale Berufskonstellation ergeben: er wurde Unternehmensjurist bei der Wiener Staatsoper. Hier kann er seine während der Ausbildung erworbene umfangreiche Expertise im Arbeitsrecht in ein Umfeld einbringen, das ihn schon immer fasziniert hat. Seinen ersten Magistertitel erwarb er nämlich in Theaterwissenschaften. Er freut sich über einen „Arbeitgeber, mit dem ich mich voll identifizieren kann.“

Amüsiert berichtet der Autor davon, dass man ihm schon die Frage gestellt habe, ob sein Buch nicht eventuell „standeswidrig“ sei. Solche Rücksichten, wie auch jene, ob man als Konzipient in der Öffentlichkeit ein Eis schlecken dürfe, beschäftigen ihn jetzt nicht mehr.

Er nutzt die Gelegenheit, viel ins Theater und in die Oper zu gehen, überlegt sich bereits, wovon sein nächstes Buch handeln wird und erinnert sich gerne, dass ein Satz aus der Einführungsvorlesung von Heinz Mayer ihn dorthin geführt hat, wo er jetzt beruflich steht:
„Als Jurist kann man alles werden.“