„Liegt noch Freiwilligkeit vor, wenn jemand schon in Untersuchungshaft ist?“

GRUNDSATZSTREIT. Durch die Causa Beinschab ist die Kronzeugenregelung in Österreich quasi aus dem Dornröschenschlaf geweckt worden. Der Wiener Strafrechtsprofessor Robert Kert billigt der WKStA gute Gründe für ihre Kronzeuginnenentscheidung zu und sieht für die Zukunft eine Ermunterung für Beschuldigte, freiwillig „auszupacken“.

ANWALT AKTUELL: Herr Professor Kert, den Kronzeugen, der uns in amerikanischen Filmen begegnet, gibt es bei uns nur ganz selten. Warum eigentlich?


Robert Kert: Es gibt meines Erachtens zwei Gründe dafür. Erstens haben wir nicht die Tradition des Kronzeugen wie in den USA, zweitens sind die rechtlichen Voraussetzungen für einen Kronzeugen in Österreich sehr eng.


ANWALT AKTUELL: Könnte man sagen, die gesetzliche Definition des Kronzeugen in Österreich ist unzulänglich?


Robert Kert: Wir haben nicht einmal eine Definition des Kronzeugen, sondern nur eine Regelung über den Rücktritt von der Verfolgung bei Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft. Ich finde, die Voraussetzungen für diesen Rücktritt sind so eng, dass es für die jeweilige Person schwer ist, vorherzusehen, ob sie dann tatsächlich den Kronzeugenstatus bekommt.
Früher waren die Bestimmungen noch enger. Mittlerweile gibt es den vorläufigen Rücktritt von der Verfolgung, der den Betroffenen etwas mehr Sicherheit in einem früheren Verfahrensstadium geben soll, wie wir es gerade im Zusammenhang mit der Causa Beinschab erleben.
Viele, die als Kronzeugen in Frage kommen, sehen vermutlich ein zu hohes Risiko, keinen Kronzeugenstatus
zuerkannt zu bekommen.


ANWALT AKTUELL: Zur Causa Beinschab: Gibt es gute Gründe zu sagen „Hier irrt die WKStA“?


Robert Kert: Ich würde nicht sagen, dass die WKStA hier irrt. Es gibt ein paar Problempunkte, wo die WKStA die bestehenden Möglichkeiten ausreizt und einiges auch noch unklar ist. Es gab ja vor der Aussage von Frau Beinschab eine Hausdurchsuchung wegen bestimmter Taten. Das Gesetz sieht einen ausdrücklichen Ausschlussgrund für den Kronzeugenstatus vor, wenn wegen der Taten bereits Zwangsmaßnahmen stattgefunden haben, zumindest auf diese Taten bezogen. Man kann allerdings vertreten, dass der Status als Kronzeugin für all das, was sie später gestanden hat, anerkannt wird. Der zweite Punkt: Liegt noch Freiwilligkeit vor, wenn jemand schon in Untersuchungshaft ist?

Wenn die WKStA dies bejaht, geht sie schon ziemlich weit. Sie bezieht es sehr stark auf die Aussage selbst. Immerhin hätte die Beschuldigte auch anders aussagen können. Wenn man sich die Materialien ansieht, wollte es der Gesetzgeber wohl auch so. Das ist zwar großzügig ausgelegt, aber kein Verstoß gegen das Gesetz.
Und der dritte Punkt, der von den Verteidigern anderer Beschuldigter vorgebracht wird:
War das Geständnis der Frau Beinschab insofern freiwillig, als sie von sich aus auf die Staatsanwaltschaft zugekommen ist?

Das Problem liegt meines Erachtens bei der Frage: Was ist mit den Taten, die in der früheren Hausdurchsuchungsanordnung angeführt waren? Kommt der Beschuldigten auch dafür Kronzeugenstatus zu oder nicht? Das ist bisher nicht so klar.


ANWALT AKTUELL:Erwarten Sie nach dieser derzeit sehr munteren Diskussion, dass die Justiz das Thema Kronzeuge jetzt stärker aufnimmt und Staatsanwaltschaften künftig Beschuldigte öfter ermutigen, auszupacken?

 

Robert Kert: Ich kann mir schon vorstellen, dass aufgrund dieses Falles die Kronzeugenregelung öfter angewendet werden könnte, zumal kommuniziert wurde, dass die aktuelle Entscheidung in Absprache mit dem Weisungsrat und der stellvertretenden Rechtsschutzbeauftragten erfolgt sei. Ich sehe darin ein Signal sowohl an Staatsanwaltschaften als auch an Personen, die in irgendwelche Straftaten involviert sind.

Das Problem war bisher, dass, solange nicht gegen jemand ermittelt wurde, es keinen Grund gab, zur Staatsanwaltschaft zu gehen und zu plaudern zu beginnen. Andererseits bestand die Befürchtung, dass es ohnehin nichts bringt auszupacken, sobald die Ermittlungen begonnen worden waren.
Das aktuelle Signal vermittelt, dass man sich um den Kronzeugenstatus auch dann noch bemühen kann, wenn bereits Ermittlungen laufen. Allerdings sollte nach dem Gesetz auch weiterhin die Initiative immer vom Täter und nicht von der Staatsanwaltschaft ausgehen.

 

ANWALT AKTUELL: Zu größerer Aufmerksamkeit gelangte der Kronzeuge in den letzten Jahren durch die Bundeswettbewerbsbehörde, Stichwort beispielsweise „Baukartell“. Hier haben die Tippgeber trotz Kooperation empfindliche Strafen bekommen. Lohnt es sich dennoch, auszupacken?


Robert Kert: Es lohnt sich, die Geldbußen waren immer noch geringer als jene, die die Unternehmen ohne Kooperation bekommen hätten. Der grundsätzliche Unterschied zwischen dem Wettbewerbsrecht und dem Kriminalstrafrecht ist die Frage: Wem droht die Strafe?
Wenn der Geschäftsführer eines Unternehmens im Wettbewerbsrecht zu plaudern beginnt, trifft ihn das persönlich nicht, weil die Geldbußen gegen die Unternehmen gerichtet sind. Im Strafrecht hat es zur Folge, dass, wenn es nicht funktioniert, der Betreffende im Gefängnis sitzt. Das persönliche Risiko für die natürliche Person ist somit im
Wettbewerbsrecht deutlich geringer.