Offener Brief an die Bundesministerin für Justiz

Sehr geehrte Frau Bundesministerin Dr. Zadic´!

 

Ich wende mich mit diesem offenen Brief einerseits an Sie als politisch verantwortliche Bundesministerin für Justiz und andererseits aber auch an die Öffentlichkeit, weil unser Anliegen die Allgemeinheit betrifft. Sie sind als promovierte Juristin und durch Ihre mehrjährige Tätigkeit als Rechtsanwältin bestens mit der Arbeit der österreichischen Rechtsanwaltschaft vertraut. Sie kennen die Anliegen Ihrer vormaligen Kolleginnen und Kollegen, die noch vor kurzem auch Ihre Anliegen waren, und Sie wissen auch, dass diese eine wesentliche Bedeutung für den Rechtsstaat an sich haben.

 

Ihre ehemalige Kollegenschaft, insgesamt sind es österreichweit 6.900 Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte sowie 2.300 Rechtsanwaltsanwärterinnen und -anwärter, leistet Jahr für Jahr unzählige Stunden an unentgeltlicher Arbeit im Dienst der Menschen in diesem Land. Im Schnitt werden pro Jahr ca 40.000 Bürgerinnen und Bürger unentgeltlich vertreten oder beraten. Die Anpassung der Pauschalvergütung von 21 auf 23 Millionen Euro ist deshalb gut und richtig.

 

Nur fehlt noch immer die Umsetzung der für die Aufrechterhaltung einer geordneten Rechtspflege wohl wichtigsten Forderung: Die seit mittlerweile fast zwei Jahren notwendige Anpassung des Rechtsanwaltstarifs. Und dies tatsächlich nicht bloß deshalb, weil es sich um eine für die anwaltliche Arbeit überfällige Inflationsanpassung handelt, sondern weil Obsiegende in einem Zivilprozess derzeit um einen wesentlichen Teil des ihnen zustehenden Kostenersatzes gebracht werden. Das hält Menschen davon ab, den Rechtsweg zu beschreiten, und hält somit auch Bürgerinnen und Bürger ebenso wie Unternehmen davon ab, „ihr gutes Recht“ zu erlangen.

 

Die Anpassung des Rechtsanwaltstarifs ist aber auch aus ökonomischer Sicht geboten: Seit der letzten Anpassung im Jahr 2015 mit Wirksamkeit 1. Jänner 2016 mussten wir einen Wertverlust durch Inflation in Höhe von über 25% hinnehmen. Ich glaube kaum, dass ein anderer Berufsstand einen derartigen realen Einnahmenausfall akzeptieren würde. Die Protestmaßnahmen anderer wären sicher schon viel schärfer ausgefallen (und das mit gutem Recht) als jene der Rechtsanwaltschaft bisher.

 

Wir arbeiten an der Schnittstelle zwischen Individualinteressen und dem Rechtsstaat. Das Wohl unserer Klientinnen und Klienten ist unser vordringlichstes Anliegen. Um dieses Anliegen und die Interessen unserer Mandantinnen und Mandanten durchzusetzen, sind unser Geschick und unsere Rechtskenntnis ebenso erforderlich wie das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in den Rechtsstaat. Wenn diejenigen, die über den Rechtsstaat wachen und auch immer dann Kritik üben, wenn der Rechtsstaat in Bedrängnis gerät, von der Politik offenkundig kurzgehalten werden, wirft das ein schlechtes Licht auf den Umgang des Staates mit den wichtigsten Fürsprechern des Rechtsstaates. Diesem Anscheinsverdacht gilt es gemeinsam entgegenzuwirken.

 

Ich ersuche Sie deshalb eindringlich um Ihre Unterstützung bei der Anpassung des Rechtsanwaltstarifs. Im Interesse des Rechtsstaates, für dessen Aufrechterhaltung wir uns gemeinsam einsetzen sollten.

Mit freundlichen Grüßen

 

 

Dr. Armenak Utudjian

Präsident des Österreichischen Rechtsanwaltskammertages