Das Knirschen der Lieferketten


VON DER GROSSKANZLEI ZUM GROSSUNTERNEHMEN. Statt in der Bundeshauptstadt Kanzleikarriere zu machen entschied sich Dominik Schelling für die Rechtsabteilung eines internationalen Autozulieferers in Vorarlberg. Die Arbeit ist nicht weniger geworden, aber vielfältiger. Vor allem durch Krieg und Komponentenmangel.

Bis vor zwei Jahren lag sein Arbeitsplatz in Wien am Ring, schräg gegenüber der Universität. Heute fährt Dominik
Schelling (30) zu einem gerade erst fertiggestellten Industriekomplex ins Gewerbegebiet Rankweil, Vorarlberg, zum
Schreibtisch. Davor hieß sein Arbeitgeber Dorda, nun ist es „Hirschmann Automotive“. In der Kanzlei tummelten sich 140 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, bei Hirschmann sind es in Rankweil 1.200, weltweit zusätzlich noch 5.300. Wieder einmal ist Corona schuld, dass es zu diesem einschneidenden Aufgaben- und Kulturwechsel kam. Als der durchaus karrierebereite Jurist 2020 im Homeoffice in Vorarlberg saß und mit der eben zur Welt gekommenen Tochter spielte, da war er sich rasch mit seiner Frau einig, dass die Reize der „Provinz“ mehr wert seien als die Perspektiven in der Metropole. Mittlerweile gibt es bereits die zweite Tochter.

 

Vorarlberger Erfolgsgeschichte

Dass man bei „Hirschmann Automotive“ derzeit besonders viel zu tun hat liegt auch am Krieg. Neben Weizen ist eines der bekanntesten Exportprodukte des von Russland überfallenen Staates der Kabelstrang. Diese Wirbelsäule der Autoelektronik gehört seit den Achtzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts zu den Spezialitäten des Rankweiler Konzerns. Ende der Sechzigerjahre hatte der damalige Familienbetrieb mit Antennen begonnen,
war rasch zum regionalen Marktführer geworden und wandelte sich zwanzig Jahre nach dem Start zum Zulieferer der deutschen Automobilindustrie. Anfangs produzierte man Steckverbindungen, in der Folge dann die heute sehr gefragten Kabelstränge. Die Kundenliste ist vom Allerfeinsten, angeführt von Mercedes, BMW und Tesla.

 

Vielfältig und international

Für Dominik Schelling, Senior Legal Counsel in der 4-köpfigen Rechtsabteilung, ergibt sich aus der Vielfalt und Internationalität des Konzerns ein Aufgaben-Portfolio mit illustrem Herausforderungsgrad. Einerseits ist das Tätigkeitsfeld nicht nur weltumspannend, sondern auch von den rechtlichen Disziplinen ähnlich umfangreich wie das Jus-Studium. Es geht sowohl um Vertragsmanagement wie auch um die rechtliche Unterstützung sämtlicher Units im Hause – zuzüglich der sieben Tochtergesellschaften auf allen Kontinenten (außer Australien).
Die Themen reichen vom Arbeitsrecht bis zum Zivilrecht. Ein stabiles Standing als Generalist ist gefragt. Auf der anderen Seite kann es ganz schön knifflig werden, nämlich bei der Überwachung der über 500 Hirschmann-Automotive-Patente.

„Es ist manchmal geradezu unglaublich, mit welcher Unverfrorenheit Nachbauten unserer Steckverbindungen speziell auf chinesischen Internetplattformen präsentiert werden“ wundert sich Dominik Schelling.

Die Zeit, sich mit diesen Patentsündern langwierig auseinanderzusetzen, fehlt allerdings.

Denn viel wichtiger ist die Digitalisierung der Rechtsabteilung – von der Verwaltungs-Software für die Konzern-Töchter bis zu einer eigenen Software für Patentwesen und Datenschutz. Daneben wurde ein eigenes Whistle-Blowing-Projekt international aufgesetzt, dessen Ergebnisse genau den Erwartungen auch der Firmenleitung
entsprechen: „Wir wollten hier keine Vernaderungsplattform, sondern ein Forum zur Verbesserung von Vorgängen im ganzen Unternehmen. Das ist aufgegangen“ freut sich der engagierte Unternehmensjurist.

Operativ waren die letzten eineinhalb Jahre auch für die Rechtsabteilung eine große Herausforderung, Stichworte: „Alles wird teurer“ und „Lieferketten“. „Es ist uns ganz gut gelungen, durch aktive Kommunikation mit den Kunden Missverständnisse und Streitereien zu vermeiden.“

 

Kleines Land, tolle Qualitäten

Wenn Dominik Schelling an die Zeiten in Wien und in der Großkanzlei zurückdenkt, befällt ihn – allerdings nur ganz kurz – ein Hauch von Wehmut. Aufgaben und Entwicklungsmöglichkeiten bei Dorda hätten ihn schon gereizt, und auch die Kanzleifeste in Wien fehlen ihm. Die Kombination seines nunmehrigen tollen, internationalen Jobs mit den vorarlbergischen Qualitäten von Natur, Kultur und kurzen Wegen haben die Entscheidung „für die Provinz“ bereits in zwei Jahren klar bestätigt. Seine beiden Mädchen sind jetzt 3 und eineinhalb Jahre alt, er sieht sie täglich und jedes Wochenende. Wenn er sich’s gut einteilt, kann er auch im Büro seine Frau hören. Sie moderiert bei Radio Vorarlberg.