MUSK & TWITTER. Der Rechtsstreit, ob Elon Musk das Social-Media-Portal „Twitter“ letztendlich kaufen muss, hat bereits einen „mittleren achtstelligen Betrag“ an Anwaltskosten verschlungen. Ausgang offen.
Laut Bloomberg ist Elon Musk derzeit der reichste Mensch der Welt, sein Vermögen soll jenes von Jeff Bezos noch um rund 90 Millionen Dollar übertreffen. Meiner Meinung nach gebührt ihm aber noch
eine andere Auszeichnung: Im Lauf des Frühjahrs und Sommers 2022 gelang es ihm nämlich, Ex-Präsident Trump aus den Schlagzeilen zu verdrängen, eine durchaus beachtliche Leistung. Dies ist umso
bemerkenswerter als es nichts mit den mittlerweile
allgegenwärtigen Musk-Unternehmen Paypal, SpaceX, Tesla oder dem Tunnelbauer Boring zu tun hat, sondern alleine seiner unglücklichen und übereilten Entscheidung, Twitter für 44 Milliarden Dollar
kaufen zu wollen, geschuldet war.
Musk – Liebling der Konservativen
Unmittelbar nachdem dieses Vorhaben bekannt wurde, stahl er Trump bereits die mediale Show, indem er ankündigte, dass Twitter, sobald er das Sagen habe (er ist als „Mikro-Manager“ bekannt und
bezeichnet sich selbst als „Nano-Manager“), Trump wieder erlauben würde, zu twittern, weil er an die „freie Rede“ (Zyniker sprechen
mitunter von „Hassrede“ ) glaube, egal wie irreführend oder aufrührerisch sie auch sein möge. Dies machte ihn, obwohl er später seine Meinung darüber änderte, kurzzeitig zum Liebling der
Konservativen. Darüber hinaus verkündete er sogar, dass er die Republikaner bei den Wahlen zum Senat im November unterstützen würde. Auch warf Musk einige berechtigte Fragen auf, unter anderem,
ob Algorithmen in den sozialen Medien systematisch konservative Standpunkte unterdrücken. Musk schien seine Entscheidung aber schon bald wieder zu bereuen
und versuchte bereits im Juli sich mit dem Hinweis auf falsche Angaben seitens Twitter bezüglich gefälschter Mitgliedschaften wieder vom Kauf zu distanzieren. Dies, obwohl er schon davor wusste,
oder zumindest hätte wissen müssen, dass der Anteil an solchen Konten deutlich höher war, als von Twitter angegeben. Als er damit konfrontiert wurde (noch vor dem Übernahmeangebot, aber nachdem
er bereits 9,2% der Aktien erworben hatte, und damit zum größten Einzelaktionär mit einer größeren Anzahl von Aktien als Twitter-Gründer Jack Dorsey wurde), twitterte er noch: „If our twitter
bid succeeds, we will defeat the spam bots or die trying!“
„Fake-accounts“ auf Social-Media-Plattformen sind natürlich ein ernsthaftes Problem für alle Medienunternehmen, aber besonders für Twitter, nachdem sich russische Agenten massiv in die
Präsidentschaftswahlen 2016 eingemischt haben, indem sie gefälschte Konten zur Verbreitung von Fehlinformationen nutzten. In dem von Twitter bei der US-Finanzmarktaufsichtsbehörde eingereichten
Quartalsbericht für die Monate bis zum 31. März 2022, berichtete das Unternehmen über das Übernahmeangebot von Musk und gab öffentlich bekannt, dass es schwierig sei, die Zahl der gefälschten
Konten auf der Plattform genau zu beziffern. Twitter gab an, dass weniger als 5% der Nutzer mit gefälschten Konten arbeiteten, fügte aber folgende Warnung hinzu:„…our estimation of false or
spam
accounts may not accurately represent the actual number of such accounts, and the actual number of false or spam accounts could be higher than we have estimated.“
Musk behauptet Irreführung
Trotz dieser ausdrücklichen Relativierung behauptete Musk, dass das Unternehmen während der Verhandlungen im Vorfeld der Übernahme „falsche und irreführende“ Angaben gemacht habe. Zudem
behauptete er, Twitter habe gegen die Vereinbarung verstoßen, indem die Verträge mit zwei wichtigen Mitarbeitern ohne seine Zustimmung aufgelöst wurden. Daraufhin klagte Twitter, und Musk erhob
Gegenklage. Dadurch geriet Musk einmal mehr in die Schlagzeilen. Aber nicht nur die gegenseitigen Klagseinbringungen sorgten für Aufmerksamkeit: beide Seiten engagierten auch einige der teuersten
Anwälte des Landes und das gleich mehrfach. Obwohl das sonst oft sehr aufwändige und langwierige „discovery“ Vorverfahren in diesem Fall relativ kompakt ausfallen muss, da der Prozess bereits am
17. Oktober 2022 beginnen soll (der Kaufvertrag ist auflösend bedingt mit der Übernahme, wobei diese bis zum 24. Oktober abgeschlossen sein muss), und nicht länger als fünf Tage dauern soll,
werden die Anwaltskosten auf beiden Seiten auf einen „mittleren achtstelligen Betrag“ geschätzt. Die Klage von Twitter, mit der Musk zur Einhaltung der Vereinbarung gezwungen werden soll, wurde
von Kanzlei Wachtell, Lipton in New York, deren Partner Stundensätze von $2000 verrechnen, Kanzlei Wilson Sonsini aus dem Silicon Valley ($1000 pro Partnerstunde) und Anderson Potter, einer
Kanzlei in Delaware ($700/pro Partnerstunde) unterzeichnet. Musk wird von Skadden und Quinn Emanuel vertreten, beides New Yorker Kanzleien, die ebenfalls Spitzenstundensätze verrechnen. Die
Experten sehen allerdings wenig Chancen für Musk, sich aus dem Geschäft noch herauswinden
zu können. Dazu Charles Elson von der University of Delaware: „Delaware does not want to sanction buyer’s remorse.“
Die Vereinbarung unterliegt dem Recht des US-Bundesstaates Delaware, und bis jetzt hat es nur einen Fall gegeben, in dem die Gerichte in Delaware einem Käufer erlaubt haben, von einem Geschäft
wegen eines „material adverse effect“ („MAE“) zurückzutreten. Musk argumentiert, dass dies hier jedoch der Fall ist; er behauptet, dass die Anzahl der gefälschten Konten erheblich höher
ist, als die 5%-Schätzung, die Twitter in seiner oben erwähnten Einreichung veröffentlicht hat.
Knifflige Rechtsfragen
In Verschmelzungs- bzw- Übernahmeverträgen ist es jedoch durchaus üblich, dass der Käufer eine „MAE-Klausel“ verlangt, um Änderungen in der Bewertung des Zielunternehmens zu berücksichtigen. Mit
dieser Bestimmung soll sichergestellt werden, dass das Zielunternehmen zum Zeitpunkt des Abschlusses in etwa so viel wert ist, wie bei der Unterzeichnung angenommen wurde. Ist dies nicht der
Fall, erlaubt die „MAE“ dem Käufer von dem Vertrag, ohne Zahlung einer Vertragsstrafe, zurückzutreten. In der Rechtssache Akorn Inc. gegen Fresenius Kabi AG et al. (2018) schlossen die
Parteien, wie auch hier, einen Übernahmsvertrag ab, der dem Erwerber im Falle einer „MAE“ ein Kündigungsrecht einräumte. In diesem Fall hatte der Verkäufer Akorn, ein US-amerikanischer
Generikahersteller, dem Käufer Fresenius, ein deutsches Gesundheitsunternehmen, sehr schwerwiegende Mängel bei der Berichterstattung an die U.S. Aufsichtsbehörde FDA (Food and Drug
Administration) verschwiegen. Da das Gericht feststellte, dass diese Mängel erhebliche Auswirkungen auf den Wert von Akorn haben würden, wenn die Übernahme zustande käme (schätzungsweise
900 Mio. USD), gestattete das Gericht dem Käufer, vom Vertrag zurückzutreten. Dies war jedoch das erste Mal, dass das Gericht in Delaware ein solches Urteil fällte, weshalb auch die Kanzlei
Cadwalader in ihrem Blog zu diesem Fall ausführte, dass sich Käufer, die ihre Meinung geändert haben, nicht auf diesen Fall berufen sollten, es sei denn, sie können eine wirklich drastische
Änderung der Umstände nachweisen. Der Titel von Kanzlei Cadwaladers Blog lautete: „Akorn falls far from the tree…“ (in Abwandlung des Sprichwortes: „acorn doesn‘t fall far from the tree“
in den USA fällt statt dem Apfel die Eichel).
In einem rezenten Fall, AB Stable VIII LLC gegen MAPS Hotels & Resorts One LLC, et al. (2021), gestattete das Delaware Chancery Court dem Käufer den Rücktritt vom Vertrag, allerdings aufgrund
einer Abwandlung der MAE-Einrede. In AB Stable hat der Verkäufer fünfzehn seiner Hotels aufgrund der Pandemie geschlossen, obwohl er nach dem Kaufvertrag verpflichtet war, ohne Zustimmung des
Käufers keine Geschäfte außerhalb des gewöhnlichen Geschäftsverkehrs, oder abweichend von der bisherigen Praxis zu tätigen. Der Verkäufer machte geltend, dass die Schließungen unter den
gegebenen Umständen angemessen waren. Das Gericht folgte jedoch der Ansicht, dass sich diese Entscheidung des Verkäufers nicht mit dem üblichen Geschäftsverkehr vereinbaren ließe, oder in die
bisherige Praxis fiel. Nachdem diese Schließungen von wesentlicher Bedeutung waren und ohne die Zustimmung des Käufers erfolgten, verstieß der Verkäufer laut Gericht somit gegen den Vertrag. Eine
ähnliche Vereinbarung ist auch in Musks Twittervertrag enthalten. Die Rechtssache Twitter gegen Musk wird sehr faktenreich sein, und das Gericht wird zu entscheiden haben, ob die oben erwähnte
Kündigung der beiden Mitarbeiter durch Twitter ebenso wesentlich für die Transaktion war, wie die Schließung der Hotels durch AB Stable. Die drei wahrscheinlichsten Szenarien für den Streit
zwischen Twitter und Musk sind:
1) die Parteien einigen sich, wobei Twitter einem geringeren Übernahmepreis zustimmt;
2) Musk zahlt Twitter die vertraglich vereinbarte Vertragsstrafe von 1 Milliarde Dollar;
3) Twitter ist mit seiner eingebrachten Klage erfolgreich, was dazu führen würde, dass das Gericht Musk dazu verurteilt, die Übernahme gegen seinen Willen durchzuführen.
Die dritte Möglichkeit würde, falls sie eintritt, eine besondere Herausforderung darstellen, da es in Delaware bis jetzt noch kein Vertragserfüllungsurteil (specific performance) dieser
Größenordnung gegen eine natürliche Person
gegeben hat. Frühere Fälle, in denen der Hühnerfleischverarbeiter, Tyson Foods, angewiesen wurde, den Erwerb
von IBP im Wert von 3,2 Mrd. Dollar abzuschließen (der Verkäufer wurde in diesem Fall erfolgreich von der Kanzlei Wachtell vertreten), und in denen die Übernahmefirma Kohlberg angewiesen wurde,
den Kauf von DecoPac, einem
Hersteller von Tortendekorationsprodukten, im Wert von 550 Mio. Dollar abzuwickeln, waren beides Urteile gegen Unternehmen. Gelingt es Twitter tatsächlich, seine Forderung durchzusetzen, kann das
Gericht die Verletzung des Vertrages feststellen, und bestimmte Rechtsfolgen anordnen. Dazu gehören die Verhängung einerGeldstrafe und das Einfrieren von Musks Vermögenswerten, bis er seinen
Verpflichtungen nachkommt. „He’d be treated like a deadbeat dad not paying child support“, erläuterte Minor Myers, Professor der UConn School of Law. „It would
not be that hard.“
In zwei Monaten dürften wir den erstinstanzlichen Ausgang dieses Falles kennen. Bis dahin kann Musk weiterhin versuchen für Schlagzeilen zu sorgen, die Hauptaufmerksamkeit ist aber angesichts
Trumps derzeitiger massiver rechtlicher Probleme längst wieder auf diesen gerichtet.