Asphalt-Cowboys
BAUEN OHNE SPERRSTUNDE. Mittlerweile ist zwar bis ins hinterste Tal des Landes die Erkenntnis vorgedrungen, dass es mit der Verbauung der österreichischen Flächen so nicht mehr
weitergehen kann, doch rechtlicher
Veränderungswille bleibt unsichtbar. NEOS-Chefin Meinl-Reisinger kassiert scharfe Worte von den Asphalt-Cowboys.
"Es braucht ein Bundesrahmengesetz für Raumordnung und einen bundesweiten Infrastruktur-Gesamtplan"
Beate Meinl-Reisinger
In Salzburg entsteht neben dem Landesgericht gerade ein Platz ohne Bäume, konsequent durchasphaltiert, extrem hässlich und ein Garant für solide Hitzespeicherung in Zeiten anhaltend hoher
Temperaturen. In Wien wurde gerade eine Wohnsiedlung eröffnet, deren besonderes Kennzeichen die großzügigen Betonflächen zwischen den Häusern sind. Die
frisch eingezogenen Bewohner berichten von Temperaturen bis zu 40 Grad. In mehreren Alpentälern fahren Bagger beherzt in die Scholle, um die Baugruben für sogenannte „Chalet-Dörfer“ auszuheben,
die erfahrungsgemäß zwei bis drei Wochen pro Jahr bewohnt werden. Motto all dieser Aktionen: Alles geht und keiner war’s.
NEOS fordern Neuordnung
„Versiegelung“ lautet das Krankheitsbild, von dem Österreich wesentlich stärker betroffen ist als sämtliche anderen Staaten Europas. Trotz der in den letzten Wochen stattgefundenen
Überschwemmungskatastrophen zeichnet sich kein Umdenken in Sachen Verantwortlichkeit für Verbauungen ab. Nur NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger fordert grundsätzliche Änderungen durch das
Parlament: „Es braucht ein Bundesrahmengesetz für Raumordnung und einen bundesweiten Infrastruktur Gesamtplan. Die Widmungskompetenz muss den Gemeinden entzogen werden – der Wunsch nach mehr
Kommunalsteuern befeuert die Zersiedelungspolitik noch zusätzlich.“
Deutlich zahmer formuliert es der oberösterreichische Umweltlandesrat Stefan Kaineder von den Grünen. Er will den Gemeinden keine Kompetenzen wegnehmen, da es „gescheit sei, dass die Bürgerinnen und Bürger in ihren Dörfern entscheiden, wie sich das Dorf entwickelt.“ Gleichzeitig sieht er das erst im Vorjahr beschlossene oberösterreichische Raumordnungsgesetz kritisch: „Diese rasante Verbauung, das Verbetonieren unserer Heimat, das muss sich ändern.“
ÖVP und SPÖ mauern
Landwirtschafts- und Tourismusministerin Elisabeth Köstinger bezieht in der Sache eine klare Haltung: „Meinl-Reisinger fehlt jedes Wissen und Praxisbzeug. Die örtliche und überörtliche
Raumordnung wird von Bundesländern gemacht und ist dort auch gut aufgehoben. Über Widmungen – die allesamt im Rahmen dieser Raumordnung vergeben werden – entscheidet übrigens nicht der
Bürgermeister, sondern der Gemeinderat. Das ist auch gut so, denn diese kennen die Verhältnisse
vor Ort am besten.“ Auch der Generalsekretär des Gemeindebundes, Walter Leiss, stößt ins gleiche Horn. Es gebe keinen Anlass, die Entscheidungskompetenz der Gemeinden zu beschneiden, zumal die
Flächenwidmung „in den eigenen Wirkungsbereich der Gemeinden fällt und es schlichtweg nicht vorstellbar ist, dass den Gemeinden diese Kompetenz entzogen wird.“
Auch die SPÖ-Umweltsprecherin Julia Herr sieht keinen Grund, den Gemeinden die Widmungs kompetenz zu entziehen. Pikanterweise wirft aber ihre Parteikollegin Ruth Becker, Wohnbausprecherin der SPÖ, den Grünen in der Bundesregierung bei den Themen Wohnen, Klimaund Umweltschutz „Versagen“ vor. Österreich werde viel zu rasant verbaut, ohne dass die Grünen dagegen etwas unternähmen, zum Beispiel gegen die Verbauung von Grünraum außerhalb der Ortskerne und im städtischen Bereich.
Empfehlung: Überörtliche Bauplanung
Die Frage nach zu viel Bodenverbrauch in Österreich beantwortet auch Raumplaner Univ. Prof. Dr. Arthur Kanonier von der TU Wien mit einem eindeutigen „Ja“. Daran seien in erster Linie die Länder
schuld, indem sie ihre Kompetenzen nicht ausreichend wahrnähmen: „Grundsätzlich ist Raumordnung Landesmaterie. Es würde meiner Meinung nach vor allem auf überörtlicher Ebene ausreichende
Instrumentarien geben, vor allem was Siedlungsgrenzen betrifft. Es gibt aber auch Länder, in denen die Gemeinden für den Flächenwidmungsplan zuständig sind, und dort gibt es schon sehr häufig
anlassbezogene Festlegungen, die dem grundsätzlichen Sinn einer Raumordnung widersprechen.“ Zur Neutralisierung der aktuellen gemeindelastigen Entscheidungsstrukturen empfiehlt Kanonier den Blick
zu den Nachbarn: „Gäbe es eine konsequente überörtliche Bauplanung wie in Bayern, dann hätte die Gemeinde gar nicht das Ermessen, punktuell Widmungen zu vergeben. Damit wäre den Gemeinden viel
geholfen. Ich kenne viele Bürgermeister, die froh wären über eine restriktive
überörtliche Raumplanung.“