Selbstbild und Fremdbild


DIETMAR DWORSCHAK Herausgeber & Chefredakteur dd@anwaltaktuell.at
DIETMAR DWORSCHAK Herausgeber & Chefredakteur dd@anwaltaktuell.at

83 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher „vertrauen“ auf unseren Rechtsstaat, sagt eine aktuelle Umfrage. Damit sind wir Spitzenreiter in Europa. In keinem anderen Mitgliedsland verzeichnet man einen ähnlich hohen Respekt vor der Justiz und ihren Organen.

Aus der Psychologie kennen wir die Unterscheidung zwischen „Selbstbild“ und „Fremdbild“, also: wie sehe ich mich bzw. wie werde ich von den anderen gesehen…

Wer sich außerhalb Österreichs umhört, bekommt das tolle österreichische Justiz-Selbstbild nur zum Teil bestätigt. Ein Unternehmer in London sagte mir beispielsweise: „Die Wirtschaft sieht das österreichische Rechtssystem ziemlich kritisch. Man spricht zwar von funktionierenden Gerichten, allerdings mit einer starken ‚italienischen Komponente‘“. Übersetzt heißt das: Gerichtsverfahren sind für ausländische Beteiligte nicht selten undurchschaubar, was ihre zeitliche Länge und den
Ausgang betrifft. Man bezweifelt zwar nicht, dass es in Österreich ein festes Fundament der Rechtsstaatlichkeit gibt, doch steht dem ein gewisser Unsicherheitsfaktor gegenüber, was die „Laune“ der jeweiligen Gerichte betrifft.

 

Schiedsgerichte bevorzugt

Kein Wunder, dass auch viele österreichische Firmen ab einer bestimmten Größe keine Lust mehr haben, sich auf die Unwägbarkeiten der österreichischen Gerichte einzulassen. Ob große Energiefirmen oder führende Zeitungskonzerne – wenn es um richtig viel geht, dann verlassen sich solche Streitparteien zunehmend lieber auf internationale Schiedsgerichte. Dazu kommt, dass man sich bei Auseinandersetzungen mit großen Streitwerten umfassende richterliche Expertise erwartet,
und nicht nur Sattelfestigkeit im Paragrafendschungel.

 

Politisch betriebene Aufspaltung

Österreichs Gerichte in allen Instanzen werden es leicht verschmerzen, von großen internationalen Verfahren verschont zu bleiben. Das Lob, das ihnen laut Umfrage aus der Bevölkerung zuteil wird, ist jedoch noch kein Anlass für institutionelles Schulterklopfen. Es mag gut klingen, in Sachen Unabhängigkeit der Gerichte „Europameister“ zu sein, doch sollte in dieser großen Freude über die Anerkennung nicht die Gefahr übersehen werden, die derzeit von politischer Seite droht. Die Tendenz lautet: Aufspaltung in „gute Gerichte“ und „böse Anklagebehörden“. Diese Unterscheidung wird
interessanterweise von politischen Kreisen forciert, die selbst im Fokus der Aufklärung von Ermittlungsbehörden stehen. Der „Blick von außen“ kann hier hilfreich sein: „Im jüngsten Rechtsstaatlichkeitsbericht der Europäischen Kommission werden
einige sehr klar formulierte Missstände aufgezeigt: dort, wo es insbesondere um die fehlende Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaften und die politische Einflussnahme auf laufende gerichtliche Verfahren geht. Hier hat Österreich definitiv Handlungsbedarf, um nicht weiter zu den europäischen Schlusslichtern abzurutschen“ sagt Martin Kreutner, einer der Initiatoren des Anti-Korruptions-Begehrens (siehe Seite 10 – 12).

 

Urteil der Bevölkerung

Erstaunlich ist jedenfalls, mit welcher Vehemenz speziell die ÖVP auf für sie unbequeme Staatsanwälte hindrischt. Hier wird so getan, als stünde am Ende der Ermittlungsarbeiten in den Räumen der Korruptionsstaatsanwaltschaft ein Galgen, an dem
die jeweils Beschuldigten in kurzem Prozess aufgehängt werden. Es spricht für die Intelligenz und Entspanntheit der Österreicherinnen und Österreicher, dass sie trotz dieser durchsichtigen Attacken der bekannten Abfolge von Ermittlung – Anklage – Gerichtsverfahren vertrauen. Vermutlich sind die politischen Angriffe auf die Justiz im aktuellen Zufriedenheitsurteil der Bevölkerung noch nicht „eingepreist“. Es wäre spannend zu erfahren, wem die Österreicherinnen und Österreicher mehr vertrauen. Denen, die „Verfehlungen“ aufdecken, anklagen und verurteilen oder jenen, die schon im
Stadium der Ermittlung „Haltet den Dieb“ rufen.