„Staatspolitik vor Parteipolitik“

ÖRAK-Präsident Dr. Armenak Utudjian blickt im Gespräch mit Anwalt Aktuell auf den diesjährigen Anwaltstag zurück und erläutert seine wichtigsten Forderungen an die Politik.

Anwalt Aktuell: Sehr geehrter Herr Präsident, der diesjährige Anwaltstag in Linz liegt nun hinter uns – wie lautet Ihr persönliches Fazit?

 

Armenak Utudjian: Wir konnten in diesem Jahr einen neuen Rekord an Teilnehmerinnen und Teilnehmern verzeichnen und ich denke, allein diese Tatsache sagt bereits viel über die Qualität und Strahlkraft der Veranstaltung aus. Ich danke daher vorab allen Teilnehmenden, Vortragenden und Mitarbeitenden, die mit ihrer Arbeit zum Gelingen des Anwaltstags beigetragen haben. Besonders hervorheben möchte ich auch den Besuch der Bundesministerinnen Dr. Alma Zadic´ć und Mag. Karoline Edtstadler, die sich in ihren Redebeiträgen durchaus offen für die Anliegen der Anwaltschaft gezeigt haben.

 

Anwalt Aktuell: Welche Anliegen haben Sie gegenüber den Bundesministerinnen thematisiert?

 

Armenak Utudjian: Meine wichtigste und ganz grundlegende Forderung an die Politik insgesamt ist es, Staatspolitik vor Parteipolitik zu stellen, so wie auch wir als Anwaltschaft die Staatspolitik stets vor die Standespolitik stellen. Auch aus einem ganz pragmatischen Zugang heraus, denn der Rechtsstaat ist unsere Berufsgrundlage. Ohne ihn ist alles nichts. Ohne ihn brauchen wir uns über RATG-Anpassungen keine Gedanken mehr zu machen, ohne ihn sind wir keine Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte mehr und auch keine Bürgerinnen und Bürger.

 

Anwalt Aktuell: Machen wir es konkret: Bei welchem Thema vermissen Sie derzeit die Wahrnehmung von staatspolitischer Verantwortung?

 

Armenak Utudjian: Ich sagen Ihnen ganz offen, dass ich vor allem nichts von politischen Junktimen bei Justiz- und Rechtsstaatsthemen halte. Entweder ist etwas sachlich notwendig oder nicht. Und damit meine ich auch die Besetzung von wichtigen Funktionen in der Gerichtsbarkeit. Monatelange interimistische Bestellungen sind rechtsstaatlich nicht akzeptabel. Es darf nicht einmal den Anschein einer Verpolitisierung der Justiz geben. So verspielt man das Vertrauen der Bevölkerung in unsere unabhängige Gerichtsbarkeit. Mein Vorschlag ist daher eine unabhängige Auswahlkommission, in der auch die Rechtsanwaltschaft ihre Expertise einbringen würde.

 

Anwalt Aktuell: Sie wurden im Rahmen des Anwaltstages von der Vertreterversammlung des ÖRAK in Ihrer Funktion als Präsident wiedergewählt. Wie wollen Sie die nächsten drei Jahre an der Spitze der Standesvertretung anlegen?

 

Armenak Utudjian: Mein Team im Präsidium und ich werden uns sehr intensiv mit der Zukunft unseres Berufsstandes beschäftigen, wobei mir insbesondere die Attraktivität des Berufs für Frauen ein Anliegen ist. Kein Beruf hat weniger Unterschied zwischen den Geschlechtern gemacht, als unserer. Leider auch im negativen Sinne. Hier braucht es noch bessere Rahmenbedingungen. Dafür werde ich mich weiter einsetzen.

 

Anwalt Aktuell: Eigentlich hätte in diesen Tagen ein Treffen des ÖRAK mit der Israelischen Rechtsanwaltskammer in Tel Aviv stattfinden sollen, um die zweite Auflage des Buches „Advokaten 1938“ vorzustellen. Aufgrund der aktuellen Ereignisse musste dieser Besuch nun abgesagt werden. Wie sind Ihre Gedanken dazu?

 

Armenak Utudjian: Die gezielten Angriffe der Hamas-Terroristen auf die israelische Bevölkerung haben mich zutiefst erschüttert. Mein Mitgefühl gilt in diesen Tagen vor allem auch den Kolleginnen und Kollegen der israelischen Anwaltschaft und ihren Familien, denen wir in tiefer Freundschaft verbunden sind. Ich wünsche ihnen allen viel Kraft in diesen unvorstellbar schweren Stunden.