KÜNSTLICHE BEFRUCHTUNG. Im Kampf um die US-amerikanische Präsidentschaft spielen die „weiblichen Themen“ IVF und Abtreibung eine immer wichtigere Rolle. Mit Spannung ist zu erwarten, in welchen Bundesstaaten sich die hitzigen Diskussionen im Wahlergebnis niederschlagen.
Stephen M. Harnik
Während ich diesen Brief schreibe, zeigen die nationalen Umfragen Vizepräsidentin Harris bei 49 % und Trump bei 46 % der Wählerstimmen bei einer Schwankungsbreite von 3 Prozentpunkten. Das Rennen um die Wählergunst ist also äußerst knapp und ein einziges Wahlthema könnte ausreichen, um den Ausgang der Wahl zu entscheiden. Es ist gut möglich, dass die Abtreibungsdebatte, welche sich aktuell auf eine Debatte über das Recht der Frau auf Invitro-Fertilisation (IVF) erweitert hat, genau dieses wahlentscheidende Thema wird. Harris und die Demokraten haben sich konsequent und beherzt für eine Gesetzgebung eingesetzt, die dieses Recht zu einem Grundrecht macht, Trump hingegen hat sich bei den verschiedenen Aspekten der reproduktiven Freiheit in einem Wirrwarr verheddert. So sprach er sich z.B. gegen eine Fristenlösung von nur 6 Wochen aus, andererseits tat er kund, dass er in Florida, wo er wählt, für deren Beibehaltung stimmen wird. Die Methode der künstlichen Befruchtung erfährt bei der großen Mehrheit der Bevölkerung Zustimmung, allerdings gibt es eine Gruppe von (meist religiös motivierten) Konservativen, die die Zerstörung eingefrorener Embryonen mit der Tötung einer „Persönlichkeit“ gleichsetzen. Aufgrund der knappen Umfragewerte möchte Trump diesen Teil seiner Anhängerschaft nicht vergrämen, gleichzeitig aber auch nicht den Unmut der Mehrheit auf sich ziehen. Um diesen Knoten aufzulösen, stellt er sich nun auf den Standpunkt, dass die Entscheidung den einzelnen Bundesstaaten überlassen werden sollte, widerspricht sich aber selbst, indem er anderntags verspricht, dass die Kosten für künstliche Befruchtungen (die freilich jeweils in die Zehntausende von Dollar gehen können) künftig vom federal government übernommen werden, ohne zu bedenken, dass dies erst vom Kongress beschlossen, und einen Budgetaufwand von Milliarden Dollar bedeuten würde.
IVF: Ein wachsender Trend inmitten politischer Kontroversen
Die IVF hat in den Vereinigten Staaten in den letzten Jahrzehnten einen erheblichen Aufschwung erlebt. Dieser Anstieg der IVF-Nutzung spiegelt sowohl die Fortschritte in der Reproduktionstechnologie als auch die zunehmende Zahl von Paaren wider, die aus persönlichen oder beruflichen Gründen erst später Kinder kriegen und sich einer Fruchtbarkeitsbehandlung unterziehen. Mit der zunehmenden Verbreitung der künstlichen Befruchtung wird diese auch zu einem kontroversiellen Thema in der politischen Arena, insbesondere im Vorfeld der bevorstehenden Präsidentschaftswahlen. Der demokratische Vizepräsidentschaftskandidat Tim Walz hat offen darüber gesprochen, dass in seiner Familie die Fruchtbarkeitshilfe in Anspruch genommen wurde, und die Bedeutung der IVF und der damit verbundenen Dienstleistungen hervorgehoben. Im Gegensatz dazu haben die Republikaner im Senat im Juni dieses Jahres eine Maßnahme blockiert, die das Recht auf IVF US-weit garantiert hätte. Auch hier mit der Begründung (bzw. dem Vorwand), dass es zunächst eine Grundsatzdiskussion über die Rolle des federal government bei der Regulierung der reproduktiven Gesundheitsvorsorge bedarf.
Das sich wandelnde Terrain des Abtreibungsrechts
Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs in der Rechtssache Dobbs gegen Jackson Women's Health Organization, (2022) die Roe v. Wade (1973) aufhob hat bekanntermaßen Schockwellen durch die Nation gesandt. Seit der Dobbs-Entscheidung hat sich die Zuständigkeit für die Regelung des Schwangerschaftsabbruchs entscheidend auf die Bundesstaaten verlagert. Diese Dezentralisierung hat zu einem Flickwerk von einzelstaatlichen Gesetzen im ganzen Land geführt, wobei einige Staaten strenge Beschränkungen oder sogar Verbote für Abtreibungen erlassen haben, während andere Maßnahmen ergriffen haben, um den Zugang zu diesem Eingriff zu gewährleisten. Während die unmittelbaren Auswirkungen auf das Abtreibungsrecht seit 2022 die Schlagzeilen beherrschen, wird der juristische Diskurs durch die Überschneidung von Abtreibungsrecht und IVF neu gestaltet, da mehrere Staaten Gesetze vorbereiten oder bereits erlassen haben, die den Zugang zu assistierten Reproduktionstechnologien (ART) unbeabsichtigt oder auch absichtlich einschränken könnten, während andere Staaten dabei sind den Schutz dieser Rechte zu erweitern.
Bei der IVF werden außerhalb des Körpers Embryonen erzeugt, die dann entweder in die Gebärmutter eingepflanzt oder zur späteren Verwendung eingefroren werden. Der rechtliche Status dieser Embryonen ist das Herzstück der Kontroverse (Wortspiel beabsichtigt). In Staaten, in denen das Leben als mit der Empfängnis beginnend definiert wird, kann der rechtliche Status nicht verwendeter, durch IVF erzeugter Embryonen prekär werden. Dies hat zu Befürchtungen geführt, dass neue Abtreibungsgesetze auch den Zugang zu IVF unbeabsichtigt – oder in einigen Fällen absichtlich – einschränken könnten, indem sie den Embryonen den Status einer Person verleihen.
Alabama: Die unbeabsichtigten Folgen der Anti-Abtreibungsgesetze für IVF
So hat sich im Bundesstaat Alabama die Rechtslage im Zusammenhang mit IVF dramatisch verändert, nachdem ein Urteil aus dem Jahr 2024 besagt, dass durch IVF erzeugte Embryonen als Kinder zu betrachten sind. Der Fall ergab sich aus dem strengen Anti-Abtreibungsgesetz des Bundesstaates, das 2019 verabschiedet wurde und fast alle Abtreibungen kriminalisiert, indem es einen Fötus ab dem Moment der Empfängnis rechtlich als Person anerkennt. Die Kontroverse entstand, als ein Gericht die weit gefasste Definition der Persönlichkeit des Gesetzes so auslegte, dass sie sich auch auf durch IVF erzeugte Embryonen erstreckt, wodurch IVF-Kliniken für die Entsorgung nicht verwendeter Embryonen strafrechtlich haftbar gemacht werden können. Daraufhin stellten mehrere Kliniken diese Dienstleistung ein, da sie eine strafrechtliche Verfolgung aufgrund des Gesetzes befürchteten. Das Urteil löste einen breiten öffentlichen Aufschrei aus und machte die unbeabsichtigten Folgen einer umfassenden Anti-Abtreibungsgesetzgebung für die Reproduktionstechnologien deutlich. Als Reaktion auf die wachsende Besorgnis verabschiedete Alabama 2024 ein neues Gesetz, das IVF ausdrücklich zulässt den IVF-Kliniken und die zivil- und strafrechtliche Immunität für ihre Tätigkeit gewährt.
Staaten die weiterhin den Zugang zu IVF beschränken
Trotz der Erfahrungen in Alabama haben mehrere Bundesstaaten entweder Gesetze verabschiedet oder diskutieren Gesetzesvorlagen, die zwar in erster Linie darauf abzielen, die Abtreibung einzuschränken, aber ernsthafte Auswirkungen auf die IVF haben könnten. In Louisiana erkennt das Gesetz einen Embryo ab dem Zeitpunkt der Befruchtung als „juristische Person“ an. Diese Bezeichnung ergibt sich aus Louisiana Revised Statutes (La. R.S.) § 9:123, der einen Embryo juristisch als Person mit Rechten und Schutz durch das Gesetz definiert. Dieser Rechtsstatus erschwert viele Aspekte der IVF und ART, unter anderem die Entsorgung nicht verwendeter Embryonen oder Entscheidungen über eine selektive Reduktion bei Mehrlingsschwangerschaften, da solche Maßnahmen als Verletzung der Rechte des Embryos ausgelegt werden könnten. Andere Bundesstaaten wie Alaska, Iowa und Florida erwägen Gesetzesentwürfe, die die Abtreibung durch die Einführung der fötalen Persönlichkeit verbieten. Als Reaktion auf diese Entwicklungen sind einige Staaten dazu übergegangen, die Rechte von Personen, die eine künstliche Befruchtung wünschen, ausdrücklich zu schützen. Kalifornien hat proaktive Schritte unternommen, um den Zugang zu Reproduktionstechnologien, einschließlich IVF, zu sichern. Der § 123462 des California Health and Safety Code, der 2023 in Kraft getreten ist, enthält Bestimmungen, die den Zugang zu allen Formen der reproduktiven Gesundheitspflege schützen, was ausdrücklich auch die IVF einschließt. Diese Gesetzgebung ist Teil der umfassenderen Strategie Kaliforniens, den Staat als "Staat der reproduktiven Freiheit" zu erhalten und sicherzustellen, dass IVF und andere reproduktive Dienstleistungen zugänglich und legal bleiben. Ein weiterer Staat, der ein Recht auf IVF kodifiziert hat, ist Illinois. Im Jahr 2023 verabschiedete Illinois den Reproductive Health Act (Public Act 101- 0013), der ausdrücklich den Zugang zu assistierten Reproduktionstechnologien, einschließlich IVF, schützt. Das Gesetz erkennt die reproduktive Gesundheitsfürsorge, einschließlich des Rechts, Entscheidungen über die reproduktive Gesundheit zu treffen, als ein Grundrecht nach staatlichem Recht an und schützt damit den Zugang zu IVF vor möglichen rechtlichen Anfechtungen, die sich aus restriktiveren Bundes- oder Landesgesetzen ergeben könnten.
Die Zukunft der IVF in Amerika
Die Debatte über Abtreibung und IVF ist in den USA noch lange nicht entschieden. Je mehr Bundesstaaten restriktive Abtreibungsgesetze erlassen, desto größer ist die Gefahr, dass sich diese Gesetze auf die IVF auswirken. Die juristischen Auseinandersetzungen um die Definition von Leben, Persönlichkeit und reproduktiven Rechten werden wahrscheinlich weitergehen, wobei die IVF genau im Brennpunkt steht. Derzeit hängt die IVF in den USA stark von der Rechtslage in den einzelnen Bundesstaaten ab, obwohl sich dies durch die bevorstehenden Wahlen ändern könnte. Paare, die sich einer Fruchtbarkeitsbehandlung unterziehen wollen, müssen sich in einem komplexen und unsicheren rechtlichen Umfeld zurechtfinden, in dem die Verfügbarkeit und Rechtmäßigkeit der IVF je nach Wohnort erheblich variieren kann.
Kontroverse auf der Ebene des Familienrechts
Ergänzend sollte ich noch anmerken, dass rechtliche Kontroversen im Zusammenhang mit IVF hier in New York nicht nur auf grundrechtlicher Ebene, sondern auch im Familienrecht entstehen. Der New York Court of Appeals (das höchste Gericht im Staat New York) entschied 1998, dass eingefrorene Embryonen nicht als Personen im Sinne der Verfassung anerkannt werden. Stattdessen wird in der Argumentation implizit davon ausgegangen, dass Embryonen Sachen sind. Dies hat naturgemäß zu erheblichen Kontroversen darüber geführt, was im Falle einer Scheidung mit den eingefrorenen Embryonen geschieht, wenn kein Vertrag über deren Disposition geschlossen wurde. Darauf gibt es bis dato noch keine Antwort, es ist aber angesichts der jüngsten Entwicklungen zu erwarten, dass dies eher früher als später zu entscheiden sein wird.
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Ich möchte Nicholas M. Harnik für seinen wertvollen Beitrag zu den Recherchen für diesen Brief danken.