Prag zählt zu den schönsten Städten der Welt. Ihr Beiname „die Goldene“ geht auf das warme Licht zurück, das die Sandsteinfassaden in der Ebene am Moldauknie zum Leuchten bringt. Doch das Gold Prags ist nicht nur eine optische Besonderheit – es ist auch ein Symbol für die kulturelle und geistige Strahlkraft dieser Stadt, durch die Jahrhunderte verkörpert durch Künstler, Denker, Herrscher und Rebellen. Ein außergewöhnlicher Reiz Prags liegt in seiner historischen Tiefe. Die Stadt war in vielen Epochen ein Brennpunkt europäischer Machtpolitik, ein Ort der Begegnungen ebenso wie der Konflikte zwischen verschiedenen Kulturen, Religionen und politischen Systemen. Vielfältige Herrschafts- und Rechtssysteme prägten das Leben der Prager Bevölkerung – vom Heiligen Römischen Reich über die Habsburger Monarchie bis hin zur kommunistisch regierten Tschechoslowakei und dem heutigen demokratischen Staat. Die oft geradezu schamlose Machtentfaltung einiger dieser Herrschaftssysteme fand ihre mutigen Herausforderer, und so wurde Prag auch zur Welthauptstadt der Rebellen. Sie lehnten sich gegen die bestehenden Verhältnisse auf und stießen damit mannigfache Veränderungen an. Die Prager Fensterstürze – gleich mehrfach in der Geschichte geschehen – stehen symbolisch für den Widerstand gegen autoritäre Herrschaft. Die Hussiten, die sich im 15. Jahrhundert in erster Linie gegen die Misswirtschaft der katholischen Kirche erhoben, machten Prag zum Zentrum einer religiösen und sozialen Revolution. Auch im 20. Jahrhundert war die Stadt Schauplatz bedeutender Umbrüche: Der Prager Frühling 1968 und die vom späteren Präsidenten Tschechiens, Václav Havel, geprägte Samtene Revolution 1989 zeugen vom ungebrochenen Willen zu Freiheit und Selbstbestimmung. Nach Reiseführern zu Rom, Paris, Wien und anderen europäischen Städten folgt Barbara Sternthalin diesem Band juristischen Spuren in Prag. Sie erzählt von den Herrschenden, die Gesetze machten, von den Rebellen, die sie anfochten, und von den kriminellen Talenten,  die sie brachen. Dabei entsteht das vielschichtige Bild einer Stadt, in der Recht und Unrecht, Macht und Widerstand, Ordnung und Chaos oft dicht beieinander lagen. Berichtet wird von Kaisern und Königen, von Alchimisten, Rabbinern und Revolutionären. Die Autorin nimmt ihre Leser mit auf eine Reise durch die Gassen und Plätze, auf denen Geschichte geschrieben wurde – von der majestätischen Prager Burg über das jüdische Viertel Josefov bis hin zur Karlsbrücke, die als steinerne Verbindung zwischen Altstadt und Kleinseite nicht nur geografisch, sondern  auch symbolisch für den Facettenreichtum Prags steht. Natürlich darf auch der berühmteste Sohn der Stadt nicht fehlen: Franz Kafka, Versicherungsjurist und Schriftsteller, dessen düstere und zugleich poetische Werke das Spannungsfeld zwischen Individuum und Bürokratie, zwischen Freiheit und Zwang auf einzigartige Weise literarisch verarbeiteten. Seine Geschichten sind tief in der Atmosphäre Prags verwurzelt – in den engen Gassen, den dunklen Höfen und den monumentalen Verwaltungsgebäuden, die bis heute das Stadtbild prägen. Und Kafkas Biografie lässt sich wunderbar anhand der beachtlichen Anzahl seiner Prager Wohn- und Arbeitsadressen ausrollen. „Karlsbrücke, Kleinseite, Kafka“ bietet einen einzigartigen Blick auf die Goldene Stadt an der Moldau. Das Buch ist ein Guide der besonderen Art – kein klassischer Reiseführer mit Sehenswürdigkeiten und Öffnungszeiten, sondern eine Einladung, Prag mit anderen Augen zu sehen: als Bühne der Macht und des Widerstands, als Ort der Rechtsprechung und der Rebellion, als Stadt der Geschichten, die sich zwischen Gesetzestexten und literarischen Zeilen entfalten. Wer sich auf diesen Blick einlässt, entdeckt eine Stadt, die weit mehr ist als ein touristisches Juwel. Prag wird zum Spiegel Europas – seiner Konflikte, seiner Ideen, seiner Utopien. Und vielleicht auch zum Spiegel unserer eigenen Fragen nach Gerechtigkeit, Freiheit und Identität.