Was bringt die Verbandsklagen-Richtlinie?

MAG. KARIN ZIPPUSCH-KNOLL Of Counsel
MAG. KARIN ZIPPUSCH-KNOLL Of Counsel

VERBRAUCHER. Für große Konsumenten-Themen (Stichwort „Dieselskandal“)
gibt es in der Europäischen Union ab 2023 eine neue Gesetzesrichtlinie.
Die beiden Autorinnen beschäftigen sich im untenstehenden Artikel
kritisch mit den vorgesehenen Neuerungen.

Was bringt die Verbandsklagen-Richtlinie?

Kaum ein Thema war in den letzten Jahren auf europäischer Ebene so viel diskutiert wie der kollektive Rechtsschutz. Anlässe dafür gab es in der Vergangenheit ausreichend (z.B. VW-Dieselskandal). Mit der am 4. Dezember 2020 im Amtsblatt
der EU veröffentlichten Richtlinie (EU) 2020/1828 über Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen von Verbrauchern („Verbandsklagen-RL“) reformiert der EU-Gesetzgeber diesen Bereich. Die Mitgliedsstaaten haben bis spätestens Mitte Juni 2023 die Richtlinie in nationales Recht umzusetzen. Was bringt die neue Verbandsklagen- RL und welche Auswirkungen hat sie auf den B2C-Bereich?

 

EU-weiter Rechtsschutz und qualifizierte Einrichtungen
Mit der Richtlinie soll sichergestellt werden, dass Verbrauchern in allen Mitgliedsstaaten mindestens ein effizientes Verbandsklageverfahren zur Verfügung steht, um Verstöße gegen verbraucherschützende EU-Vorschriften gerichtlich geltend machen zu können. Anwendbar ist die Richtlinie insbesondere in Bereichen, in denen ein wachsender Bedarf an einem höheren Verbraucherschutz besteht, wie Datenschutz, Finanzdienstleistungen, Reiseverkehr und Tourismus sowie
Energie und Telekommunikation. Verbandsklagen sollen sowohl bei innerstaatlichen wie auch grenzüberschreitenden
Sachverhalten möglich sein. Kernpunkt der Richtlinie ist, dass nur qualifizierte Einrichtungen berechtigt sind, Verbandsklagen
einzubringen. Laut Richtlinie ist dies jede Organisation oder öffentliche Stelle, welche Verbraucherinteressen
vertritt und von einem Mitgliedsstaat zwecks Erhebung von Verbandsklagen benannt wurde. Eine qualifizierte Einrichtung muss gewisse Kriterien erfüllen, wie etwa 12 Monate vor ihrer Benennung bereits zum Schutz von Verbraucherinteressen
öffentlich tätig gewesen sein, keinen Erwerbszweck verfolgen sowie unabhängig von der Einflussnahme von Unternehmen
sein, die ein wirtschaftliches Interesse an der Erhebung von Verbandsklagen haben. Anwaltskanzleien können daher solche Verbandsklagen nicht erheben.

Mit einer Verbandsklage begehrt werden kann eine Abhilfemaßnahme (wie Schadenersatz, Reparatur, Preisminderung, Ersatzleistung, Vertragsauflösung oder Erstattung des gezahlten Preises) oder eine Unterlassungsentscheidung. In Österreich ist dies eine wesentliche Neuerung, weil der heimische kollektive Rechtsschutz bislang vor allem auf Unterlassungsklagen gerichtet war.

 

Offenlegung von Beweismitteln
Kritisch zu sehen ist das in der Richtlinie vorgeschriebene Recht auf Offenlegung von Beweismitteln. Zu Lasten der Unternehmen kann die Offenlegung von Beweismitteln in einem frühen Verfahrensstadium angeordnet werden. Damit soll
ein Informationsgefälle zwischen Unternehmen und Verbraucher ausgeglichen werden, das besteht, wenn sich Beweismittel ausschließlich im Besitz von Unternehmen befinden. Aus Sicht der betroffenen Unternehmen ist dies kritisch zu beurteilen. Nach österreichischem Recht kann ein Gericht die Gegenpartei oder einen Dritten zur Vorlage von Dokumenten nur unter
bestimmten Voraussetzungen (§§ 301 ff ZPO) verpflichten. Der Wortlaut der Richtlinie hingegen legt weniger strenge Anforderungen an die Vorlage von Beweismitteln fest. Es wird abzuwarten bleiben, wie der österreichische Gesetzgeber diese Vorschrift mit dem nationalen Recht in Einklang bringen wird.

 

Gefahr des „Forum Shoppings“
Qualifizierten Einrichtungen wird in der Richtlinie ermöglicht, in anderen Mitgliedsstaaten zu klagen als jenem, in dem sie zugelassen wurden. Das eröffnet ein „Forum Shopping“, weil sie gezielt Verbandsklagen in den Ländern mit dem
für sie aussichtsreichsten Verbraucherrecht anstrengen werden. Gleichzeitig löst dies unter den Mitgliedsstaaten einen Wettbewerb nach dem attraktivsten Verbandsklagenregime aus.
Es wird abzuwarten bleiben, wie der nationale Gesetzgeber die Anforderungen der Verbandsklagen-RL umsetzen und mit nationalen Bestimmungen in Einklang bringen wird.

Mag. Karin Zippusch-Knoll, Of Counsel, und Mag. Julia Steier, Konzipientin, bei Jarolim Partner Rechtsanwälte GmbH.

MAG. JULIA STEIER Rechtsanwaltsanwärterin
MAG. JULIA STEIER Rechtsanwaltsanwärterin