„Der Strompreis muss unter Berücksichtigung der Regionalität, des Allgemeinwohls und der Leistbarkeit gestaltet werden“

AKTIONÄR ODER KONSUMENT? Führende Energiemanager traten im Zuge der explosiven Preissteigerungen breitbeinig vor die Kameras und erklärten, es falle ihnen ja gar nicht ein, die Aktionärsinteressen zu verletzen und strafrechtlich belangt zu werden. Susanne Kalss, führende Expertin des österreichischen Aktionärsrechts, widerspricht den Erzählungen von Unternehmensvorständen und Aufsichtsräten.

ANWALT AKTUELL: Frau Professor Kalss, wie beurteilen Sie die Aussagen von Politikern, sie hätten als Aufsichtsräte gar nicht anders können als den saftigen Preissteigerungen der Energieversorger zuzustimmen?

 

Susanne Kalss: Ich glaube, als Aufsichtsrat sollte man in der Öffentlichkeit überhaupt nicht darüber sprechen, was man hätte tun können. Der Aufsichtsrat ist ein internes Organ und hat mit dem Vorstand zu beraten, zu diskutieren und abzuwägen. Der Vorstand hat Vorschläge zu machen und der Aufsichtsrat hat im Sinne des Unternehmenswohls unter Berücksichtigung der Aktionärsinteressen, der Arbeitnehmerinteressen und der Öffentlichkeit eine Entscheidung zu treffen.

 

ANWALT AKTUELL: Heißt das, dass der Vorstand eine Preiserhöhung durchsetzen kann, ohne sich um die Meinung des Aufsichtsrats zu kümmern?

 

Susanne Kalss: Das wird der Vorstand sicher nicht tun. Der Vorstand ist in Österreich mit einer starken Position ausgestattet. Er führt in eigener Verantwortung das Unternehmen und ist erstzuständig für Entscheidungen. Der Aufsichtsrat muss in einem Energieunternehmen gar nicht unbedingt gefragt werden. Es gibt hier keinen gesetzlichen Zustimmungskatalog. Allerdings könnten es die Aktionäre oder der Aufsichtsrat selber zu einer zustimmungspflichtigen Aufgabe machen.

 

ANWALT AKTUELL: Wenn man kreuz und quer durch Österreich schaut, drängt sich der Eindruck auf, dass in den Vorständen der diversen Energieunternehmen sehr unterschiedliche Temperamente herrschen. Ist aktienrechtlich jede Preissteigerung zulässig, wenn sie nur möglichst viel Profit für die Aktionäre bringt?

 

Susanne Kalss: Der Strompreis ist ein extrem regulierter Preis. Die verschiedenen Energieversorger sind hier unterschiedlich betroffen, was davon abhängt, ob man viel selbst produziert oder überwiegend einkaufen muss. Ich glaube nicht, dass es allein eine Profitmaximierung ist, sondern die Sorge, in dieser turbulenten Zeit plötzlich in eine Schieflage zu kommen.

 

ANWALT AKTUELL: Ist es aktienrechtlich von Belang, ob ein Energieversorger in seiner Region ein Monopol hat? Muss man den Konsumenten dann raten, in ein anderes Bundesland zu übersiedeln?

 

Susanne Kalss: Je stärker ich als Energieversorger in einem Gebiet bin, umso bessere Gestaltungsmöglichkeiten habe ich dort. Das ist allerdings kein aktienrechtliches Problem, sondern ein wettbewerbsrechtliches. Die Frage lautet immer: Was darf ich denn meinen Kunden anbieten, ohne dass ich etwas dafür bekomme… ich denke hier an Daten oder Wechselmöglichkeiten.

 

ANWALT AKTUELL: Ist irgendwo im Aktienrecht verankert, dass es neben der Profitmaximierung auch eine Rücksicht auf das Gemeinwohl geben muss?

 

Susanne Kalss: Das ist ja das Tolle am österreichischen Aktienrecht, dass wir das haben. Der Vorstand und der Aufsichtsrat haben den „dauerhaften Bestand des Unternehmens“ zu sichern. Daneben steht im österreichischen Aktienrecht seit 1937/1938, dass das öffentliche Wohl mit zu berücksichtigen ist. Es geht also nicht nur um Maximierung. Der Strompreis muss unter Berücksichtigung der Regionalität, des Allgemeinwohls und der Leistbarkeit gestaltet werden. So steht es in den Landesenergieversorgungsgesetzen. Das wird auch ein großes Thema für die Nachhaltigkeit werden.

 

ANWALT AKTUELL: Wo bleibt das Gemeinwohl, wenn, wie geschehen, Preissteigerungen von 140 Prozent und mehr ausgerufen werden?

 

Susanne Kalss: Eine Preiserhöhung, um in der aktuellen Situation den Gewinn stabil zu halten bzw. zu steigern wäre derzeit nicht das Angemessene. Wenn die Preissteigerung durch die deutlich gestiegenen Einkaufspreise oder extreme Investitionen bedingt ist kann das eine betriebswirtschaftlich verständliche Reaktion sein, um den Sorgfaltspflichten nachzukommen.

 

ANWALT AKTUELL: Wie beurteilen Sie das Verhalten eines Politikers, der als Aufsichtsrat eines Energieversorgers massive Preissteigerungen „zur Kenntnis nimmt“ und gleichzeitig weiß, dass der üppige Übergewinn seinem Landesbudget zugutekommt?

 

Susanne Kalss: Das ist, klar gesagt, ein Interessenskonflikt. Hier steht das öffentliche Interesse gegen das Aktionärsinteresse. Beim Aktionärsinteresse ist er als Mehrheitseigentümer der Profiteur, während jede Kundin, jeder Kunde das „öffentliche Interesse“ darstellt. Diese Abwägung hat jeder Aufsichtsrat in ausgewogener Weise vorzunehmen. Es könnte sinnvoll sein, wenn der Aktionärsgewinn budgetär mit einer Auflage versehen wird.

 

Frau Professor Kalss, danke für das Gespräch.