„ Unternehmens-Ethik lässt sich sehr gut vermarkten“


SILVIA TRAUNWIESER
SILVIA TRAUNWIESER

SCHEIN & SEIN. Mit „Nachhaltigkeits-Management“ und Hochglanz-Broschüren zur gesellschaftlichen Verantwortung signalisieren immer mehr Unternehmen:
„Wir sind die Guten!“ Die Juristin Silvia Traunwieser beschäftigt sich mit Licht und Schatten der Unternehmens-Ethik.

 

Interview: Dietmar Dworschak

ANWALT AKTUELL: Ganz grundsätzlich gefragt, Frau Professor Traunwieser – stehen Ökonomie und Ethik im Widerspruch?

 

Prof. Silvia Traunwieser: Sie können im Widerspruch stehen, müssen es aber nicht. Es hängt von vielen Faktoren ab – Gesetzen, Rahmenbedingungen, Wirtschaftssystem. Gleichzeitig spielt hier wesentlich die Person mit, aber auch die Philosophie und Kultur des Unternehmens. Schließlich geht es auch noch um die jeweilige handelnde Person in einer bestimmten Situation. Eine eindeutige Antwort auf Ihre Frage kann ich nicht liefern.

 

ANWALT AKTUELL: Auf welchen Fundamenten steht Wirtschafts- und Unternehmens-Ethik? Sind das religiöse Grundsätze oder ein allgemein definierter sittlicher Kodex?

 

Prof. Silvia Traunwieser: Auch hier gibt es keine eindeutige Antwort. Es hängt davon ab, aus welcher wissenschaftlichen Disziplin analysiert wird. Etwa jeweils die Hälfte jener, die sich mit Wirtschaftsethik befassen, stammen aus den Bereichen Philosophie und Theologie einerseits und Betriebswirtschaftslehre andererseits. Insofern bin ich als reine Juristin eine Ausnahme. Kommt man beispielsweise aus der Betriebswirtschaft, dann geht es oft um das Generieren eines Vorteiles oder Anreizes, einen „win-win“- Ansatz und die Frage, ob sich Unternehmens-Ethik vermarkten lässt. Karl Homann ist ein
bekannter Vertreter dieser Theorie, die im deutschen Sprachraum eher eine Sonderstellung einnimmt. Peter Ulrich hingegen kritisiert ihn sehr stark, weil diese Vorteilsstellung seiner Meinung nach nicht ausreichend hinterfragt wird.

 

ANWALT AKTUELL: Es gibt auf der einen Seite, quasi als Überbau, die Wirtschafts-Ethik, und auf der anderen Seite die Unternehmens-Ethik. Was kann Unternehmens-Ethik erreichen, wenn es keine Wirtschafts-Ethik gibt, die eine marktwirtschaftliche Ordnung insgesamt begründet?

 

Prof. Silvia Traunwieser: Da hängt es dann ganz stark vom jeweiligen Unternehmen ab, auch im Innenverhältnis. Wie gehe ich mit meinen Mitarbeitern um? Bin ich den Kunden gegenüber fair? Lasse ich ihnen ausreichend Information zukommen,
was Produkte und Produktsicherheit anlangt? Wir haben hier eine Überschneidung zu rechtlichen Normen, die aber auch auf einer moralisch-ethischen Unternehmensebene relevant sind.

 

ANWALT AKTUELL: Schießt sich ein einzelnes Unternehmen, das sich ethisch verhält, nicht eigentlich ins Knie, wenn die anderen tun, was ihnen passt?

 

Prof. Silvia Traunwieser: Ein Betriebswirt würde jetzt sagen: Unternehmens-Ethik lässt sich sehr gut vermarkten. Die Rückfrage wäre dann: Kann es sich ein Unternehmen überhaupt leisten, unmoralisch zu sein? Ganz konkret: Im Zusammenhang mit Nachhaltigkeits-Management wird meist sehr viel Schwammiges zusammengepackt, meist in Hochglanzbroschüren, in denen aber nicht drinsteht, ob die Informationen extern evaluiert werden. Eine Überprüfung ist
damit nicht möglich.

 

ANWALT AKTUELL: Was kann Unternehmens-Ethik ausrichten, wenn nationale und internationale Rechtsordnungen – wie es scheint – nicht fähig sind, den entfesselten Kapitalismus in Grenzen zu halten?

 

Prof. Silvia Traunwieser: Ich würde es nicht so tragisch formulieren, dass dies alles entfesselt ist. Wir haben ein gut funktionierendes Rechtssystem, das natürlich im Bereich der Wirtschaft etwas vage wird, damit ein Spielraum für Unternehmen bleibt. Da kann man die Rechtsnormen nicht so eng formulieren wie im Strafrecht, wo das ja notwendig ist. Die Unternehmens-Ethik kann hier von sich aus Regeln entwickeln. Wie wir sehen, fordern die jüngeren Generationen von den Unternehmen deutlich mehr Information und Transparenz ein als dies früher der Fall war. Es wird, auch angesichts der herrschenden Flaute am Arbeitsmarkt, zu einem Umdenken der Unternehmen kommen, wie sie sich gegenüber ihren künftigen Mitarbeitern präsentieren. Hier wird Unternehmens-Ethik immer stärker an Bedeutung gewinnen.

 

ANWALT AKTUELL: In den meisten, jedenfalls größeren Unternehmen, gibt es quasi-ethische Leitbilder und Compliance-Regeln. Sind das Ihrer Erfahrung nach Grundsätze, die befolgt werden oder dienen sie eher zur Behübschung?

 

Prof. Silvia Traunwieser: Das kann ich grundsätzlich nicht beantworten, man müsste sich jedes Unternehmen und Leitbild genau ansehen. Meine Erfahrung und empirische Befunde weisen eher darauf hin, dass große, meist international agierende Unternehmen, solche Leitlinien entwickelt haben, teilweise, weil diese Standards aus den USA kommen, wo Unternehmens-Ethik einen anderen Stellenwert hat als in der übrigen Welt. Dies vor allem deshalb, weil in Amerika rechtliche Normierungen fehlen, die bei uns jedoch existieren. Beispiel Whistleblower-Hotline: Solche wurden nach amerikanischem Vorbild auch bei uns installiert.

Aus meiner Beobachtung kann ich sagen: Es gibt sehr wohl Unternehmen, die ihre Leitlinien mit ihren Mitarbeitern gemeinsam entwickeln und oft sehr ernst nehmen. Es ist allerdings sehr schwierig, Unternehmen mit so hohen Standards von außen zu erkennen, es sei denn, man hat über Mitarbeiter Einsicht ins Innere der Firma.

 

ANWALT AKTUELL: Zur Unternehmens-Ethik im weiteren Sinn gehört auch das Thema Korruption. 2013 haben Sie eine „rechtliche und ethische Annäherung an die Korruption“ verfasst. Mit welchem Ergebnis?

 

Prof. Silvia Traunwieser: Wir haben auch in Österreich Korruption, wie uns Transparency International jährlich wieder nachweist. Es gibt Evaluationsberichte von GRECO, die von der Politik zu beachten und umzusetzen wären. Es ist dann immer wieder die Frage, wie dagegen gesetzliche Maßnahmen ergriffen und umgesetzt werden können. Am Anfang steckt viel Ehrgeiz dahinter, doch am Ende wird im Gesetz die Beamtenbestechung wieder ausgespart. Das heißt, bereits im Rechtssetzungsprozess gibt es Probleme. Hier zeigt sich, wie Lobbyismus Einfluss auf Gesetze nehmen kann, die das Korruptionsstrafrecht am Ende nicht so wirksam werden lassen, wie man sich das wünschen würde. Hier kann Unternehmens-Ethik eingreifen, indem sie ergänzend zu rechtlichen Rahmenbedingungen eigene Verhaltens-Kodices entwickelt, die Rechte und Pflichten für Unternehmen und Mitarbeiter ausformulieren.

Man muss sich ja nur die Geschichte anschauen: In Österreich waren noch relativ lang Bestechungsgelder von der Steuer absetzbar, in manchen Ländern kann man das immer noch tun. Global agierende Unternehmen finden verschiedene Rechtssysteme vor. Ein Unternehmen kann sich prinzipiell an den strengeren rechtlichen Normierungen orientieren, jedoch zusätzlich Verhaltenskodizes für jene Länder schaffen, in denen rechtliche Normierungen noch nicht oder weniger greifen.

 

ANWALT AKTUELL: Das Thema „Whistleblowing“ haben Sie bereits angesprochen. Ist diese Form der anonymen Anzeige „ein Segen oder ein Fluch“, wie der Titel einer Ihrer Arbeiten gelautet hat?

 

Prof. Silvia Traunwieser: Für jemanden, der in dieser Form Informationen aufdeckt, ist das kein leichtes Unterfangen. Wenn man etwas anzuzeigen hat, fragt man sich natürlich: Was mache ich mit dieser Information? Ignorieren, unter den
Teppich kehren – die klassische österreichische Variante. Oder aber versuche ich, die entsprechenden Schritte zu setzen, möglicherweise mit dem Risiko, dass ich den Job verliere…Ich würde sagen, diese anonymen Whistleblowing-Hotlines
können sehr positiv sein, weil sie Informationen transparenter machen, die sonst nicht ans Tageslicht kommen würden. Es darf allerdings nicht zu einem Missbrauch dieser Hotlines kommen, indem man andere Mitarbeiter verleumdet oder
Mobbing betreibt. Gute Hotlines in diesem Bereich haben die Möglichkeit für Rückfragen und für faire Klärung.

 

ANWALT AKTUELL: Corona hat in der Wirtschaftswelt einiges verändert, mit dem Sie sich auch wissenschaftlich beschäftigt haben, zum Beispiel Digitalisierung und Home-Office. Ist es eigentlich ethisch vertretbar, dass große Unternehmen ihre Mitarbeiter vom März 2020 bis heute im Home-Office halten?

 

Prof. Silvia Traunwieser: Das finde ich interessant. Mir ist eher das Gegenteil bekannt. Home-Office ist mittlerweile bereits rechtlich geregelt. Es basiert auf Freiwilligkeit und einer Vereinbarung von beiden Seiten. Dementsprechend müsste man
jene Fälle, die Sie jetzt ansprechen, hinterfragen, ob die notwendige Freiwilligkeit besteht. Aus meiner Beobachtung haben sich Unternehmen lange Zeit nur sehr restriktiv auf Home-Office eingelassen. Die Covid-Zeit hat allerdings gezeigt, dass es funktioniert. Die umgekehrte Variante, wie Sie sie beschreiben, kann ich mir nur erklären mit der Bemühung, dem Unternehmen Kosten zu sparen.

 

ANWALT AKTUELL: Abschließend noch ein richtig großes Thema, auch aus Ihrer Forschungstätigkeit. Sie haben sich mit „Menschenwürde im 21. Jahrhundert“ beschäftigt. Was ist dabei herausgekommen?

 

Prof. Silvia Traunwieser: Menschenwürde ist in Österreich – wenn man es mit Deutschland vergleicht – im rechtlichen Status eher unterrepräsentiert. Deutschland hat diesen Begriff bereits im Artikel eins des Grundgesetzes verankert. Bei uns finden wir die Menschenwürde immer wieder in einzelnen einfachgesetzlichen Bestimmungen. Für mich als Juristin ist es ähnlich wie mit der „Gute-Sitten“-Klausel: Ich komme auf die Menschenwürde, wenn nichts anderes mehr greift. Es ist bei der Rechtsprechung der Höchstgerichte auch so, dass die Menschenwürde mangels verfassungsrechtlicher Verankerung immer wieder als oberstes Prinzip herangezogen wird. Ich habe mich bei meiner unternehmensethischen Theorie der 4-Ebenenmatrix bewusst nicht auf Menschenwürde fokussiert, weil Menschenwürde ein sehr breiter und wichtiger Begriff ist, der jedoch alles und nichts darstellen kann. Bin ich als Mitarbeiter, wie bei Peter Ulrich, Mittel zum Zweck, Gewinne zu erwirtschaften, oder stehe ich als Mitarbeiter im Mittelpunkt? Werde ich instrumentalisiert oder steht der Mensch im Fokus der Führung? Die Abgrenzung ist hier zu schwammig und in der Praxis kaum durchsetzbar.

 

Frau Professor Traunwieser, danke für das Gespräch.


SILVIA TRAUNWIESER
Ass.-Prof. Mag. Dr., MBL
Rechtswissenschaftliche Fakultät Universität Salzburg,
Aktuelle Forschungsschwerpunkte: Wirtschaftsethik (CSR, Korruption, Whistleblowing, Digitalisierung, Home-Office)
Projekt: 4-Ebenen-Matrix der Führungs- und Unternehmensethik
www.businessethics.at