Wem sollen (können) wir noch vertrauen?


DIETMAR DWORSCHAK
DIETMAR DWORSCHAK

STAAT & POLITIK. Eine kleine Gruppe abgebrühter junger Männer hat zuerst eine Partei und dann die Hebel der Staatsmacht übernommen. Ihren Aufstieg verdanken sie manipulierten Umfragen und drastischer Überziehung von Wahlkampfkosten. Die gute Nachricht: Justiz, Parlament, Bundespräsident und ein paar Medien funktionieren noch.

VERTRAUEN ist die Währung des menschlichen Zusammenlebens. Wenn wir des Morgens nicht mehr zur Türe hinausgehen
können, weil wir den herabfallenden Blumentopf oder einen Nachbar mit gezücktem Messer fürchten müssen,
dann hört sich „normales“ Leben auf. Was passiert aber, wenn wir auf 104 Seiten Anklageschrift der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) zu lesen bekommen, wie eine eiskalte Truppe von Macht-Karrieristen sukzessive den Staat übernommen hat? Politisch gesehen ist uns da nicht nur ein Blumentopf auf den Kopf gefallen, sondern gleich die ganze Fassade des neuen IKEA beim Westbahnhof in Wien. Vertrauen in die Politik? Vertrauen in die Demokratie? Zerstört durch Frechheit, Geschmacklosigkeit und Hybris.

 

Sind wir so?

Als „Ibiza“ aufpoppte meinte der Bundespräsident noch: „Wir sind nicht so.“ Kurz und Kumpanen haben ihn eines Besseren belehrt. Diesmal trägt der Skandal nicht mehr die Farbe Blau, sondern Türkis. Die Entschuldigung, die der Bundespräsident diesmal äußerte, kann uns nur vorübergehend beruhigen. Denn die Propagandisten der „Unschuldsvermutung“ gewinnen an Boden, je länger ihr gefallener Held in der Zwangspause verharrt. Bahnt sich am Ende die Wiederkehr einer frauenverachtenden Männer-Truppe an, die bedrohliche und demütigende Gespräche mit hohen Kirchenvertretern führt und Steuermillionen an Medien vergibt, die ihr Lied singen? Kann es jemand tatsächlich noch ernst meinen zu sagen: „Warum denn nicht? Wenn strafrechtlich nichts dran ist?“

 

Bekenntnis zu Justiz und Rechtsstaat?

Der amtierende Bundeskanzler gehört bekanntlich auch zu denen, die eine große Ungerechtigkeit in dem sehen, was auf die ÖVP da hereingebrochen ist. Er redet von „falschen Anschuldigungen“ gegen Sebastian K. und unterstellt damit den Anklagebehörden schlechte Arbeit. Für einen demokratischen Rechtsstaat ist das schon starker Tabak. Zum Glück lassen sich die Ermittler (wenigstens nach außen hin) von solchen Meldungen nicht irritieren. Kluges und unaufgeregtes Verhalten darf man neben dem Bundespräsidenten auch der grünen Justizministerin Zadic nachsagen. Sie hat die spektakulären Krisen um Pilnacek und Kurz mit einer Eleganz gemeistert, wie sie Van der Bellen immer wieder der Verfassung attestiert.

 

Auch das Parlament funktioniert noch

In den „türkisen“ Machtphantasien spielte das Parlament eine untergeordnete Nebenrolle. Umso erfreulicher sind die Lebenszeichen, die neuerdings von dort kommen. Nach dem willkürlich abgedrehten Untersuchungsausschuss zu „Ibiza“, den man aus heutiger Sicht als eine Analyse der Machtrezepte der Boy-Group im Kanzleramt verstehen kann, folgt nun quasi das Hauptabendprogramm: Untersuchungsausschuss rund um die 2016-er/2017-er-Jahre. Interessant wird sein, wie sich die Auskunftspersonen diesmal verhalten. Kaum vorstellbar, dass sie nochmals mit jener beißenden Arroganz auftreten, mit der sie versucht haben, den „Ibiza“-Ausschuss als „Theater“ zu diskreditieren. Diesmal haben wir als Staatsbürger durch Medienberichte das Programmheft bereits im Voraus in der Hand.

 

Steuergeld für Medien

Es ist zu wünschen, dass sich das Parlament endlich einmal auch operativ mit dem Thema Inseraten-Korruption beschäftigt. Dass Kanzleramt und Ministerien ohne Kontrolle der Volksvertretung Steuermillionen an willfährige Medien hinauspfeffern (siehe Seite 26) kann nicht im Interesse der Mehrheit der österreichischen Staatsbürger sein. Dieser Meinungskauf am Boulevard führt nicht nur zu den bekannten Verzerrungen politischer Mehrheiten, sondern auch zu einer Aushöhlung der politischen Kultur des Landes insgesamt. Gegen die Wucht dieser mehr oder minder gekauften „Meinungsbildung“ wachsen zum Glück noch ein paar widerständige Disteln wie „Standard“, „Falter“, Ö 1-Journale und ZIB 2. Nur ihnen ist zu verdanken,
dass die Wahrheit nicht ganz unter die Räder kommt.

Wem also sollen (können) wir noch vertrauen? So lange Bundespräsident, Verfassung und Justizministerin (inklusive Strafverfolgungsbehörden) ihre Arbeit ernst und gut machen, solange das Parlament hartnäckig untersucht und solange eine Handvoll kritischer Medien uns noch die Wahrheit vermittelt, können wir des Morgens zuversichtlich in einen neuen Tag im Staate Österreich hinausgehen.


DIETMAR DWORSCHAK
Herausgeber & Chefredakteur
dd@anwaltaktuell.at