„Wir wollen die Kanzlei für Nachhaltigkeitsrecht in Österreich werden“


GENERISCHES WACHSTUM. Seit einem Jahr beschäftigt sich die Boutique-Kanzlei Lindner Stimmler in Wien fokussiert mit der Nachhaltigkeit. Von der Windkraft über Kreislaufwirtschaft bis zur Lieferkettenrichtlinie wird eine breite Palette rechtlicher Beratung und Betreuung angeboten.

 

Interview: Dietmar Dworschak

 

 

Dr. Berthold Lindner:

ANWALT AKTUELL: Auf Ihrer Website, Herr Dr. Lindner, lese ich sehr oft das Wort Nachhaltigkeit.
Wie ist das zu verstehen? Beschäftigt sich Ihre Kanzlei vorwiegend mit Umweltrecht oder hat Nachhaltigkeit noch andere Bedeutungen?

 

Berthold Lindner: Nachhaltigkeitsrecht geht viel weiter. Ich nenne hier das Energierecht, aber auch zivilrechtliche Aspekte. Wir definieren Nachhaltigkeitsrecht nach all dem, was der Erreichung der UN-Nachhaltigkeitsziele – sustainable development goals – dient. Wir sehen uns als Boutique-Kanzlei für Nachhaltigkeitsrecht, bieten
darüber hinaus aber auch Beratung und Betreuung bei angrenzenden Materien.

 

ANWALT AKTUELL: Herr Magister Stimmler, welche Schwerpunktthemen betreuen Sie als Partner in der Kanzlei?

 

Alexander Stimmler: Gesamt betrachtet zeigt sich, dass auch die Bereiche Vertrags- und Prozessrecht im Nachhaltigkeitsrecht wesentliche Bedeutung haben. Ein aktuelles und viel diskutiertes Thema ist der Entwurf der EU-Lieferketten-Richtlinie. Die daraus resultierenden nationalen Regeln werden in der EU tätigen Unternehmen – ab einer bestimmten Größe und Jahresumsatz – Sorgfaltspflichten zur Verhinderung der Verletzung von Menschenrechten und eine Förderung des Umweltschutzes auferlegen. Bei Verstößen sind auch zivilrechtliche Haftungen vorgesehen. Auch der Trend zu Klimaklagen zeigt die zivilrechtlichen Aspekte des Nachhaltigkeitsrechts auf. Hier liegt der Fokus meiner Arbeit für unsere Mandanten.

 

ANWALT AKTUELL: Nachhaltigkeit hat sich in kurzer Zeit zu einem Allerweltsbegriff entwickelt – vom Müsli bis zur Textilproduktion.

Gibt es im Rechtsbereich klarere Definitionen?

 

Berthold Lindner: Infolge der Aktivitäten von Greta Thunberg möchte sich mittlerweile fast jedes Unternehmen ein grünes Mäntelchen umhängen, etwa „nachhaltige“ Kaffeekapseln aus Aluminium… Unser Fokus liegt momentan im Bereich der Energiewende, hin zu erneuerbaren Energien und im Bereich Kreislaufwirtschaft.
Daneben versuchen wir, Unternehmen nachhaltigkeitsfit zu machen. Sprich: Weg von dieser Scheinnachhaltigkeit, weg vom Green-Washing! Was wir anbieten ist eine Umstrukturierung der Unternehmen, damit sie in der Zukunft nachhaltig wirtschaften können. Umstellen auf nachhaltiges Wirtschaften darf aber nicht heißen, dass das Unternehmen dann nicht mehr gewinnbringend arbeiten kann. Hier sind auch rechtlich tragbare Lösungen gefragt.

 

ANWALT AKTUELL: Auf welcher Ebene in den Unternehmen befinden sich Ihre Ansprechpartner?

 

Alexander Stimmler: Die Umstellung hat in großen Teilen der Wirtschaft bereits begonnen. Die Geschäftsführer zeigen Interesse, speziell um bestehende Compliancestrukturen in den Unternehmen anzupassen. Obwohl es scheinbar noch reichlich Spielraum gibt Nachhaltigkeitsziele bis 2030 und 2050 zu erreichen, machen sich viele bereits jetzt daran Maßnahmen zu setzen, um später Haftungen zu vermeiden, sei es mit Geschäftspartnern oder auch mit Konsumenten. Wir haben verschiedene Mandanten in Bereichen von Industrie, Energie- und Kreislaufwirtschaft bis hin zum Reinigungssektor.

Nachhaltigkeitsrecht beschäftigt sich auchmit Menschenrechten und so auch mit Themen wie Arbeitnehmerschutz und Lohndumping.

 

ANWALT AKTUELL: Herr Dr. Lindner, Sie haben eine ganze Menge von Pflichten angesprochen, die auf die Unternehmen zukommen. Auf der anderen Seite sieht man, dass das Öffentliche Recht in wesentlichen
Sektoren – ich nenne die Windkraft – durchaus Nachholbedarf hat…

 

Berthold Lindner: Was Sie hier ansprechen ergibt sich vor allem in den Verfahren, weil bestehende Regeln so streng ausgelegt werden, dass die Umsetzung von Projekten immer schwieriger wird, sei es, dass man fünfjährige Untersuchungen vor Beschlussfassung benötigt oder seien es strikte, von der Politik vorgegebene Widmungen,
die de facto Planungen unmöglich machen. Die Europäische Kommission probiert es zwar, bei den eigentlichen Praxisproblemen fehlt aber der Mut. Ein Beispiel ist der Artenschutz. Dieser wird so streng ausgelegt, dass Projekte blockiert oder über Monate verzögert werden. Zum Wiener Feldhamster gibt es etwa zwei aktuelle EuGH-Urteile, in denen es darum geht, ob der kleine Nager, wenn er für längere Zeit seinen Bau verlassen hat, wieder zurückkehren darf (und damit das Projekt verhindert). Die aktuelle Judikatur sagt: Ja, der Hamster darf auch wieder nachhause. Selbst genehmigte Projekte können aufgrund der Artenschutzbestimmungen verhindert werden.

Nicht falsch verstehen: Der Artenschutz ist ein wichtiges zentrales Thema, nur muss die Frage erlaubt sein, ob es der Gesetzgeber so streng gemeint hat, wie es heute ausgelegt wird. Da muss man wissen, ob man das will…

 

ANWALT AKTUELL: Wie ist die Haltung der Unternehmen, die sich für Ihre Nachhaltigkeitsberatung interessieren? Wollen die in erster Linie wissen, wie weit sie noch gehen dürfen oder sind es die Guten, die sich tatsächlich neu orientieren möchten?

Dr. Berthold Lindner zu Umweltverfahren: „Mittlerweile werden bestehende Regeln so streng ausgelegt, dass die Umsetzung von Projekten immer schwerer wird.“

Mag. Alexander Stimmler: „Mithilfe von Nachhaltigkeits- und Compliance-Checks können wir mithelfen, Probleme zu sehen und zu verhindern.“


Alexander Stimmler: Die Mandanten sind natürlich immer die Guten, die sich in eine neue Richtung entwickeln möchten. Es geht hier oft auch um Unklarheiten, die sich durch die mediale Berichterstattung ergeben, zum Beispiel was gewisse Rechtsnormen für die Unternehmen im alltäglichen Leben bedeuten. Mithilfe von Nachhaltigkeits- und Compliance-Checks können wir mithelfen, Probleme zu erkennen bzw. zu verhindern. Es gibt im Unternehmens-alltag immer wieder ad-hoc-Fragen, die bei der Umsetzung der neuen Nachhaltigkeitsvorgaben entstehen. Die Bestrebung der Unternehmen, insgesamt in die Zukunft orientiert zu sein und zu fragen, wie können wir Strukturen anpassen, welche Vorsichtsmaßnahmen zur Haftungsvermeidung müssen wir ergreifen – das sind häufige Anfragen an unsere Kanzlei. Eine wesentliche Dimension liegt auch in der internationalen Rechtsberatung, da die zu beachtenden Vorgaben grenzüberschreitend Anwendung finden.

 

ANWALT AKTUELL: Sie haben das Büro gerade frisch bezogen, ein Hauch von Start-Up weht durch die Räume… Wie geht es nachhaltig weiter, Herr Dr. Lindner?

 

Berthold Lindner: Wir sind hier mit dem klaren Willen zum Wachsen und zum Größerwerden eingezogen. Der nächste Erweiterungsschritt erfolgt im August, wenn eine neue Kollegin zu uns stoßen wird. Wir werden damit einerseits stärker im Öffentlichen Recht auftreten, werden unseren Mandantinnen und Mandanten aber auch
vergaberechtliche Beratung anbieten können. Wir wollen die Kanzlei für Nachhaltigkeitsrecht in Österreich werden. Im Sinne unserer Tätigkeit streben wir ein generisches Wachstum an.

Davor aber wollen wir mit unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern das einjährige Bestehen unserer Kanzlei gebührend feiern.

 

Herr Dr. Lindner, Herr Magister Stimmler, danke für das Gespräch.