„Die Sideletter-Bestellungen sind ein gravierendes Problem in Österreich“

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Peter Hilpold:

Professor für Völkerrecht, Europarecht und Vergleichendes Öffentliches Recht an der Universität Innsbruck, wo er auch italienisches Steuerrecht lehrt.

Abgeschlossene Studien der Rechtswissenschaften, der Betriebswirtschaftslehre, der Volkswirtschaftslehre und der Geisteswissenschaften.

Autor von über 250 Publikationen und Träger zahlreicher wissenschaftlicher Auszeichnungen

 

MEHR PRÄZISION! Der Innsbrucker Universitätsprofessor Peter Hilpold stellt für mehrere Rechtsbereiche fest, dass schlampig gedacht und gehandelt wird – von den Verfassungsdiensten bis zur Neutralität. Auch mit diversen Bestellungsvorgängen an Universitäten hat er keine Freude.                                                                                                                              

 

Anwalt Aktuell: Herr Professor Hilpold, die Klimaministerin hat für ziemlich schlechtes Klima gesorgt mit ihrer Aussage, die Verfassungsdienste verschiedenster Ebenen in Österreich seien alles andere als neutral, sondern eher juristische Wunsch-Interpreten ihrer jeweiligen politischen Auftraggeber. Für wie unabhängig halten Sie diese Dienste?

 

Peter Hilpold: Ich glaube, da liegt ein Missverständnis vor, das aber durchaus auf ernstzunehmende Rechtsstaatlichkeitsprobleme in Österreich verweist. Die Rechtsdienste von Behörden mögen hochqualifiziert sein, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in diesen Diensten durch und durch integer. Sie sind aber nicht institutionell unabhängig. In Österreich scheint man diesen Diensten zuweilen den Status von Gerichtsorganen beizumessen. Das ist aber völlig verfehlt.

 

Anwalt Aktuell: An der Qualität dürfte es den Verfassungsdiensten in der Regel nicht fehlen. Wir erinnern uns, dass sowohl der spätere VfGH-Präsident Holzinger wie auch der spätere Verwaltungsgerichts-Präsident Jabloner davor im Verfassungsdienst des Bundeskanzleramtes tätig waren. Bei beiden kann ich mir nicht vorstellen, dass sie Gefälligkeits-Expertisen erstellt haben…?

 

Peter Hilpold: Von „Gefälligkeits-Expertisen“ gehe ich auch bei den aktuellen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Verfassungsdienst nicht aus. Allerdings ist ihre dienstrechtliche Position im Vergleich zu jener ihrer Vorgänger nicht besser geworden; es ist eher das Gegenteil der Fall. Die entscheidende Frage ist, was wir uns von diesen Diensten erwarten. Sie werden sicherlich eine hervorragende Beratungsfunktion wahrnehmen können – für Behörden, die politische Entscheidungen zu treffen haben. Es handelt sich hier aber nicht um eine unabhängige Rechts- bzw. sogar Kontrollinstanz. Dass solche unabhängige Instanzen in Österreich dringend vonnöten wären, sei nur nebenbei erwähnt.

 

Anwalt Aktuell: Bleiben wir noch kurz bei Frau Ministerin Gewessler, jetzt aber im Fach Europarecht. Wie beurteilen Sie die Aussichten der ÖVP, das nicht genehme Stimmverhalten der grünen Ministerin im Nachhinein korrigieren zu wollen, mit dem Argument, sie habe das Pouvoir zur Zustimmung des Renaturierungsgesetzes gar nicht gehabt. Hat die Ministerin hier Regeln gebrochen oder gibt es für so eine Situation keine?

 

Peter Hilpold: Auf internationaler Ebene wird grundsätzlich darauf vertraut, dass Staatenvertreter intern handlungsbefugt sind. Im Völkerrecht gibt es das Konzept der „ultravires“-Handlung, wonach die Zustimmung von Staatenvertretern invalidiert werden kann, wenn diese manifest gegen innerstaatliche Zuständigkeitsregeln verstoßen hat. Die Hürde liegt hierbei aber sehr hoch und im vorliegenden Fall wäre der Nachweis einer solchen ultravires-Handlung wohl kaum zu erbringen. Teile der Lehre schließen zudem grundsätzlich aus, dass dieses völkerrechtliche Instrument im Europarecht überhaupt greife. Damit wäre also eine Anfechtung von Beschlüssen, die unter Mitwirkung unzuständiger Staatenvertreter ergangen sind, von vornherein ausgeschlossen.

 

Anwalt Aktuell: Zurück nach Österreich, Bei der Bestellung von Führungspositionen in Verwaltung und Justiz beschleicht einen oft der Verdacht, dass politische Abmachungen wichtiger sind als transparente Auswahl-Verfahren. Wie sehen Sie die monatelange Vakanz an der Spitze des Bundesverwaltungsgerichts und die schlussendliche Bestellung des von einer hochrangigen Auswahlkommission drittgereihten Kandidaten?

 

Peter Hilpold: Die Sideletter-Bestellungen sind ein gravierendes Problem in Österreich, gerade auch bei den Höchstgerichten. An und für sich wäre hier sogar davon auszugehen, dass Österreich auch in diesem Bereich ein Rechtsstaatlichkeitsproblem von internationaler Dimension hat. Verwundern muss, dass all diese Vorgänge in Österreich keine Konsequenzen zeitigen. Dabei wäre die einschlägige EGMR-Rechtsprechung, insbesondere das Urteil Guðmundur Andri Ástráðsson gg. Island – 26374/18, v. 1.12.2020, auch in Österreich ernst zu nehmen.

 

Anwalt Aktuell: Sie haben vor einem Jahr darauf aufmerksam gemacht, dass die Besetzung der Leitung des Landesverwaltungsgerichts in Tirol nicht gerade das Beispiel für ein faires Verfahren war. Fehlt es bei solchen Auswahlverfahren an gesetzlichen Regeln oder werden solche einfach ignoriert?

 

Peter Hilpold: Es gibt mittlerweile sehr klare Vorgaben von europäischer Seite in Hinblick auf die Erfordernisse der Rechtsstaatlichkeit bei der Bestellung von Gerichtsorganen. Die Wahrnehmung der europäischen Dimension ist aber in Österreich generell ein großes Problem.

 

Anwalt Aktuell: Sie haben wiederholt transparente Verfahren für Postenbesetzungen in Verwaltung, Justiz und für Universitäts-Professoren gefordert. Wie sollen diese gestaltet sein, rechtlich und organisatorisch?

 

Peter Hilpold: Ein solches Vorhaben wäre ohne größeren Aufwand umsetzbar. Es würde genügen, sich an europäischen Vorgaben für eine „gute Verwaltung“ (siehe Art. 41 der Grundrechte-Charta) zu orientieren und insbesondere Befangenheiten auszuschließen bzw. zu sanktionieren sowie bei Verfahrensverstößen und Diskriminierungshandlungen einen wirksamen Zugang zu einem Gericht zu eröffnen. Dieses Erfordernis ergibt sich bereits aus dem EU-Recht (siehe Art. 47 der Grundrechte-Charta), doch auch in diesem Zusammenhang wird in Österreich EU-Recht einfach ignoriert.

 

Anwalt Aktuell: Es gibt von Ihrer Seite mehrfache Kritik an Bestellungs-Vorgängen an Universitäten. Dabei geht es um sogenannte § 99-Professuren, „kompetitive Verfahren“ oder „Praktiker-Professuren“. Ist die Zahl solcher Sonder-Professuren tatsächlich statistisch bemerkenswert und, wenn ja, welcher Schaden wird damit angerichtet?

 

Peter Hilpold: Der Schaden, der für die österreichische Wissenschaftslandschaft durch solche Vorgänge verursacht wurde, ist enorm. Die österreichischen Universitäten werden dadurch von internationalem Wettbewerb abgeschottet und es kommt zum Gegenteil einer „Bestenauslese“, die an und für sich national und international geboten wäre. Was verwundern muss, ist, dass hier alle Kontrollmechanismen versagen und selbst der Rechnungshof schweigt zu diesen Vorgängen. Das österreichische Bildungs- und Universitätssystem ist international betrachtet verhältnismäßig teuer. In den Rankings erreichen wir vielfach nur Mittelmaß. Allein dieser Zusammenhang sollte zu denken geben. Die Forderung nach noch mehr Mitteln kann in diesem Zusammenhang nur mehr ein müdes Lächeln entlocken.

 

Anwalt Aktuell: Bleiben wir noch kurz an den Universitäten. Während nicht wenige Vertreter der Universitäten im Zuge der Plagiatsaffären zu einer zeitlichen Limitierung der Überprüfung wissenschaftlicher Arbeiten aufriefen, haben Sie in einer Stellungnahme dem Plagiatsjäger Stefan Weber den Rücken gestärkt. Ist für die Wissenschaft tatsächlich wichtig und gut, was Herr Weber macht?

 

Peter Hilpold: Ich bin Herrn Dozenten Weber noch nie persönlich begegnet, kenne ihn aber aus Online-Seminaren zur guten wissenschaftlichen Praxis, die er mit großem Elan, fachlichem Können, aber auch Unterhaltungstalent geleitet hat. Herr Weber hat in Österreich – und weit darüberhinausgehend – schon viele universitäre Missstände aufgedeckt, vielfach ohne Auftrag und ohne Entlohnung, wobei ihm aber diese Aktivitäten viele Anfeindungen eingetragen haben. Ohne den Einsatz von Herrn Weber wäre eine ernsthafte Diskussion über gute wissenschaftliche Praxis, die dringend nötig ist, in Österreich kaum mehr zu führen. Ich schätze an Herrn Weber die Zivilcourage, die er tagtäglich unter Beweis stellt und auch sein fachliches Interesse an Fragen der guten wissenschaftlichen Praxis.

 

Anwalt Aktuell: Eines Ihrer Forschungsgebiete ist das Völkerrecht. Finden Sie es gut, dass gefühlt 92 Prozent der österreichischen Politiker:innen Neutralität für ewig verlangen?

 

Peter Hilpold: Auch das ist eine Diskussion, die sehr breit und differenziert geführt werden müsste. Den spezifischen Aspekt, den Sie hier ansprechen, würde ich folgendermaßen einordnen: Die Politik hat in Österreich, nicht ohne Eigennutz, ein Neutralitätsdenken geschaffen, das, wenn man vielleicht von der Schweiz absieht, international einzigartig ist, und das vor allem keine völkerrechtliche Grundlage hat. Mittlerweile hat diese Idee ein Eigenleben entwickelt, mit dem die Politik zurechtkommen muss, wobei gleichzeitig internationale Verpflichtungen eingehalten werden müssen. Ein immer schwierigerer Balanceakt.

 

Anwalt Aktuell: Angesichts des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine hat man sogar in der Schweiz begonnen, über die Sinnhaftigkeit der Neutralität nachzudenken. Geschieht das dort auch – wie in Österreich – vorwiegend am Stammtisch, oder machen’s die Schweizer besser?

 

Peter Hilpold: Die Diskussion wird dort – zumindest intern – viel härter geführt, auch auf akademischem Boden. Ich sehe in der Schweiz eine Völkerrechtswissenschaft, die dezidiert Stellung bezieht und die dabei nicht mit Samthandschuhen vorgeht. In Österreich ist in der Völkerrechtswissenschaft, gegenwärtig und anders als in der Vergangenheit, weitgehend Schweigen festzustellen, ein paar ergebnislose Formübungen, vereinzelt aber auch ein paar – vor allem junge – Stimmen, die hoffen lassen.

 

Herr Professor Hilpold, danke für das Gespräch.