Werden wir nur mehr digitale Richter:innen haben?!

 

 

Dr. Alix Frank-Thomasser

 

Die Diskussion um die virtuelle Verhandlung hat längst Gestalt angenommen. Seit 2005 bestehen verfahrensrechtliche Voraussetzungen für den Einsatz von Videokonferenzanlagen bei der Vernehmung von Zeug:innen und Beschuldigten im strafgerichtlichen Vorverfahren, von Zeug:innen in der Hauptverhandlung und von Zeug:innen, Parteien, Dolmetscher:innen sowie Sachverständigen im Zivilverfahren. Allerdings gilt dies für einzelne Einvernahmen im eigenen Zoomkreis von Gerichtsgebäude zu Gerichtsgebäude (also Zeug:in oder Partei in Anwesenheit einer Richter:in) (§ 277 ZPO). Seit der Zivilverfahrensnovelle 2023 (§132 a ZPO) kann das Gericht nun im Rahmen einer Videokonferenz (also nur mehr virtuell) Parteien und informierte Vertreter (nicht Zeugen), aber nur in der vorbereitenden, ersten Verhandlung einvernehmen. Gegen Einvernahmen in einer virtuellen Verhandlung standen massive Bedenken, unter anderem auch von der Rechtsanwaltschaft. Es liegt auf der Hand, dass Richter:innen weder nonverbale Signale des Vernommenen noch mögliche Einflussnahmen auf diesen außerhalb des Kamerablickwinkels, entsprechend sicher einschätzen können. Daher gibt es legistische Einschränkungen für die Einvernahme in der Videoverhandlung. Mit der Zivilverfahrensnovelle 2023 rückte im

Gefolge der Notwendigkeit der Aufrechterhaltung des Justizwesens während der Covid-19-Pandemie die virtuelle Verhandlung ins Rampenlicht. Wir sprechen also nicht mehr von der bloßen von Gerichtsgebäude zu Gerichtsgebäude stattfindenden ZOOM Verhandlung, sondern von einer Video-Tagsatzung (§ 132 a ZPO), bei der Parteien oder deren informierte Vertreter:innen von Richter:innen, die diese Verhandlung nicht von einem Gerichtsgebäude aus leiten müssen, einvernommen werden können, allerdings nur im Rahmen der vorbereitenden Tagsatzung (§ 258 Abs. 1 Ziffer 5 ZPO). Das ist also die erste Tagsatzung im Zivilverfahren. Damit wurde auch die Möglichkeit geschaffen, sich möglichst wenig aufwändig vielleicht doch noch im Zuge dieser ersten Verhandlung unter Mitwirkung des Gerichtes zu vergleichen. Andererseits schaffte der Gesetzgeber mit dieser Regelung einen behutsamen Mittelweg auf dem Weg in das digitale Verfahren. 

 

Das mittlerweile anerkannte Syndrom namens „Zoom Fatigue“, also die Ermüdung und damit einhergehende stets abnehmende Konzentration in länger dauernden Videokonferenzen, ist uns allen sattsam bekannt und ist einer der vielen Faktoren, der im Rahmen eines rein digitalen Gerichtsverfahrens zu beachten ist. Trotzdem können wir uns der fortschreitenden Digitalisierung im Rechtswesen nicht verschließen, wenngleich darauf Bedacht genommen werden muss, dass die Rechte der/s Einzelnen, ob nun Partei, Zeuge, Sachverständiger im Gerichtsverfahren, oder Vertragspartei im Rahmen einer notariellen digitalen Amtshandlung strikt gewahrt werden.

Nicht zu vergessen ist aber auch die grundsätzliche Öffentlichkeit eines Gerichtsverfahrens. Kommt es zu virtuellen Verhandlungen kann das Gericht den Überblick verlieren, da jedermann mit dem passenden Passwort die virtuelle Verhandlung besuchen kann, andererseits kann es schwer sein, den Öffentlichkeitsgrundsatz durchwegs zu garantieren. Im ersteren Fall wäre auch zu bedenken, dass sich Zeugen auf ihre eigene Aussage bei unkontrollierten Besuchen der virtuellen Verhandlungen entsprechend vorbereiten können. Dazu kommt das Risiko, dass Expertenaussagen in virtuellen Verhandlungen, wie zum Beispiel psychologische Einschätzungen, medizinische Gutachten, Expertisen über geschütztes Unternehmens-Know-how, u.U. gehackt werden können.

Wird es also bald die virtuelle Richterin geben, die gänzlich befreit vom Ortszwang in einem Gerichtssaal, an irgendeinem Ort ein komplettes Gerichtsverfahren virtuell durchführen kann? Damit würde wohl einigen Anforderungen, die Frauen und auch Männer im Berufsleben haben, gerecht werden können. Aber ist es demokratisch vertretbar? Genau zu diesen Themen hat die Initiative Women in Law – Frauen im Recht www.womenlaw.info im Rahmen ihrer fünften Internationalen Konferenz vom 12. – 14. September 2024 nicht nur ein hochkarätiges Expertenpanel unter dem Generalthema „Access to Justice“ diskutieren lassen, sondern auch die Teilnehmer:innen im Rahmen eines dazu passenden Workshops auf die Zukunft vorbereitet.