TURBO-ERFOLG. Innerhalb von eineinhalb Jahren wuchs das Juristinnennetzwerk „Paragraphinnen“ von Null auf 650 Mitglieder. Grundidee der jungen Frauen ist es, einander beim Berufseinstieg zu helfen. Durch Mentoring, durch Information über die Lage am anwaltlichen Markt und durch Unterstützung eines professionellen Berufszuganges. Die (Noch-)Studentin Dora Bertrandt hat das Netzwerk gegründet.
E s gibt Menschen, die versprühen feinstoffliche Begeisterung wie einen guten Duft. Wenn Dora Bertrandt vom Juristinnennetzwerk „Paragraphinnen“ spricht, dann nicht mit Vorwürfen, was alles Frauen nicht erreichen können, sondern im Kammerton des Gelingens. Sie vermittelt glaubhaft die Vision einer schon bald erreichbaren juristischen Welt, in der die Frauen ganz selbstverständlich ihre Rolle „in Augenhöhe“ der Männer spielen.
Starke Wurzeln
Dora Bertrandt, die kurz vor dem Abschluss ihres Studiums der Rechtswissenschaften steht, wurde in eine Anwaltsfamilie in Zagreb geboren. Ihre Mutter, international tätige Advokatin, vermittelte ihr zwei wesentliche Prinzipien: die Welt steht offen – für Frauen, die sich behaupten können. Mit 14 übersiedelte das Mädchen nach Norddeutschland und erlernte bei Rotary-Gastfamilien die deutsche Sprache. Ein Jahr danach kam sie nach Wien, absolvierte ein Nobelgymnasium und folgte ihrer Mutter auf dem Weg in die Juristerei. Mehrere Jahre war sie Vorsitzende der StudentInnenvertretung am Juridicum. Am Ende dieser Tätigkeit entwickelte sie die Idee, junge Juristinnen im Rahmen eines Netzwerks zusammenzubringen.
Fehlender Praxisbezug
Die einzige kleine negative Anmerkung, die man Dora Bertrandt entlocken kann, ist der Hinweis auf die Wirklichkeitsferne des Studiums in Österreich: „Man bekommt null Einblick in die praktische Welt!“ Das sagt sie, weil es ihrer Meinung nach auch anders geht. Von einem ihrer Auslandsaufenthalte in Amsterdam bringt sie die Erfahrung mit, dass Studentinnen und Studenten der Rechtswissenschaften mehrere „verpflichtende Praktika zu absolvieren haben, an deren Ende jeweils gnadenlose Bewertungen stehen.“ Der Alltag des Studienbetriebs hierzulande lasse Interessantes oder Motivierendes größtenteils vermissen: „Uns wird nicht der Eindruck vermittelt, dass das Rechtsleben interessant ist.“
Frauenförderung durch Know-how
Diese Praxisferne wollen die „Paragraphinnen“ im Rahmen ihrer Meetings nachhaltig abfedern. Juristinnen aus den verschiedensten Berufsbereichen, Staatsanwältinnen, Richterinnen und Anwältinnen stellen sich dem Netzwerk als Vortragende und Mentorinnen zur Verfügung. In den eineinhalb Jahren seit der Gründung sind es schon fünf Standorte, an denen regelmäßige Treffen (in Cafés, Kanzleien…) stattfinden: Wien, Linz, Salzburg, Innsbruck und Graz. Inhaltlich geht es dabei „um Fragen, die nie öffentlich gestellt werden.“
Die Einstellung ihrer Netzwerk-Kolleginnen fasst Dora Bertrandt so zusammen: „Junge Leute, die den Beruf neu definieren.“ Im Gegensatz zu früheren Generationen handele es sich jetzt um „informierte Menschen, die ihren Weg kennen und nicht bereit sind, sich auf diesem Weg zu verlieren.“ Abgesehen davon, dass man aufpassen müsse, „als Konzipientin nicht gleich in eine 60-Stunden-Woche zu rutschen“ trainieren die jungen Juristinnen einander gegenseitig, „schon am Anfang genau zu fragen“.
Die aktuelle Lage am Arbeitsmarkt begünstige das Selbstbewusstsein der jungen Juristinnen. Angesichts eines Angebotes offener Berufsanwärterinnenstellen, wie es ein solches in den letzten Jahrzehnten selten gegeben hat, verlaufen auch Bewerbungsprozesse anders als in der Vergangenheit, weiß Bertrandt.
„Wir raten unseren Kolleginnen, vor dem Eintritt in eine Kanzlei sehr genau zu definieren, wie sie gerne arbeiten möchten, welches Ausbildungsziel sie sich wünschen und in welchem zeitlichen Umfang sie bereit sind, sich einzubringen.“ Natürlich sind auch die Gehälter ein wichtiges Thema. Im Netzwerk findet darüber ein reger Austausch statt.
Stichwort Begeisterung
Mag sein, dass „Paragraphinnen“-Gründerin Dora Bertrandt die Begeisterung für den Beruf der Anwältin von ihrer Mutter geerbt hat. Ihren Kolleginnen, die sich dieses positive Gefühl erst erwerben müssen, rät sie, schon während des Studiums möglichst viel Praxisbezug einzufordern und sich selbst durch die Mitarbeit in Kanzleien zu holen. Auch dabei hilft das Netzwerk: über 40 Kooperationspartner in ganz Österreich, meist Anwaltskanzleien, unterstützen die „Paragraphinnen“, auch mit dem Angebot zur Mitarbeit. Dass die neue „Generation Selbstbewusstsein“ schon eineinhalb Jahre nach Gründung der „Paragraphinnen“ als wichtige Institution wahrgenommen wird zeigt die Auszeichnung von Dora Bertrandt im Rahmen der „Woman in Law“-Jahrestagung 2022 in Wien.