Baby-Boomer-Problem in der Justiz, Nachwuchssorgen in Kanzleien


PENSIONIERUNGEN / FALSCHE AUSBILDUNG. Auf die Justiz und die Verwaltung insgesamt kommt mit dem bevorstehenden Ruhestand der Babyboomer-Generation ein gewaltiges Personalproblem zu. Auf der
anderen Seite suchen Anwaltskanzleien händeringend nach geeigneten Konzipientinnen und Konzipienten.


Je nach Definition nennt man auch in Mitteleuropa jene Menschen, die den geburtenstarken Jahrgängen zwischen 1960 und 1975 angehören „Baby-Boomer“. Die Frauen und Männer dieser Generation sind dabei, sich in den Ruhestand zu verabschieden. Während man sich in der Wirtschaft elastisch darauf vorbereitet (hat) scheint diese Nachricht bei Justiz und Verwaltung noch nicht ausreichend angekommen zu sein.

Sabine Matejka, Präsidentin der Richtervereinigung, warnt: „In den nächsten fünf bis zehn Jahren werden wir durch Pensionierung einen massiven Abgang von Richterinnen und Richtern haben. Wir machen das Justizministerium regelmäßig darauf aufmerksam, rechtzeitig Personal aufzunehmen und auszubilden, um die einschneidenden
Pensionierungslücken aufzufüllen.“

Matejka sieht wenig Anzeichen, dass man die Dramatik der Lage im Ministerium erkennt.

Warum aber fehlt qualifizierter Richternachwuchs? „Die Ursachen dafür liegen in der Sparpolitik der Vorjahre. Es wurden mehr oder weniger unvorhergesehen Stellen bei der Staatsanwaltschaft geschaffen, die den Pool der jungen Kolleginnen und Kollegen in der Richterschaft verringert haben.“

 

Auch die Verwaltung ist betroffen

Massive Nachwuchssorgen gibt es beispielsweise auch in der Finanzverwaltung, wo für sämtliche Bereiche gut ausgebildetes Personal händeringend gesucht wird. Nachdem in der Vergangenheit eher Steuerberater qualifizierte Bewerberinnen und Bewerber aus den Finanzämtern fischten versucht man nun, gute Leute aus dem Beratungsbereich für die Behörden zu gewinnen.

Mit großer Energie suchen auch Verwaltungsbehörden verschiedener Ebenen nach gutem Nachwuchs. Auf deren Wunschliste an erster Stelle stehen junge Juristinnen und Juristen.

 

Großes Angebot für Qualifizierte

Mittlerweile verlangen auch Landes- und Bundesbehörden von den Bewerbern mehr als ein abgeschlossenes Studium der Rechtswissenschaften. Um beispielsweise für einen Rotationsjob in der Landesverwaltung aufgenommen zu werden müssen sich die jungen Juristinnen und Juristen zumeist mehreren Hearings stellen,
in denen neben der juristischen Fachqualifikation insbesondere soziale Kompetenzen nachgefragt werden.

Deutlich zugenommen hat auch das Angebot für die Nachfolge im Bereich der Unternehmensjuristinnen und -juristen. Auch hier findet spürbar eine Ablöse der Baby-Boomer-Generation statt.

 

Senioren bleiben, Nachwuchs fehlt

Teilweise als „dramatisch“ gilt die Lage am anwaltlichen Nachwuchsmarkt. Gut informierte Insider schätzen die derzeitige „Lücke“ allein in Wien auf rund 200 Konzipientinnen und Konzipienten.

Der auf Juristen spezialisierte Headhunter Bernhard Breunlich („Lawyers and more“) relativiert diese Zahl: „Das Problem liegt hauptsächlich darin, dass die Zahl guter Kandidatinnen und Kandidaten knapp ist“. Sein Unternehmen müsse bereits im Ausland nach geeigneten Leuten für Spezialgebiete (aktuell: „Sanktionen-Recht“) suchen.

Ganz generell klagt Breunlich aber darüber, dass es momentan zu wenige Kandidatinnen und Kandidaten in den Disziplinen Gesellschaftsrecht sowie M&A-Transaktionen gebe. Eine starke, ebenfalls kaum erfüllbare Nachfrage sieht er für den Nachwuchs im streitigen Strafrecht/Litigation.

Die Kanzleigründerinnen und -gründer, ebenfalls Baby-Boomer, halten durch, machen weiter und sichern damit die Kontinuität der Kanzleien. Doch ewig Zeit bleibe nicht, warnt Breunlich. Es sei dringend geboten, an den Universitäten umzudenken. Weder die Studierenden noch die Lehrenden machten sich rechtzeitig Gedanken
zum Praxisbezug. „Wissenschaft wird bevorzugt, die anwendungsbezogene Ausbildung bleibt oft auf der Strecke“, meint der Personalberater. Als rühmliche Ausnahme nennt er die WU Wien.