Crypto savior or fraud?

SPEKTAKULÄRER PROZESS. Der Vorwurf: Veruntreuung von 9 Milliarden Dollar Kundengeldern. Der Angeklagte: Sam Bankman-Fried, ehemaliges Wunderkind der Krypto-Börse. Wollte er tatsächlich „verdienen, um zu geben“? Im Verfahren wird immer wieder vom „Effektiven Altruismus“ gesprochen. Spannende Tage sind garantiert. 

I n der Strafsache US v. Sam Bankman-Fried wird vor dem New York Federal District Court in Manhattan verhandelt, während ich diesen Brief schreibe. Die Verhandlung wird voraussichtlich sechs Wochen dauern und macht täglich Schlagzeilen. Es ist der größte Fall von Wirtschaftskriminalität in der jüngeren Geschichte und möglicherweise der zweitgrößte seit Bernie Madoff. Madoff wurde 2009 wegen des größten jemals dagewesenen privaten Schneeballsystems zu 150 Jahren Gefängnis und einer Entschädigungszahlung von 170 Milliarden Dollar verurteilt. Er starb 2021 im Gefängnis. Der Fall Bankman-Fried basiert jedoch auf einer komplett unterschiedlichen Ausgangslage, nachdem der erst 31 Jahre alte Angeklagte offenbar keinerlei Bereicherungsmotiv hatte. Vielmehr glaubte er an “Effective Altruism” (EA. Laut dem Centre for Effective Altruism handelt es sich dabei um eine philosophische und soziale Bewegung, mit folgendem Ziel: “... using evidence and reason to figure out how to benefit others as much as possible and taking action on that basis.”) Die Wurzeln finden sich in den frühen 2000er Jahren, der Begriff wurde 2011 geprägt.

 

7.000 effektive Altruisten

Der Washington Post zufolge gibt es derzeit etwa 7.000 EA-Anhänger, größtenteils junge, wohlhabende weiße Männer mit Verbindungen zu Eliteschulen in den USA und Großbritannien. Effektive Altruisten konzentrieren sich in der Regel auf Herausforderungen unserer modernen Welt, wie globale Gesundheit, soziale Ungleichheit, Tierschutz und die durch den Klimawandel bedingten Gefahren für das Überleben der Menschheit. Zwei der größten Geldgeber in der EA-Gemeinschaft sind Dustin Moskowitz, Mitbegründer von Facebook, und seine Frau Cari Tuna, die erklärt haben, dass sie den Großteil ihres Vermögens von 11 Milliarden Dollar für EA-Zwecke spenden wollen. Vor seinen massiven rechtlichen Problemen behauptete Bankman-Fried ebenfalls, dass er “verdienen, um zu geben” als eine “altruistische Karriere” verfolge. Er war nach George Soros der zweitgrößte Spender der Demokraten bei den US-Wahlen 2022 mit insgesamt 39,8 Millionen Dollar. Seine Eltern, beide Professoren der Stanford Law School, scheinen sich kaum für die eigene Vermögensbildung interessiert und ihr Kind im Sinne dieser Haltung erzogen zu haben. Er fuhr trotz seiner beachtlichen finanziellen Möglichkeiten ein günstiges Mittelklasseauto und lebte auf den Bahamas in einer Wohngemeinschaft mit 10 Mitbewohnern (dies allerdings in einem Luxus-Penthouse).

Bankman-Fried wird als mathematisches Genie beschrieben. Er machte seinen Abschluss am berühmten Massachusetts Institute of Technology („MIT“) in Boston mit Hauptfach Physik und Nebenfach Mathematik. Nachdem er mit der Arbitrage von Kryptowährungen ein Vermögen gemacht hatte, vor allem durch die Ausnutzung des höheren Bitcoin-Preises in Japan im Vergleich zu den USA (wo er bis zu 25 Mio. USD pro Tag einnahm), gründete er 2017 FTX Trading Ltd., eine Börse für Kryptowährungsderivate. Dabei handelt es sich um Finanzinstrumente, die ihren Wert aus einem zugrunde liegenden Krypto-Asset ableiten und es Händlern daher ermöglichen, auf die Kursbewegungen von Kryptowährungen zu spekulieren, ohne den zugrunde liegenden Vermögenswert tatsächlich zu besitzen.

 

Liebkind der Gesetzgeber

Bis zu seinem Niedergang war Bankman-Fried das Liebkind der Gesetzgeber in Washington, wo er häufig die Gesetzgebung zur Krypto-Reform unterstützte, insbesondere den Entwurf des Digital Commodities Consumer Protection Act von 2022. Dieser würde erstmals eine klare Definition von “digitaler Ware”, die insbesondere Bitcoin-Unternehmen mehr Klarheit darüber verschafft, wann und wie sie sich bei der Commodity Futures Trading Commission (CFTC) oder der Securities and Exchange Commission (SEC) registrieren müssen, wobei die brennendste Frage dabei ist, ob ein Bitcoin-Token als Ware oder als Wertpapier zu klassifizieren ist. Wenn es sich um ein Wertpapier handelt, dann würden alle Bitcoin-Transaktionen in die Regulierungskompetenz der SEC fallen und deren Vorschriften anwendbar sein. Handelt es sich um eine Ware, dann würden die Vorschriften der CFTC gelten. Derzeit gibt es noch keine klaren Bundesrichtlinien für die Registrierung oder Überwachung durch eine der beiden Behörden.

Unter Wertpapier werden generell Finanzinstrumente wie Aktien, Anleihen und Derivate verstanden. In der Rechtssache SEC v. W.J. Howey (1946) wurde ein Wertpapier als “Investitionsvertrag” definiert – was bedeutet, dass eine Person, die Geld in ein Wertpapier investiert, “is led to expect profits solely from the efforts of the promoter or a third party”, wie es in der Entscheidung heißt. Die Anleger könnten diesen Gewinn später durch den Verkauf des Wertpapiers oder durch die Vereinnahmung von Dividenden oder Zinszahlungen realisieren. Dies ist als “Howey-Test” bekannt geworden. Bei Waren hingegen handelt es sich um physische Güter, die an Börsen gehandelt werden, wie Mais und Weizen sowie Edelmetalle wie Gold und Silber. Waren werden in der Regel auf der Grundlage ihres aktuellen Marktwerts gehandelt. Da es für Bitcoin Token aber keine zentralen Börsen gibt, ist es schwierig, einem bestimmten Token einen Marktwert zuzuweisen, was Manipulationen und Betrug fördert.

 

Begriffstreitigkeiten

Die SEC argumentiert, dass es sich bei Token um Wertpapiere handelt, die somit den Registrierungs- und Offenlegungsvorschriften der SEC unterliegen, die für Aktien, Anleihen usw. gelten und dem Schutz der Öffentlichkeit dienen sollen. Andererseits definierte die CFTC im Jahr 2015 Bitcoin und andere virtuelle Währungen als Waren im Sinne des US Commodity Exchange Act (CEA). Die Händler virtueller Währungen argumentieren wenig überraschend, dass es sich bei Token weder um das eine noch das andere handelt und versuchen damit beide Regulierungssysteme zu umgehen. So vertritt beispielsweise die Blockchain Association den Standpunkt, dass Token “lediglich Software” sind und, dass es für die Branche und die innovative Technologie verheerend sei, wenn die SEC Softwarepakete als “Wertpapiere” einstuft. Diese Position gewann in einem kürzlich von der SEC gegen Ripple Labs Inc. angestrengten Zivilverfahren an Boden, in dem die Beklagte durch ein nicht registriertes Angebot ihres Tokens XRP mehr als 1,3 Mrd. Dollar eingenommen hatte und damit in den Augen der Behörde gegen Abschnitt 5 des Securities Law verstieß. Die beiden Hauptakteure machten einen Gewinn von 600 Millionen Dollar auf Kosten der öffentlichen Anleger. Das Gericht entschied, dass der Token kein Wertpapier sei und den Howey-Test nicht erfülle, u. a., weil bei Blockchain-Transaktionen, Kauf und Verkauf naturgemäß anonym erfolgen, und die Anleger daher keine auf Bemühungen anderer basierenden Gewinnerwartungen haben konnten. Interessanterweise wurde die Beklagte im Fall Ripple von Mary Jo White vertreten. Sie leitete unter Präsident Obama die SEC und ist jetzt Partnerin bei der renommierten white-shoe Kanzlei Debevoise and Plimpton. Dies war typisch für die “Drehtür”, bei der ehemalige Staatsbedienstete nach ihrem Dienst in der Regierung ihr Wissen und ihr Ansehen in der Privatwirtschaft nutzen, um Millionengehälter zu lukrieren. Im Fall Ripple vertrat Mary Jo White wohl genau das Gegenteil von dem, was sie in ihrer Zeit als Leiterin der SEC zu erreichen versucht hatte, nämlich den Schutz der Öffentlichkeit. Als “Branchenexperte” hatte Bankman-Fried in Washington D.C. bei Anhörungen des Kongresses ausgesagt, den Gesetzgebern Einblicke in die Funktionsweise der Börsen für virtuelle Währungen gegeben und erläutert, wie diese besser von der SEC oder der CFTC reguliert werden könnten. Dann kam der Untergang von FTX und der Ruf nach Regulierung.

Die Regulierung von Kryptowährungen sollte ein überparteiliches Thema sein, das sowohl Republikaner als auch Demokraten unterstützen können, aber wie es im derzeit völlig zerstrittenen Kongress üblich ist, sind sich die Parteien auch in dieser Frage uneins. Die Republikaner vertreten im Großen und Ganzen den Standpunkt, dass es sich bei den Fällen von Krypto-Betrug um Einzelfälle handelt, die auf einzelne Betrüger zurückzuführen sind, und daher die Schuld nicht bei den innovativen Technologien an sich zu suchen wäre und die Entwicklung nicht behindert werden soll. Demgegenüber vertreten die Demokraten im Allgemeinen den Standpunkt, dass Kryptowährungen hauptsächlich ein Instrument zur Geldwäsche sind, das keinen eigentlichen Wert oder Zweck besitzt. Nichtsdestotrotz sind sie ein ernstzunehmender Wirtschaftsfaktor. Nach Angaben der New York Times war der Wert alles ausstehenden Krypto “gelds” im Jahr 2021 weltweit auf etwa 2,4 Billionen US-Dollar gestiegen – doppelt so viel wie die etwa 1,2 Billionen US-Dollar, die weltweit im Umlauf sind. Im Jahr 2019 lag der Wert noch bei 200 Milliarden Dollar. Wie der Korrespondent der Times, Eric Lipton, hervorhob, ist dies bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass die Branche erst im Jahr 2009 entstand, als die erste Kryptowährung, Bitcoin, eingeführt wurde.

 

Kundengelder abgezweigt?

Die Anklage gegen Bankman-Fried beruht auf dem Vorwurf er hätte das Geld anderer Leute genutzt, um einen Betrug zu begehen. Als seine Börse infolge einer Liquiditätskrise zusammenzubrechen begann, soll er Kundengelder abgezweigt haben, um zu versuchen, das Unternehmen zu retten. Die Krypto-Regulierung, die jetzt diskutiert wird, ist für diese Art von Betrug zwar nicht direkt relevant, aber der FTX-Zusammenbruch hat die Notwendigkeit einer Regulierung vorangetrieben. Wie Bankman-Fried selbst sagt müssen die Anleger vor den Risiken geschützt werden, die mit den unregulierten Krypto-Börsen verbunden sind. Die Ironie ist, dass, wenn der Kongress eine gemeinsame Basis finden kann und eine wirksame staatliche Regulierung für Krypto eingeführt wird, Bankman-Fried tatsächlich als ihr Retter angesehen werden könnte – nicht aufgrund seines Einflusses auf die Gesetzgeber während seiner Zeit als Chef von FTX, sondern vielmehr, weil der gigantische Zusammenbruch von FTX die dringende Notwendigkeit einer Krypto-Regulierung in das öffentliche Bewusstsein gebracht hat.