BETON. Während in vielen Nachbarstaaten der Bodenverbrauch effektiv überwacht und begrenzt wird, leistet sich Österreich den ständigen Verstoß gegen das definierte Ziel, pro Tag nicht mehr als 2,5 Hektar Fläche zu „versiegeln“. Ein Gespräch mit dem Präsident der Architekt:innen und Zivilingenieur:innenn Österreichs, Daniel Fügenschuh.
Dipl. Ing. Daniel Fügenschuh
Präsident der Architekt:innen und Zivilingenieur:innen
Anwalt Aktuell: Es gibt eine offizielle Information der Bundesinnung Bau in der Wirtschaftskammer Österreich vom September dieses Jahres. Da liest man: „Bei der Umsetzung einer Flächenobergrenze von 2,5 Hektar pro Tag wären längerfristig rund 250.000 Arbeitsplätze gefährdet“. Wird in Österreich zu wenig gebaut?
Daniel Fügenschuh: Die zweieinhalb Hektar sind ja schon lange im Regierungsprogramm und sind nach wie vor nicht umgesetzt. Dieses Ziel wird mit dem, was Sie da zitieren, in Frage gestellt. Da sieht man schon verschiedene Interessenslagen. In Tirol ist das Zweieinhalb-Hektar-Ziel beschlossene Sache, das in der Realität auch eingehalten wird. Von einer Tiroler ÖVP-SPÖ-Regierung ist eigentlich nicht zu erwarten, gegen wirtschaftlichen Erfolg und Vollbeschäftigung zu handeln. Diese scheinen sich also nicht mit der Einschränkung des Bodenverbrauchs zu beißen. Als Ziviltechniker:innen sehen wir immer wieder, dass solche Zahlenargumentationen als Vorwand für Eigeninteressen benützt werden. Das Zweieinhalb-Hektar-Ziel einzuhalten heißt ja nicht, dass man keine Bautätigkeit mehr hat. Man macht es nur ein bisschen smarter.
Anwalt Aktuell: Andere Staaten in Europa haben eine bundesweite Raumplanung. Warum Österreich nicht?
Daniel Fügenschuh: Es hängt mit dem Kompetenzdschungel zusammen, den wir haben. Auf Gemeinde-, Landes- und Bundesebene gibt es verschiedene Faktoren, die die Raumplanung beeinflussen. In Deutschland und in der Schweiz gibt es ein Bundesraumordnungsgesetz. In beiden Staaten gibt es ein richtiges Commitment, nicht weiter Grünland zu verbauen. Das gibt’s bei uns nicht.
Anwalt Aktuell: Sie haben einmal gesagt „Österreich verbaut zu viele Flächen“. Woher bekommt man, wenn nicht mehr gebaut wird, neue Wohnungen?
Daniel Fügenschuh: Österreich ist fertig bebaut, aber nicht fertig gebaut. Das ist ein feiner, aber wichtiger Unterschied. Wir haben sehr viele Flächen beispielsweise in den Speckgürteln der Ortschaften, die schlecht genutzt sind. Es geht aber auch um wenig Dichte und Qualität im bestehenden Häuserbestand. Die Hälfte der österreichweiten Verbauung entfällt auf Einfamilienhäuser. Da kann man sehr viel machen. Das geschieht mittlerweile auch. Früher hat man für ein Einfamilienhaus 1.000 Quadratmeter gebraucht, inzwischen geht das schon mit 350.
Anwalt Aktuell: Unkontrollierter Flächenfraß führt zu Zersiedelung, die in Österreich bereits weit fortgeschritten ist. Was kann man tun, um wieder halbwegs humane Lebensräume zu schaffen, wo man nicht zwingend ein, zwei oder mehrere Autos braucht?
Daniel Fügenschuh: Das ist ja das, was man auch im Urlaub schätzt, wenn man zum Beispiel nach Italien oder Kroatien fährt. Da gibt es noch intakte Ortskerne, wo man sich gerne aufhält. Wir setzen leider mit kontraproduktiven Förderungen oder über den Finanzaus gleich Anreize, die eher dazu führen, dass man weiter zersiedelt, und dass man bei den Ortseinfahrten drei Diskonter mit riesigen Parkflächen und Kreisverkehren vorfindet. Stattdessen sollte man wieder dazu zurückfinden, dass die Ortskerne aktiviert werden. Es braucht eine Planung, die über die Parzelle hinaus denkt. Da sind die Kommunen und die Planer:innen gefragt. Es gibt dazu auch Konzepte – z.B. ISEK, Integrierte Stadtentwicklungskonzepte – wo die Planung über die Gesamtheit der Flächen geführt wird, und zwar im Dialog mit der Bevölkerung.
Anwalt Aktuell: Wer verursacht eigentlich den größten Flächenverbrauch?
Daniel Fügenschuh: Das ist eine Frage der Betrachtungsweise. Wenn man jetzt sieht, dass ein Unter nehmen eine enorme Fläche für ein Verteilerzentrum versiegelt, dann ist das als solches schlecht. Aber natürlich sind die Strukturen im Einfamilienhausbau auch sehr ungünstig. Die Nutzung kann sich hier bereits nach 10 oder 20 Jahren ändern, oder sie bleibt für 50 Jahre oder länger bestehen. Hier ist wenig Flexibilität gegeben. Da schaut es bei einem Mehrfamilienhaus schon besser aus. Mehrfamilien- und Mehrgenerationen-Häuser sind die bessere Lösung, weil sie Wohnungssuchende stärker einbeziehen. Auch bei der laufenden Servicierung schneiden diese gemeinsamen Wohnformen besser ab.
Anwalt Aktuell: Österreich gibt es gute und weit über die Grenzen hinaus anerkannte Beispiele für den sogenannten „verdichteten Flachbau“. Warum hat sich dieses Konzept nicht breiter durchgesetzt?
Daniel Fügenschuh: Weil die gesamtheitliche Betrachtung fehlt. Es gibt – auch bei den Interessensvertretungen – die Tendenz, die eigene Gruppe zu schützen und nicht darüber hinaus zu denken. Man ist als Autofahrer gegen Radfahrer und als Radfahrer gegen Fußgänger. Das beschleunigt sich zunehmend. Das befördert auch die Zersiedelung. Früher hat man sich noch mehr getroffen und ausgetauscht und hat auch die Realität der anderen in einem Siedlungsraum mehr mitbekommen. Dieser Austausch wird verunmöglicht, wenn ich z.B. von einer Tiefgarage zu Hause in die Tiefgarage des Supermarktes fahre. Noch schlimmer ist es, wenn man auf dem Schulweg keine Freunde mehr trifft.
