Mass Shootings und die Waffenkontrolle


FEUER FREI? Obwohl die Zahl der Schuss-Attentate in den USA von einem traurigen Rekord zum nächsten eilt ist zu befürchten, dass der Supreme Court bisherige Einschränkungen demnächst aufhebt.

Traurigerweise füllen weiterhin grauenvolle Massaker in den U.S.A. weltweit die Schlagzeilen. Die auf www.gunviolencearchive.org veröffentlichten Statistiken sind nicht weniger erschreckend: Seit Beginn des Jahres 2022 gab es 251 mass shootings in den USA (definiert als ein Vorfall, bei dem mehr als vier Personen durch einen willkürlichen Angriff entweder getötet oder verletzt werden). Dabei wurden bisher bereits 717 Kinder und Jugendliche getötet und weitere 1807 Kinder und Jugendliche verletzt. In den USA gibt es mehr Schusswaffen als Menschen (bei einer Einwohnerzahl von rund 335 Millionen). In den vergangenen acht Jahren gab es durch-schnittlich zwei mass shootings pro Monat, zehn waren es jedoch alleine am Wochenende vom 4.–5. Juni 2022. Nach dem entsetzlichen Massaker vergangenes Monat in einer Schule in Uvalde, Texas hat die online Satirezeitschrift, The Onion, wie nach einem jeden solchen Ereignis seit 2014, auch dieses Mal wieder folgende Schlagzeile geschaltet: “‘No Way to Prevent This,‘ Says Only Nation Where This Regularly Happens”. Die Trauer und der Aufschrei waren enorm und die Reaktion der Politik vorhersehbar: Die Demokraten fordern eine striktere Reglementierung des Waffenbesitzes, die Republikaner hingegen (entgegen aller statistischen Nachweise für
das Gegenteil) behaupten, dass eine strengere Waffenkontrolle keine positiven Auswirkungen hätte. Stattdessen plädieren sie dafür, dass LehrerInnen besser geschützt werden sollten, unter anderem indem sie selbst Waffen tragen und Ausbildungen in Selbstverteidigung absolvieren. Laut den Republikanern sei das Recht zum Waffenbesitz unantastbar. Der Karikaturist David Horsey hat es möglicherweise am besten auf den Punkt gebracht: Ein „republikanischer“ Telefonist, einen Ted Cruz Anstecker tragend, antwortet auf einen 911 Notruf mit den Worten: “Sorry, we can’t help you, school shootings aren’t emergencies, they are the price of freedom.”

 

„Red Flag“-Gesetze

Zu den restriktiveren Maßnahmen zur Waffenkontrolle gehören Gesetzesentwürfe, die das Mindestalter für den Kauf von halbautomatischen Gewehren von 18 auf 21 Jahre anheben sollen, weiters eine Beschränkung des Erwerbs kugelsicherer Westen sowie die Einführung von sogenannten “red flag” Gesetzen. Danach sollen RichterInnen befugt werden nach einer Anhörung, bei Vorliegen von Beweisen für bedrohliche Äußerungen oder gefährliches Verhalten, die Waffen des Verdächtigen zu beschlagnahmen bzw. ein Waffenverbot auszusprechen. Ebenso wird über die Markierung von Projektilen, damit diese von den Strafverfolgungsbehörden leichter zurück-verfolgt werden können, eine verstärkte Unterbindung des illegalen Waffenhandels und schlussendlich über Gesetze zur sicheren Verwahrung von Schusswaffen diskutiert, da die meisten Gewalttaten mit Handfeuerwaffen verübt werden.

 

Massaker wären vermeidbar

Tatsächlich hat die New York Times erst kürzlich eine Studie durchgeführt, die zeigt, dass 35 Massaker und damit 446 Todesopfer vermieden hätten werden können, wenn einige dieser Vorschläge zur Waffenkontrolle, die zurzeit vom Kongress geprüft werden, bereits seit 1999 in Kraft gewesen wären. Um dem Wahnsinn noch eins draufzusetzen hatte der Kongress bis 1994 den Verkauf von halbautomatischen Waffen, nach militärischem Vorbild, bekannt als Sturmgewehre, verboten.

Dieses Gesetz war aber zeitlich begrenzt und lief schlicht ohne Verlängerung oder Neuregelung aus. Die von diesem Gesetz beschränkten Waffen wurden seither in 30% der Schießereien benutzt und werden in Verbindung mit 400 der geschätzten 446 Todesfälle gebracht. Ein weiterer massiver Rückschritt könnte die Rechtssache NY State Rifle & Pistol Association v. Bruen werden, welche noch vor dem Ende der Amtszeit des Supreme Court in diesem Monat entschieden werden soll. In diesem Fall geht es darum, wo und wann Amerikaner geladene und verdeckte Handfeuerwaffen in der Öffentlichkeit und an öffentlichen Orten tragen dürfen. In sieben Bundesstaaten, darunter New York und dem District of Columbia gibt es sogenannte “public carry”-Gesetze, die das öffentliche Tragen von Handfeuerwaffen beschränken und einschränken. Im Wesentlichen verlangen die “public carry”-Gesetze, dass ein Antragsteller für das Tragen einer Handfeuerwaffe in der Öffentlichkeit einen guten Grund nachweisen muss und eine Lizenz benötigt. Der Kläger in der Rechtssache Bruen argumentiert hingegen damit, dass das verkehrt sei, da das Recht zum Tragen einer Waffe verfassungsrechtlich durch das Second Amendment sichergestellt wäre. Daher sei es Sache des Staates zu begründen, warum der Antragsteller nicht berechtigt sein soll, eine Waffe zu tragen. Selbst in Staaten, wo es keine “public carry”-Gesetze gibt, ist das Tragen einer Waffe an bestimmten öffentlichen Orten, wie etwa in Schulen, Gerichten, Parks, öffentlichen Verkehrsmitteln, Restaurants und Bars, Shopping-centern, Unternehmen und Gotteshäusern eingeschränkt. Wenn das 108 Jahre alte Gesetz über das Tragen von Waffen in der Öffentlichkeit in New York gekippt wird (was nach den Äußerungen bei der mündlichen Verhandlung der konservativen Mitglieder des Supreme Court, die eine Mehrheit genießen, zu erwarten wäre), kann sich dies nicht nur auf die sieben Bundesstaaten und Washington D.C. auswirken, in denen es solche Gesetze gibt, sondern auch auf alle anderen Orte, an denen das Tragen von Waffen in öffentlichen Bereichen verboten ist. Mehr Waffen auf den Straßen sowie dadurch mehr schwere Körperverletzungen und Todesopfer sind vorprogrammier .

 

Individualrecht zum Waffentragen?

Das Argument der Konservativen, keine strengeren Maßnahmen zur Waffenkontrolle zu ergreifen hat natürlich seinen Ursprung in der Auslegung des Second Amendments, welches den Amerikanern verfassungsrechtlich gestattet, Waffen zu tragen. Das Second Amendment spricht von einem solchen Recht im Zusammenhang mit
dem Dienst in einer Miliz, aber in der Entscheidung District of Columbia v. Heller, (2008) entschied der Oberste Gerichtshof in einem 5:4-Urteil, das von Richter Antonin Scalia verfasst wurde, dass dieses Recht nicht nur auf den Milizdienst zu beschränken ist sondern auch das Recht einschließt, eine geladene Handfeuerwaffe zu Hause zur Selbstverteidigung zu lagern. Die Konservativen im Kongress verfechten die Ansicht dass Heller jede sinnvolle Waffenkontrolle verbiete. Interessanterweise haben zwei Rechtsreferendare des Supreme Court, welche beide
2008 an der Rechtssache Heller mitgearbeitet hatten, gemeinsam einen Kommentar in der New York Times zu diesem Thema verfasst. John Bash, der damals für Richter Scalia arbeitete und dessen Chef die Mehrheitsmeinung verfasste, und Kate Shaw, die für Richter John Paul Stevens arbeitete, welcher die abweichende Meinung verfasste, schrieben, dass sie sich völlig einig sind, dass, wie schon der Titel ihres gemeinsamen Kommentars lautete, America is Getting Heller Wrong. So schrieben sie dass Heller die Regierungen der Bundesstaaten nicht daran hindert, Gesetze zu erlassen, die eine vernünftige Waffenregulierung ermöglichen, einschließlich des
Waffenverbots für Straftäter und psychisch Kranke, verpflichtender Zuverlässigkeitsüberprüfungen, Waffenverbote an „sensiblen Orten“, wie Schulen oder des Verbots des Tragens „gefährlicher und unüblicher Waffen“. Ihr Resümee lautet, dass die Gegner von Maßnahmen zur Waffensicherheit Heller für ihre eigenen Zwecke schlichtweg falsch interpretieren.

 

Ungewollte Schwangerschaft v. Waffenkauf

Nach den erschütternden Berichten aus Uvalde finde ich, dass es TV Persönlichkeit Nev Schulman sehr treffend formuliert hat: “How about we treat every young man who wants to buy a gun like every woman who wants to get an abortion – mandatory 48hr waiting period, parental permission, a note from his doctor proving he understands
what he’s about to do, a video he has to watch about the effects of gun violence, an ultrasound wand up the ass (just because). Let’s close down all but one gun shop in every state and make him travel hundreds of miles, take time off work, and stay overnight in a strange town to get a gun. Make him walk through a gauntlet of people holding
photos of loved ones who were shot to death, people who call him a murderer and beg him not to buy a gun.

Da die Demokraten derzeit das Repräsentantenhaus kontrollieren, wird es kein Problem darstellen, einen Gesetzesentwurf zur effizienteren Waffenkontrolle im Sinne des oben Gesagten zu verabschieden. Jedoch wird der Entwurf voraussichtlich an der Zustimmung des Senats scheitern. Zum Zeitpunkt des Verfassens des Artikels
scheint es als ob es eine parteienübergreifende Unterstützung für bundesweite „red flag“-Gesetze gäbe, jedoch keine weiteren neuen Beschränkungen. Es scheint bedauerlicherweise so, als hätten wir die The Onion Schlagzeile nicht zum letzten Mal gesehen.


Stephen M. Harnik
ist Vertrauensanwalt der Republik Österreich in New York. Seine Kanzlei Harnik Law Firm berät und vertritt unter anderem österreichische Unternehmen in den USA.
(www.harnik.com)