„Bereits die Aufnahme von Ermittlungen wird als starkes Signal wahrgenommen“

EXPLOSION DER PREISE. Österreich steht im Spitzenfeld der europäischen Inflationsländer. Mittlerweile gerichtsanhängige Klagen gegen Energieunternehmen drängen die Frage auf, ob hierzulande Wettbewerb überhaupt noch funktioniert. Die Bundeswettbewerbsbehörde ist einigen Branchen auf der Spur, die die Lage zur Gewinnmaximierung nützen. Ein Gespräch mit der interimistischen Leiterin der Bundeswettbewerbsbehörde (BWB).

Interview: Dietmar Dworschak

ANWALT AKTUELL: Frau Dr. Harsdorf-Borsch, seit Monaten herrscht in Österreich eine deutlich höhere Inflation als in anderen europäischen Ländern. Wie weit hat das mit fehlendem Wettbewerb und Absprachen in verschiedenen wirtschaftlichen Bereichen zu tun?

 

Natalie Harsdorf-Borsch: Ganz generell kann man sagen, dass fehlender Wettbewerb jedenfalls mittelfristig zu höheren Preisen führt. Daraus folgt jedoch nicht, dass die Inflation eine unmittelbare Folge ineffektiven Wettbewerbs ist.

 

ANWALT AKTUELL: Warum ist es in den anderen Ländern in Sachen Inflation wesentlich besser?

 

Natalie Harsdorf-Borsch: Es gibt ein unterschiedliches Bild in Europa. In einigen Ländern ist die Inflation höher als bei uns, in anderen Ländern niedriger. Die Wettbewerbspolitik und das Wettbewerbsrecht sind sicher wichtige Instrumente, die Hauptinstrumente zur Bekämpfung der Inflation liegen aber auch in anderen Policy-Bereichen.

 

ANWALT AKTUELL: Wie kommen Sie Preistreibern auf die Spur? Recherchieren Sie selbst oder bekommen Sie Hinweise?

 

Natalie Harsdorf-Borsch: Die Arbeit einer Ermittlungsbehörde beruht auf verschiedenen Instrumenten, um Evidenz oder Hinweise zu generieren. Da gibt es etwa das Kronzeugenprogramm für Unternehmen, das im Kartellrecht sehr gut funktioniert. Wir hatten seit Bestehen dieses Programms rund 120 Kronzeugenanträge. Damit steht Österreich in Europa relativ weit vorne. Das andere ist ein bereits seit Jahren funktionierendes Hinweisgebersystem der BWB. Wir erfüllen bereits jetzt die Vorgaben des Hinweisgeberschutzgesetzes, womit wir auch hier eine Vorreiterrolle einnehmen. Daneben bekommen wir nicht anonyme Beschwerden aus dem Markt – von Kunden, Abnehmern, Lieferanten und Mitberbern an verschiedenen Stellen. Auch das fließt in unsere Arbeit ein. Ein weiterer wichtiger Baustein ist die gute Zusammenarbeit mit anderen Institutionen, seien es der Rechnungshof, die Regulatoren oder der ganze Bereich des Strafrechtsvollzuges. Ein Kartell kommt niemals als Ganzes „auf den Tisch“, wir müssen jeweils mühselig Puzzles zusammensetzen.

 

ANWALT AKTUELL: Wie sehen Sie die Lage am Energiemarkt? Wir nehmen wahr, dass die Einkaufspreise am Energiemarkt seit einiger Zeit markant sinken, die Preise für die Konsumenten allerdings auf Höchstwerten verharren. Wie gehen Sie mit diesem Phänomen um?

 

Natalie Harsdorf-Borsch: Wir arbeiten aktuell mit dem Regulator für diesen Bereich sehr eng zusammen und analysieren im Rahmen einer Task-Force das Verhalten der Anbieter sehr genau. Wir schauen uns auch an, welche Auswirkungen die sogenannte Strompreisbremse zeigt. Mittlerweile gibt es Bewegung. Auf den Websiten einiger Anbieter finden sich die früher viel höheren Angebote nicht mehr bzw. werden mittlerweile schon wieder niedrigere Tarife angeboten.

 

ANWALT AKTUELL: Die Steigerung der Energiekosten wirkt sich auf die gesamte Wirtschaft aus. Plötzlich steigen die Mietpreise, die Lebensmittelpreise usw. Überprüfen Sie auch, welche Folgewirkungen hier entstehen?

 

Natalie Harsdorf-Borsch: Die massive Steigerung der Energiepreise hat deutliche Auswirkungen auf Konsumentinnen und Konsumenten. Besonders ist uns der Bereich der Lebensmittel ins Auge gestochen. Gegenüber anderen Produktbereichen ist es hier zu besonders hohen Steigerungen gekommen. Hier haben wir auch besonders viele Beschwerden bekommen. Wir sehen uns aktuell die Wertschöpfungskette bis zum Konsumenten hin an – unter besonderer Beobachtung der Bereiche Produktion und Handel.

In einem ersten Schritt haben wir die Lebensmittelhändler befragt, im zweiten Schritt wollen wir’s bei 1.500 Lieferanten genauer wissen.

 

ANWALT AKTUELL: Sind Sie – grundsätzlich gefragt – der Meinung, dass in Österreich der Markt überhaupt noch funktioniert? Es gibt ja fast keinen Bereich mit Preiskorrekturen nach unten, sondern offensichtlich nur noch Aufwärtsbewegungen, an denen scheinbar alle mitmachen und mitverdienen, mit Ausnahme der Konsumentinnen und Konsumenten…?

 

Natalie Harsdorf-Borsch: Gerade in dieser aktuellen Situation ist es besonders wichtig, eine sehr aktive Wettbewerbsbehörde in Österreich zu haben. Wir unterscheiden zwischen mehr oder weniger konzentrierten Märkten. Es ist unsere Aufgabe, weitere Konzentrationen zu verhindern und gleichzeitig Einschränkungen des Wettbewerbs aufzugreifen. Was wir natürlich jeweils brauchen ist ein entsprechender Anfangsverdacht.

 

ANWALT AKTUELL: Untersuchen und dokumentieren ist die eine Seite. Was geschieht dann aber konkret? In welcher Zeitspanne wird es Konsequenzen und Strafen geben? Ist es vorstellbar, dass zu diesem Zeitpunkt schon viele Konsumentinnen und Konsumenten „auf der Strecke“ geblieben sind?

 

Natalie Harsdorf-Borsch: Wir stellen fest, dass man bereits die Aufnahme von Ermittlungen durch die Wettbewerbsbehörde am Markt als starkes Signal wahrnimmt. Das heißt, das sich hier manchmal sehr rasch positive Konsequenzen für Konsumentinnen und Konsumenten ergeben. Richtig ist natürlich, dass die vor Gerichten geführten Kartellverfahren eine bestimmte Zeit in Anspruch nehmen. Dies gilt auch für ordentliche Marktuntersuchungen. Wir haben letztes Jahr in einem Rekordtempo innerhalb von drei Monaten den Bericht zu den Treibstoffen vorgelegt. Bei verschiedenen komplexen Märkten mit einer Vielzahl von Produkten ist dies in einer solchen Zeit nicht möglich, wie etwa im Lebensmittelbereich.

 

ANWALT AKTUELL: Wie ist Ihre Erfahrung mit der Veröffentlichung von Marktanalysen oder Kartellklagen? Stellen Sie Einsicht und Verhaltensänderung fest oder wird gezahlt und weitergemacht wie zuvor?

 

Natalie Harsdorf-Borsch: Der präventive Aspekt unserer Arbeit ist sicher sehr relevant. Damit die Arbeit der BWB einen starken Effekt hat muss es natürlich auch die entsprechenden Sanktionen durch das Kartellgericht geben. Wenn wir zum Beispiel die Verfahren gegen das Baukartell ansehen, hat das Kartellgericht durchaus substantielle Sanktionen verhängt. Dies muss nun auch dazu führen, dass die Unternehmen entsprechende Compliance-Anstrengungen setzen. Ich persönlich hoffe sehr, dass wir nicht in 10 Jahren über das nächste Baukartell sprechen.

 

ANWALT AKTUELL: Bereits Ihr Vorgänger hat auf die unzureichende personelle Ausstattung der BWB hingewiesen. Hat sich hier mittlerweile etwas verbessert?

 

Natalie Harsdorf-Borsch: Die Bundeswettbewerbsbehörde hat derzeit rund 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Damit versuchen wir, den größtmöglichen Output zu erzielen. Die Situation ist etwa vergleichbar mit der Polizei: Je mehr Ressourcen ich habe, umso mehr kann ich ermitteln und aufklären. Mehr ist natürlich immer möglich, doch geht es uns um die möglichst hohe Qualität der Arbeit durch top ausgebildete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die aus ganz verschiedenen Bereichen kommen. Kürzlich haben wir eine weitere Mitarbeiterin aus dem Bereich der Korruptionsbekämpfung abgeworben und aufgenommen. So etwas ergänzt unsere Kompetenzen.

 

ANWALT AKTUELL: Haben Sie grundsätzlich das Gefühl, dass in Österreich Wettbewerb und dessen Kontrolle willkommen sind oder zeigt die Stimmung in Richtung des Ausbaus von Monopolen und Kartellen?

 

Natalie Harsdorf-Borsch: Historisch gesehen ist der Wettbewerbsvollzug im Sinne einer modernen Behörde nicht sehr alt. Die Bundeswettbewerbsbehörde und der Kartellanwalt wurden 2002 gegründet. Geschichtlich gesehen sind wir eine sehr junge Behörde, im Vergleich zu Deutschland und anderen umliegenden Jurisdiktionen oder die zur langen Entwicklung dieses Themas in den USA. Ich denke, dass wir deshalb in der Bewusstseinsbildung noch sehr viel Arbeit leisten müssen.

 

Frau Dr. Harsdorf-Borsch, danke für das Gespräch.