„Vom Plastikmüll über Demokratie-Ausbau bis zum Europäischen Parlament“

AO. UNIV.-PROF. DR. HANNES TRETTER ist seit Anfang 2021 Vorstandsvorsitzender des „Wiener Forum für Demokratie und Menschenrechte“ www.humanrights.at
AO. UNIV.-PROF. DR. HANNES TRETTER ist seit Anfang 2021 Vorstandsvorsitzender des „Wiener Forum für Demokratie und Menschenrechte“ www.humanrights.at

FORSCHUNG UND BILDUNG. Das Ende 2020 gegründete „Wiener Forum für Demokratie und Menschenrechte“ setzt sich ehrgeizige Ziele. Einerseits sollen Defizite in Umwelt und Politik dokumentiert werden, andererseits plant man die Förderung junger WissenschafterInnen und StudentInnen sowie die Bildungsarbeit für unterschiedliche Zielgruppen.

 

Hannes Tretter sitzt zwischen Umzugkartons im 1996 gegründeten Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte im Schottenhof. Demnächst beginnt für den Universitätsprofessor ein neuer Lebensarbeitsabschnitt. Gemeinsam mit seinem Kollegen Manfred Nowak, ebenfalls ausgewiesener Menschenrechtsexperte, ist er nun im Vorstand des „Wiener Forum für Demokratie und Menschenrechte“. Parallel zur Umsiedlung gilt es bereits, ein wissenschaftliches Riesenprojekt zu betreuen:
„Plastikmüll im Mittelmeer“. 20 Studentinnen und Studenten arbeiten im Kontakt mit 14 Universitäten des Mittelmeerraums an einer Gesamtsicht der rechtlichen Situation rund um den geschlossenen Wasserkreislauf des Mittelmeers. Tretter: „Die große Frage ist: Wie gut bzw. überhaupt wird hier kontrolliert, welche Staaten welche Schadstoffe ins Meer leiten lassen“.
Unterstützung von umweltwissenschaftlicher Seite bietet die österreichische NGO „MareMundi“, die 1.200 Seiten Dokumentation zum Thema erstellt hat. Obwohl die Straße von Messina bereits als tickende Umweltzeitbombe identifiziert ist rührt sich rund ums Mittelmeer aktuell politisch wenig, um eine weiter negative Entwicklung zu vermeiden. Professor Tretter: „Wir wollen hier – unter Einarbeitung der wissenschaftlichen Erkenntnisse – die bestehenden rechtlichen Defizite aufzeigen und Vorschläge an die Europäische Union formulieren.“ Parallel dazu sind die aktive Kommunikation der Bedrohung in sozialen Medien sowie Anfang 2022 eine Themenkonferenz in Venedig geplant.

 

Aktivere Demokratie fördern
Ein weiterer Schwerpunkt der Arbeit des „Wiener Forums für Demokratie und Menschenrechte“ liegt bei der Aktivierung der demokratischen Prozesse in Österreich. Die Ausgangslage sieht Professor Tretter so: „Der Vertrauensverlust in demokratische und rechtsstaatliche Prozesse sowie das gestiegene Misstrauen gegenüber den ‚politischen Eliten‘ in Verbindung mit der rasanten Verbreitung und Nutzung sozialer Medien fordert Überlegungen, wie dieser höchst bedenklichen Entwicklung begegnet werden kann.“ Es gelte, der Bevölkerung bessere Möglichkeiten zu schaffen, sowohl an demokratischen Rechtssetzungsverfahren wie auch an rechtsstaatlichen Verfahren zu partizipieren. Erst wenn das Gefühl bestehe, sich persönlich in die weitgehend als anonym empfundenen Prozesse einbringen zu können werde die oft zitierte „Politik-Müdigkeit“ konkret bekämpfbar. „In unserem Projekt geht es um die Mitwirkung mittels Los ausgewählter und interessierter Bürgerinnen und Bürger bei der Beratung und Entscheidung bestimmter bedeutender Angelegenheiten, die in die gemeindliche Selbstverwaltung sowie in die Landes- und Bundesgesetzgebung fallen.“

 

Besserer Zugang zum VfGH
Als weitere Aktivität für 2021 betreibt das „Wiener Forum“ die Initiative zur Verbesserung des Zugangs zum Verfassungsgerichtshof: „Verfassungs- bzw. gesetzwidrig eingestufte Gesetze und Verordnungen können nur dann beim VfGH angefochten werden, wenn sie ohne gerichtliche oder verwaltungsbehördliche Entscheidung in die Rechtssphäre eines Individuums oder einer juristischen Person eingreifen.“ Hier sieht Professor Tretter einen deutlichen Mangel, zivilgesellschaftliche Forderungen an das Höchstgericht heranzutragen. Zu kompliziert und langwierig sei es momentan für
Interessenvertretungen oder NGO’s, ihrer Meinung nach fehlerhafte Gesetze und Verordnungen zu bekämpfen. Klare Forderung: „Sozialpartnern und anderen zivilgesellschaftlichen Interessenvertretungen soll die Möglichkeit gegeben werden, Gesetze, Staatsverträge und Verordnungen ab dem Moment ihres Inkrafttretens vor dem VfGH anfechten zu können.“
Tretter verweist auf die in angloamerikanischen Rechtsordnungen erfolgreich praktizierten „public interest motions“. Jedenfalls sei es das Ziel, Vorschläge für eine entsprechende Novellierung der einschlägigen Artikel 139 und 140 B-VG zu erarbeiten. Eine weitere interessante Idee für die Aktivierung der Zivilgesellschaft auf der Agenda des „Wiener Forums für Demokratie und Menschenrechte“ heißt „Botschafterschulen des Europäischen Parlaments“. Schulen aus ganz Österreich sind eingeladen, Botschafterinnen und Botschafter für das Europäische Parlament zu nominieren. Bereits 75 Schulen haben sich angemeldet und Materialien bzw. Seminare angefordert.