„Es herrscht ein Unvermögen, korrekt mit den Dingen umzugehen“

URGTHEATER/SEXUELLE ÜBERGRIFFE. In der Affäre Teichtmeister wurden nach Meinung der Arbeitsrechts-Expertin Katharina Körber-Risak krasse Mängel bei der Aufklärung durch den Dienstgeber evident. Die vorhandenen arbeitsrechtlichen Möglichkeiten seien nicht bzw. viel zu spät genützt worden. Im verwandten Deliktbereich der sexuellen Übergriffe sieht Körber-Risak „eine neue Welle“ und große Defizite im Wissensstand von Unternehmen.

Interview: Dietmar Dworschak

ANWALT AKTUELL: Wegen Krankheit wurde der Prozess gegen Burgschauspieler Florian Teichtmeister verschoben. Ist er Ihres Wissens nach noch Burgschauspieler?

 

Katharina Körber-Risak: Nein, er wurde entlassen, habe ich den Medien entnommen.

 

ANWALT AKTUELL: Also nicht mehr Burgschauspieler.

 

Katharina Körber-Risak: Darf man eigentlich nicht mehr sagen. Ehemaliger Burgschauspieler.

 

ANWALT AKTUELL: Wie beurteilen Sie die beschwichtigende Redewendung „Es hat’s eh jeder gewusst“. Ist das ein Ausdruck von „Alles halb so schlimm“?

 

Katharina Körber-Risak: Nein, im Gegenteil. Es ist eher ein Ausdruck dafür, was für ein Unvermögen in weiten Teilen des Kulturmanagements und auch in anderen Bereichen der Gesellschaft besteht, mit diesen Dingen korrekt umzugehen. Es zeigt einerseits rechtliche Unkenntnis, aber auch einen Mangel an Haltung.

 

ANWALT AKTUELL: Teichtmeister ist ja kein Einzelfall. Gerade haben die Medien von einem Oberösterreicher berichtet, der Kinderpornografie auftragsmäßig produzieren hat lassen…

 

Katharina Körber-Risak: Es ist schrecklich, dass es das gibt. Ich habe im Zuge der Teichtmeister-Causa von Expertinnen und Experten gelernt, dass es ein weit verbreitetes Phänomen ist und es eine hohe Dunkelziffer gibt. Es wäre aus meiner Sicht ganz dringend notwendig, dass die Politik sich nicht nur anlassbezogen dieses Themas annimmt, indem einerseits auf allen möglichen Ebenen in Prävention investiert wird und auf der anderen Seite die Strafverfolgungsbehörden mit mehr Personal und besserer Technik ausgestattet werden. Das wurde jetzt angekündigt. Hoffentlich setzt man das dann auch um.

 

ANWALT AKTUELL: Apropos „halb so schlimm“. Wie schlimm ist es von den Strafen her, Bilder von gedemütigten und gequälten Kindern zu besitzen?

 

Katharina Körber-Risak: Ich bin keine Strafrechtlerin. Offensichtlich ist die Drohung im Fall Teichtmeister bis zu zwei Jahre Haft. Das kommt, glaube ich, vielen sehr gering vor. Leider scheint es so zu sein, dass die Strafen die meist männlichen Täter nicht abhalten, weshalb wohl stärker auch in Präventionskonzepte investiert werden muss.

 

ANWALT AKTUELL: Was sagen Sie zur Formulierung eines der Teichtmeister-Anwälte, es handle sich lediglich um ein „digitales Delikt“?

 

Katharina Körber-Risak: Ich glaube, das war sehr unglücklich formuliert. Der Kollege hat sehr viel negatives Feedback dazu bekommen. Es ist aus einer strafrechtlichen Sicht schon verständlich, zu sagen, dass es ein Unterschied ist, ob man sich etwas anschaut oder selbst Hand anlegt. Da hinter jeder dieser Aufnahmen unfassbares Leid steckt, hätte man die Verteidigung sensibler formulieren können.

 

ANWALT AKTUELL: Nochmal zurück zum Fall Teichtmeister. Nachdem das Gerücht vom Besitz dieser Aufnahmen die Stadt Wien mehrfach durchquert hatte stellte der Burgtheater-Chef den Schauspieler zur Rede. Ergebnis: Der Chef hat ihm  geglaubt. Kann man das so erledigen?


Katharina Körber-Risak: Natürlich nicht. Es ist schon einmal zu fragen, inwieweit der Direktor befähigt war, den Wahrheitsgehalt der Aussagen des Schauspielers zu erkennen. Zweitens ist es ja plausibel, dass der Beschuldigte die Vorwürfe bestreitet. In ähnlichen Fällen kann sich der Dienstgeber auch nicht auf die Aussage verlassen „Ich
hab eh nichts gemacht“. Das ist einfach nicht State of the Art, wie man Compliance-Untersuchungen macht.

Das hätte nicht das Ende sein dürfen. Es gibt einen zweiten Aspekt neben diesen juristischen Themen: Man hätte anders handeln können, wenn man gewollt hätte. Man hätte die Entlassung riskieren können. Man hätte den Rücktritt aus persönlichen Gründen nahelegen können usw. Ein besonders unangenehmer Aspekt im ganzen
Zusammenhang war dann, dass Teichtmeister aktiv in einem Stück besetzt wurde, wo er sich quasi selbst gespielt hat. Im Nachhinein muss man sagen, dass das wie eine Art Solidarisierung mit der Person Teichtmeister rüberkommt.


ANWALT AKTUELL: Wäre ich als Arbeitgeber in dieser Situation gewesen hätte ich zu meinem Mitarbeiter gesagt: „Ich weiß genug, du bist gekündigt“. Hätte sich das Burgtheater nicht auch auf einen Arbeitsgerichtsprozess einlassen können, bei dem die ganze Angelegenheit dann sowieso ans Licht gekommen wäre?


Katharina Körber-Risak: Genau so hätte wahrscheinlich jeder andere Chef gehandelt, der vernünftig ist und ein Interesse hat, die eigene Organisation zu schützen. Offenbar hat sich der Direktor hier eher mit den Interessen des Herrn Teichtmeister solidarisiert als mit denen der Burg, deren Geschäftsführer er ist. Das Recht auf Beschäftigung, von dem in diesem Zusammenhang immer wieder geredet wurde, ist kein absolutes Recht. Das Recht auf Beschäftigung soll vermeiden, dass Schauspielerinnen und Schauspieler durch Nichtbesetzung an künstlerischer
Relevanz verlieren. Das hat aber nichts damit zu tun, dass, wenn es den begründeten Verdacht schwerer Straftaten gibt, es weiter ein Recht auf Beschäftigung gibt. Die Burg hätte es durchaus riskieren können, ihn dienstfrei zu stellen oder zu entlassen und die Sache vor dem Arbeitsgericht zu klären.


ANWALT AKTUELL: Zumindest dem Burgtheater, einer Filmproduktion und dem ORF ist durch diese Affäre wirtschaftlicher Schaden entstanden. Haben Schadenersatzklagen Aussicht auf Erfolg?


Katharina Körber-Risak: Da muss man genau schauen, wer gegen wen, wer was wann wusste…
In der Sache „Corsage“ wird es schon Themen geben, wie sich die Produktion nach den beiden Artikeln in „Krone“ und „Standard“ verhalten hat. Da wurde angeblich diskutiert, ob man den Schauspieler herausschneidet und nachdreht, was finanziell sehr aufwendig ist. Man hat sich dagegen entschieden. Dass man dann aber mit ihm noch in die Promotion gegangen ist war wahrscheinlich schon eine Fehlentscheidung. Was jetzt von wem gegen wen

haftungsbegründend ist kann ich nicht sagen, weil ich die Verträge nicht kenne.

 

ANWALT AKTUELL: Es soll ja nicht nur im Burgtheater vorkommen, dass ein Arbeitnehmer besagte Kinderfotos am Mobiltelefon oder am Arbeitscomputer hat. Was kann ein Arbeitgeber tun, wenn er da draufkommt?

 

Katharina Körber-Risak: Viele Unternehmen haben Compliance-Richtlinien und technische Systeme, die es unterbinden, selbst legales pornografisches Material herunterzuladen. Wenn das nicht der Fall ist, und ein begründeter Anfangsverdacht besteht, hat der Arbeitgeber natürlich die Möglichkeit, forensisch auf die Geräte zuzugreifen, die ja Eigentum des Unternehmens sind. Wichtig ist es, Compliance-Richtlinien zu haben, für Prävention und damit man im Ernstfall die richtigen Handlungen setzen kann.

 

ANWALT AKTUELL: Ich spreche jetzt nicht von den 10 größten an der Börse notierten Unternehmen, sondern von ganz normalen kleinen oder mittleren Unternehmen….

 

Katharina Körber-Risak: Im Falle des Vorliegens eines begründeten Verdachts kann ein Arbeitgeber immer auf die Daten zugreifen und Anzeige bei der Staatsanwaltschaft erstatten. Die Person ist dann zu entlassen und das Unternehmen hat sich rechtlich und menschlich zu distanzieren, auch zum Schutz der eigenen Organisation.

 

ANWALT AKTUELL: Vom Thema Kindesmissbrauch jetzt zum Thema „sexuelle Übergriffe“. Man möchte meinen, dass sich selbstbewusste Frauen mittlerweile erfolgreich wehren können?

 

Katharina Körber-Risak: Mich wundert, dass wir zurzeit eine Häufung von Fällen sexueller Belästigung feststellen müssen. Anlässlich der „metoo“-Welle gab es bereits einen markanten Anstieg, es ist aber überraschend, dass wir gerade 2022 und 2023 eine neue große Welle erleben, weil man ja denken könnte, dass die Täter und die potentiellen Täter etwas gescheiter sein sollten. Das Phänomen kommt in allen Branchen und allen Hierarchiestufen vor. Im letzten Jahr hatten wir zwei Fälle, die bis zum OGH gingen und zur Entlassung der Täter geführt haben. Vom Primararzt bis zum Handwerker ist alles dabei.

 

ANWALT AKTUELL: Gibt es da eine gesamtgesellschaftliche Stimmung, die sexuelle Übergriffe erleichtert und auch dazu führt, dass wir in Österreich besonders viele Frauenmorde haben?

 

Katharina Körber-Risak: Im gesellschaftlichen Kontext habe ich schon das Gefühl, dass es davon abhängt, wie viel Kontrolle besteht. Schwere und langanhaltende sexuelle Übergriffe sind meistens ein Zeichen, dass ein Habitat besteht, wo das toleriert wird. Das sind oft kleine Einheiten, die weit weg von der Zentrale arbeiten, oder wo Kontrolle aufgrund der Hierarchie nicht mehr stattfindet. Wenn sie ganz oben in der Nahrungskette stehen haben sie fast niemanden, der ihnen auf die Finger schaut.

Was ich schon seit Jahren predige fängt jetzt an: Unternehmen beginnen, in Prävention zu investieren. Es gibt eine Menge von Verordnungen zum Arbeitnehmerschutz, die Prävention gegen sexuelle Belästigung ist jedoch keine gesetzliche Verpflichtung, d.h. Arbeitgeber sind oft nicht bemüht, diese zu verhindern. Momentan ist es so, dass erst dann, wenn etwas vorgefallen ist, reagiert wird und man zu fragen beginnt, ob man das nicht verhindern hätte können oder wie man es in Zukunft verhindern kann. Man kann nur jedem Unternehmen raten, ein Konzept zur Prävention gegen sexuelle Übergriffe zu etablieren.

 

ANWALT AKTUELL: Wie sieht es damit im Arbeitsrecht aus. Welche Konsequenzen haben die meist männlichen sexuellen Übergriffe für den Verursacher?

 

Katharina Körber-Risak: Belästigung von Mitarbeiterinnen ist ein klarer Entlassungsgrund. Die Rechtsprechung hat sich hier in den letzten Jahren einschneidend verschärft. Bei den Gerichten spürt man „zero tolerance“, d.h. schon bei kleineren, z.B. rein verbalen Belästigungen werden Entlassungen als berechtigt angesehen. Arbeitsrechtlich ist es wichtig, dass die Konsequenz auch gesetzt wird, weil nur das dazu führt, dass sich auch andere melden. Ich habe die Wahrnehmung, dass dieses Thema bei Unternehmen verschiedener Branchen in ganz Österreich, die wir beraten, immer wichtiger wird, vor allem, um Reputationsschäden zu vermeiden. Insgesamt sehe ich allerdings noch eine überwiegende Zahl von Unternehmen, die gar nicht wissen, was zu tun ist. Es fehlt hier an Aufklärung.

 

Frau Dr. Körber-Risak, danke für das Gespräch.