Österreich wird zubetoniert

UNIV. PROF. DIPL. ING. DR. TECHN. ARTHUR KANONIER forscht an der TU Wien zu Boden- und Raumordnungsrecht, Baulandmobilisierung, Naturgefahrenmanagement und Leistbares Wohnen.
UNIV. PROF. DIPL. ING. DR. TECHN. ARTHUR KANONIER forscht an der TU Wien zu Boden- und Raumordnungsrecht, Baulandmobilisierung, Naturgefahrenmanagement und Leistbares Wohnen.

Jeden Tag werden in Österreich knapp
15 Hektar der nutzbaren Fläche „versiegelt“, d. h. verbetoniert. 17.000 neue Einfamilienhäuser pro Jahr machen ein Drittel dieser Fläche aus: 255 Hektar bzw. 2,55 Millionen Quadratmeter. Zwei Drittel der für immer verbauten Fläche entfallen auf Straßenbau, Betriebsansiedelungen, Wohnanlagen und Einkaufszentren. Österreich ist Europameister im Zubetonieren von Landschaft.

 

Der EU-Fahrplan für ein ressourcenschonendes Europa sieht vor, bis zum Jahr 2050 „einen Nettolandverbrauch von Null zu erreichen.“ Davon ist Österreich meilen- oder hektarweit entfernt. Der aktuelle 3-Jahre-Mittelwert liegt bei 44 km², also 14 bis 15 Quadratkilometer pro Jahr. Das Regierungsprogramm 2020 bis 2024 „soll den Bodenverbrauch so gering wie möglich halten.“ Bis 2030 soll der jährliche Bodenverbrauch auf 9 km² pro Jahr sinken. Schön wär’s.

 

Wofür „verschwindet“ Boden?
Laut Umweltbundesamt bedeutet Bodenverbrauch, elegant auch „Flächeninanspruchnahme“ genannt: „Dauerhafter Verlust biologisch produktiven Bodens durch Verbauung und Versiegelung für Siedlungs- und Verkehrszwecke, aber auch für intensive Erholungsnutzungen, Deponien, Abbauflächen, Kraftwerksanlagen und ähnliche Intensivnutzungen.
Wer sind die größten „Bodenfresser“? Betriebsflächen beanspruchen den größten Teil des jährlichen Bodenverbrauchs „mit einer Schwankungsbreite von 14 bis 31 km² pro Jahr“ (Umweltbundesamt). Platz zwei nahmen im Jahr 2019 die „Bauflächen“ mit 26 km² ein, Erholungs- und Abbauflächen machen 1,5 bis 8 km² aus. Der Straßenbau beansprucht pro Jahr 4 bis 13 km², nur die Bahn „beansprucht seit 2013 jährlich weniger Boden – in einem Schwankungsbereich zwischen minus 3 und minus 7 km²“.

 

Bodenfrass in Hektar pro Tag
Hier sind die Zahlen pro Bundesland sehr unterschiedlich. In Wien, wo kaum mehr freie Flächen für die Verbetonierung zur Verfügung stehen, werden nur 0,3 Hektar pro Tag neu versiegelt. Mit 0,6 und 0,7 Hektar pro Tag gehören auch Salzburg und Vorarlberg zu den „Sparsamen“ in Sachen Bodenverbrauch. Die Gruppe 1 – 2 Hektar pro Tag bilden Tirol, Kärnten, Burgenland und Niederösterreich. An der Spitze der Betonierer stehen – auch im 10-Jahres-Schnitt – die Flächenländer
Steiermark, Niederösterreich und Oberösterreich.

 

Bodenverbrauch, na und?
Die Genehmigung jedes einzelnen neuen Einfamilienhauses zieht eine ganze Menge teurer Infrastrukturmaßnahmen nach sich, die den „öffentlichen Haushalt“ oft sehr viel mehr Geld kosten als die Errichtung des „sweet home“. Die Zurverfügungstellung von Zufahrtsstraßen, Kanalisation oder Schulen wird bei der teilweise extrem
großzügigen Erteilung von Bauerlaubnissen oft ausgeblendet. Der Bürgermeister drückt die Augen zu, die Gemeinde zahlt. Da der fortschreitende Bodenverbrauch meist landwirtschaftlich genutzte Böden betrifft entstehen sowohl ökologisch wie auch wirtschaftlich negative Folgen. So nimmt die Lebensmittelversorgungssicherheit Österreich durch die Verbetonierung Jahr für Jahr ab. Die Abhängigkeit von Lebensmittelimporten steigt. Durch die Versiegelung gehen den Böden alle biologischen Funktionen verloren. Siedlungserweiterungen, Straßenbau, Betriebsansiedlungen und Einkaufszentren kosten oft auch fruchtbares Ackerland. „In Österreich werden jährlich Böden im Ausmaß von rund 50 km² für Wohnen, Gewerbe, Industrie und Freizeit in Anspruch genommen und somit der landwirtschaftlichen Nutzung entzogen. Dieser Produktionsverlust entspricht dem jährlichen Nahrungsbedarf von etwa 20.000 Personen“ errechnet das Umweltbundesamt. In Zeiten des immer deutlicher spürbaren Klimawandels wird auch das Thema „erhöhtes Hochwasserrisiko“ immer drängender. Zubetonierte Flächen sind außerdem dafür verantwortlich, dass die ohnehin deutlich steigenden Temperaturen zusätzlich gesteigert werden. Politischer Änderungswille? Eher Fehlanzeige, wie auf der nebenstehenden Seite zu lesen ist. Wie der Experte ausführt sind es speziell die Länder, die ihre Raumordnungen gegenüber den Gemeinden zu wenig konsequent durchsetzen.

 

ANWALT AKTUELL: Das scheinbar gemütliche Alpenland Österreich betoniert jeden Tag knapp 15 Hektar Boden zu. Ist dies den politisch Verantwortlichen bewusst oder gleichgültig?

 

Prof. Reinhard Kanonier: Bodeninanspruchnahme trifft insgesamt ziemlich jeden von uns, speziell natürlich die Grundeigentümer. Der politische Entscheider kommt ja nicht von sich aus auf die Idee „hier verbauen wir etwas“. Sehr häufig geht es um eine Betriebsansiedlung, ein Altenheim oder ein Einkaufszentrum. Das kann ja durchaus auch positiv besetzt sein. In Summe, da haben Sie recht, wird jedoch viel zu viel Boden in Anspruch genommen. Das Problem im Hintergrund ist, dass Boden jahrzehntelang nicht als knappe Ressource wahrgenommen wurde.

 

ANWALT AKTUELL: Wie sehen Sie in diesem Zusammenhang die „Freunderlwirtschaft“ von Bürgermeistern?

 

Prof. Arthur Kanonier: Bei der Raumordnung wäre die Konstruktion prinzipiell so, dass nicht der Bürgermeister zuständig ist. Eine Planungsbehörde ist immer ein Kollegialorgan, Gemeinderat oder Gemeindevorstand, je nachdem. Dass es besonders in kleinen Gemeinden ein hohes Naheverhältnis zwischen Gemeindeverantwortlichen und Adressaten gibt ist allerdings offensichtlich. Grundsätzlich ist das ja positiv, im Bauwesen hingegen nicht besonders hilfreich. Da könnte man natürlich überlegen, wie das Ermessen der Gemeinden eingeschränkt werden kann. Gäbe es eine konsequente überörtliche Bauplanung wie in Bayern, dann hätte die Gemeinde gar nicht mehr das Ermessen, punktuell Widmungen zu
vergeben. Damit wäre den Gemeinden viel geholfen. Ich kenne viele Bürgermeister, die froh wären über eine restriktive überörtliche Raumplanung.