Die Zukunft anwaltlicher Altersvorsorge – eine Bankrotterklärung?

Es ist Zeit für eine kritische und schmerzhafte Analyse.

I. Der Ist-Zustand:

Unsere Pensionen aus dem Umlagesystem werden teils aus der Pauschalvergütung für Verfahrenshilfe und teils aus zu zahlenden Beiträgen der Kammermitglieder (Zahlbeiträgen) finanziert. Die zu zahlenden Beiträge sind naturgemäß umso höher, je geringer die Pauschalvergütung ist und je weniger Beitragszahler es im Verhältnis zu den Leistungsempfängern gibt.

 

Die Pauschalvergütung für Verfahrenshilfe wurde bei einer Inflation von 50,6 % seit 2007 von 18 Mio auf 23 Mio Euro, also um circa 28% angehoben. Alle Wertverluste zwischen den Erhöhungen (2007, 2020 und 2023) und bis zur nächsten Erhöhung gehen dauerhaft und zur Gänze zulasten der Anwaltschaft.

 

Die zu zahlenden Beiträge (Zahlbeiträge) belasten die Kammermitglieder besonders, weil der Rechtsanwaltstarif nicht entsprechend der Inflation angepasst wird. Seit der letzten Anpassung mit 1.1.2016 stieg der VPI 2015 um fast 30%. Nach mehr als 6 Jahren konnte trotz intensivster Bemühungen des ÖRAK bisher keine neue Anpassung erwirkt werden. Sollte sie kommen, wird sie – wie auch in der Vergangenheit – hinter der Inflation zurückbleiben.

 

Als logische Folge werden Pensionen, aber auch die Anwartschaften der Aktiven seit Jahren nicht vollständig an die Inflation angepasst. Unsere künftigen Pensionen verlieren Jahr für Jahr deutlich an Wert, obwohl die zu zahlenden Beiträge Jahr für Jahr über der Inflation steigen.

 

Die durchschnittliche Altersrente aus dem kapitalgedeckten Teil B (kurz „Zusatzpension“ genannt) belief sich im Jahr 2021 im österreichweiten Durchschnitt auf Euro 201,35 brutto monatlich. Kürzungen aufgrund der beträchtlichen Veranlagungsverluste des Jahres 2022 werden folgen. Für die Zukunft bleibt vorerst nur die Hoffnung.

 

Die Prämie, die für die durch die Kammern organisierte UNIQA Krankenversicherung (nur für den GSVG-Ersatz!) durch ältere (ehemalige) Kammermitglieder zu leisten sind, sind geradezu explodiert. Sie steigen prozentuell überproportional mit dem Alter und liegen 2023 in der Steiermark bei circa 500,- Euro für 70-jährige, bei Euro 630,– für 80- jährige und bei Euro 728,– für den ältesten Versicherten pro Monat. Angesichts der Inflation des heurigen Jahres wird man wohl wieder mit deutlichen Steigerungen – vor allem für die ältere Generation rechnen müssen. Das Prämienniveau ist für alle Kammern im Wesentlichen ident.

 

II. Die Zusammenführung der Versorgungseinrichtungen als Scheinlösung.

Dass es auch bei Zusammenführung nicht möglich ist, das Rentenniveau innerhalb absehbarer Zeit zu erhöhen, ist geklärt. Dafür fehlt das Geld. Und klar ist auch: Auch nach einer allfälligen Zusammenführung müssen die Beiträge für werthaltige Pensionen und Anwartschaften über der Inflation angepasst werden. Jahr für Jahr und über Jahrzehnte!

 

Das Kernproblem unseres Umlagesystems bleibt auch im Falle einer Zusammenführung bestehen. Es liegt darin, dass vom Einkommen unabhängige Beiträge vorgeschrieben und dafür einheitliche Ansprüche erworben werden. Diese Vorgehensweise ist in Österreich einzigartig.

 

Sie wirkt im ersten Moment gerecht, ist es aber nicht. Während einige (und wahrscheinlich gar nicht so wenige) Kammermitglieder Beiträge aufbringen, die in keiner vertretbaren Relation zu ihrem Einkommen stehen, zahlen andere die Beiträge „aus der Portokasse“, was ihnen durchaus gegönnt sei. Erstere können nur einen ganz kleinen Steuervorteil aus der Beitragszahlung lukrieren, letztere immerhin 50%.

 

Erstere sind in inakzeptabler Höhe durch die zu zahlenden Beiträge belastet, besonders dann, wenn sich diese einmal den Höchstbeiträgen im Staat nähern, was sie erwiesenermaßen tun.

 

Demgemäß muss bei Festsetzung der Beiträge auf wirtschaftlich Schwächere Rücksicht genommen werden. Solange das so ist, ist in unserem System kein Platz für durchaus wünschenswerte Solidarleistungen, wie z.B. Kindererziehungszeiten mit voller Anrechnung auf die Pension etc.

 

Solange es für alle einheitliche Beiträge gibt (zur Finanzierung des Systems auch geben muss !) wird es keine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie geben. (Wer sollte Teilzeit arbeiten und Beiträge nahe am Höchstbeitrag aufbringen?)

 

Solange das so ist, wird man von RAA nur Teile der Beiträge verlangen können, wodurch sie in Wahrheit um Versicherungszeiten umfallen, die ihnen natürlich in Folge einer vollen Erwerbstätigkeit gerechterweise zustehen würden.

 

Solange wir unser Sondersystem aufrechterhalten, werden von uns erworbene Versicherungszeiten im staatlichen System brachliegen, weil wir die dort nötige Mindestversicherungszeit nicht erreichen.

 

Solange wir ein System betreiben, das auf jeden Staatszuschuss verzichtet und sich stattdessen mit ständig sinkenden Pauschalvergütungen tröstet, werden wir mit allen finanziellen Nachteilen leben müssen und zwar auch diejenigen, die sich das wahrlich nicht leisten können. Solange wir das tun, werden wir ein Pensionsantrittsalter von 70 Jahren haben bei voller Beitragspflicht und Ruhensbestimmungen.

 

Auch in einem zusammengeführten System wird man immer mehr für die Anwartschaften bezahlen und bei Rentenantritt immer weniger in Relation dafür bekommen, weil die Pensionen der Babyboomer zu finanzieren sind und das Problem sinkender Pauschalvergütung nicht verschwindet.

 

Die Zusammenführung mit der Gründung des Versorgungswerkes der österreichischen Rechtsanwaltschaft wird also ein familienfeindliches und unflexibles und für viele unangemessen belastendes System zementieren und perpetuieren, obwohl es allen Kammermitgliedern finanziell schadet. Für echte Solidarleistungen fehlt schlicht das Geld. Wer sie trotzdem gewährt, verteilt Geld, das nicht vorhanden ist und das (auch) zulasten derer, für die die eingehobenen Beiträge ohnehin viel zu hoch sind.

 

III. Der Vergleich mit dem staatlichen System:

Zum ersten Zusammenführungsmodell aus dem Jahr 2018 wurde eine Vergleichsrechnung mit dem staatlichen Pensionssystem FSVG/GSVG durchgeführt. (Gutachten o. Univ. Prof. Dr. Franz Marhold-Herbst Kinsky Rechtsanwälte GmbH gemeinsam mit Dr. Hubert Schicketanz-Dr. Heubeck Gesellschaft mbH vom 21. Jänner 2019) Das Ergebnis ist eindeutig. Jeder Tag, an dem das anwaltliche Sondersystem fortgeführt wird, schadet den Kammermitgliedern finanziell.

 

Für die zu bezahlenden Beiträge könnte man im staatlichen System doppelt so viel an Pension erwarten wie im anwaltlichen Sondersystem. Selbst bei gänzlichem (!) Wegfall des Staatszuschusses würden die Pensionen im Staat nur um ca 40% sinken. Auch in diesem unwahrscheinlichen Fall wäre sohin kein Nachteil zu erwarten gewesen.

 

Das Pensionsantrittsalter im Staat liegt bei maximal 65 Jahren, im Teil A bei 70. Wer 4 Jahre früher in Pension gehen will, verliert fast 30% seines Pensionsanspruches und das auf Lebenszeit!

 

Der bereits oben erwähnte Nachteil der mangelnden Durchlässigkeit führt zum Brachliegen von Anwartschaften, die im Staat erworben wurden.

 

Das gilt nicht nur für Jahre der Erwerbstätigkeit (Gerichtsjahr, Assistentenzeiten, Praktikazeiten etc) sondern auch für Kindererziehungszeiten. Jede Frau hat – auch wenn die Geburt des Kindes bereits Jahre zurückliegt – im staatlichen Pensionssystem Anspruch auf 48 Monate Kindererziehungszeit pro Kind. Diese werden ihr gegen Vorlage der Geburtsurkunde des Kindes auf ihrem Pensionskonto gut gebucht. Dass sie davon als Rechtsanwältin nicht für ihre Altersversorgung profitiert, liegt daran, dass die Zeiten der Anwaltschaft nicht auf die im staatlichen System erforderliche Mindestversicherungszeit von 180 Monaten angerechnet werden.

 

Angesichts dessen, vor allem aber angesichts der erkennbaren Finanzierungsprobleme des anwaltlichen Sondersystems ist es verständlich, dass sich im Jänner 2020 immerhin sechs der neun Rechtsanwaltskammern für die Aufnahme von Verhandlungen mit dem Staat ausgesprochen haben, mit der Zielsetzung, die Versorgungseinrichtungen nach dem Vorbild der Ziviltechniker in das staatliche System überzuleiten. (Es hätten alle zustimmen müssen, weil ein Übertritt nur möglich ist, wenn alle Kammern dazu bereit sind, in Verhandlungen einzutreten.)

 

Exkurs: Die Überleitung der Ziviltechniker

Den Ziviltechnikern ist es im Jahr 2012 gelungen, gegen Übertragung des Vermögens aus ihrem Pensionsfonds die Übernahme aller Zahlungsverpflichtungen aus zuerkannten Pensionen und bestehenden Anwartschaften durch die Sozialversicherung zu erreichen. Die Wertsicherung für Anwartschaften und Pensionen wurde gesetzlich beziehungsweise mit Feststellungsbescheid über die bestehenden Ansprüche gesichert.

 

Ab dem Zeitpunkt der Übernahme erwerben die Kammermitglieder Ansprüche nach dem FSVG, also dem staatlichen System für Freiberufler. Sie zahlen ab dann Beiträge bis zur Höchstbeitragsgrundlage in Abhängigkeit vom Einkommen.

 

Die bis zur Übertragung in das staatliche System erworbenen Ansprüche aus dem Sondersystem der Ziviltechniker werden als „Besondere Pensionsleistung“ neben allenfalls in den staatlichen Systemen erworbenen Pensionsleistungen (z.B aus freiwilliger Weiterversicherung) ausbezahlt (siehe §20c – § 20f FSVG).

 

IV. Schlussfolgerungen:

  1. Man sollte sich und den österreichischen Rechtsanwältinnen, Rechtsanwälten, Rechtsanwaltsanwärterinnen und Rechtsanwaltsanwärtern eingestehen, dass das anwaltliche Umlagesystem auf Dauer nicht in der Lage ist, werthaltige Pensionen in akzeptabler Höhe auszuzahlen. (Das liegt zum Gutteil daran, dass vom Einkommen der Mitglieder unabhängige Beiträge eingehoben werden müssen, die – vor allem wegen der Pensionierung der Babyboomer – über Jahrzehnte (!) über der Inflation steigen werden).

  2. Dieser Befund gilt auch für den Fall einer Zusammenführung von Versorgungseinrichtungen. Dabei sind zusätzlich die den Berechnungen und Gutachten für die Zusammenführung auf Wunsch und nach Schätzung der Rechtsanwaltskammern zugrunde gelegten Zuwachsraten bei den Beitragszahlern kritisch zu hinterfragen. Die Annahme, dass es über 70 Jahre durchschnittlich 335 Ersteintragungen geben wird, steht in deutlichem Widerspruch zum korrespondierenden Durchschnitt aus den Jahren 2011–2021 von 278,5 Ersteintragungen. (Gutachten Dr. Heubeck GmBH, Institut für Versicherungsmathematik vom 29.6.2022, Seite 6 vs. Jahresabschlüsse der Concisa, Statistische Daten). Woher diese Steigerung vor allem angesichts der ständig steigenden Beitragsbelastung und der um den Berufsnachwuchs konkurrierenden Berufsgruppen kommen soll, erschließt sich dem interessierten Leser nicht.

  3. Das vorliegende Strategiepapier des ÖRAK zur Rettung unseres Sondersystems „Ruster Thesen zur Zukunft der Versorgungseinrichtungen der österreichischen Rechtsanwaltskammern“ vom 10.7.2020 sollte nun, nach fast 3 Jahren einer offenen Diskussion zugänglich gemacht werden.
    Nach Ansicht des Ausschusses der Steiermärkischen Rechtsanwaltskammer würde die Umsetzung dieser Strategie zu nicht zu kompensierenden, deutlichen Pensionsverlusten für bestimmte Altersgruppen führen (abhängig von der genauen Ausgestaltung und Übergangslösung wahrscheinlich der heute zwischen 40 –55-jährigen). Die noch Jüngeren würden zu einem Gutteil auf erhoffte Börsengewinne verwiesen.

  4. Ein Beitritt in VÖR würde auch die Mitglieder der Steiermärkischen Rechtsanwaltskammer dem Risiko derartiger Absenkungen der Leistungen im Umlagesystem (Teil A) aussetzen. Die vage Aussicht auf Börsengewinne im Teil B kann und soll eine solide Altersvorsorge nicht ersetzen! Vor allem nicht für Kammermitglieder, die die Kammerpension als Teil ihres Lebensunterhaltes benötigen. Sie wird auch dem Erfordernis der Gleichwertigkeit für das Opting-Out aus dem GSVG nicht gerecht.

  5. Die einzig verbleibende Lösung im Interesse aller Kammermitglieder besteht darin, nach dem Vorbild der Ziviltechniker die Versorgungseinrichtungen ehestens in die gesetzliche Pensionsversicherung zu übertragen. Sonst werden wegen der real ständig sinkenden Pensionen eines Tages unsere Pensionisten die Prämien zur Uniqa Krankenversicherung nicht mehr bezahlen können. Das wäre sie dann wirklich, die Bankrotterklärung unserer Altersvorsorge.