Allgemeines
Nachhaltige Bestrebungen sind zentraler Bestandteil aller Rechtsgebiete in Folge des europäischen Green Deals, der eine emissionsfreie Kreislaufwirtschaft bis zum Jahr 2050 zum Ziel hat. So sind die Um weltziele auch im Vergaberecht beachtlich. Durch das Vergaberichtlinienpaket 2014 der EU haben die ambitionierten Umweltziele ihren Eingang ins nationale Recht im Bundesvergabegesetz (BVergG 2018) gefunden. Dort findet sich der Grundsatz der Nachhaltigkeit, spezifiziert in die Grundsätze der ökologischen, sozialen und innovativen Beschaffung. Zudem finden sich dort Bestimmungen in Bezug auf Gleichbehandlung, Nichtdiskriminierung und einen freien und lauteren Wettbewerb. Der Begriff „Nachhaltigkeit“ wird aber im BVergG selbst nicht definiert. Die Einhaltung der arbeits-, sozial- und umweltrechtlichen Bestimmungen ist laut § 93 BVergG zwingend erforderlich. In dieser Bestimmung wird die Umsetzung der Vergabe-RL 2014/24/EU und die Einhaltung von Verpflichtungen aus Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation normiert, wobei Abs 2 der Bestimmung nur auf andere inländische Gesetze verweist und deren ohne hin selbstverständliche Einhaltungspflicht betont. In Art 20 Abs 1 BVergG sind die primärrechtlich verankerten Unionsrechte der Nichtdiskriminierung, des freien Waren- und Dienstleistungsverkehrs und aus diesen Grundsätzen abgeleiteten Gebote der Gleichbehandlung und Transparenz verankert. Ein Verstoß gegen diese Grundsätze bildet also gleichzeitig einen Verstoß gegen primäres Unionsrecht und die angeführte einfachgesetzliche Norm des nationalen Gesetzgebers. Zudem normiert Abs 5 dieser Bestimmung die Verpflichtung der Berücksichtigung ökologischer Aspekte in Vergabeverfahren. Diese Bestimmung ist als leitender Maßstab bei der Auslegung aller übrigen Regelungen dieses Gesetzes heranzuziehen, da sie die zentralen Grundsätze des Vergaberechts enthält. Zwei darin enthaltene zentrale Gebote des Unionsrechts werden in Folge genauer erläutert und konkretisiert.
– Gleichbehandlungsgebot: Daraus folgt eine Bindung des Auftraggebers selbst an die Ausschreibung. In seiner konkreten Ausformung bedeutet dieser Grundsatz, dass die Möglichkeit der Verbesserung für nur einen Bieter einen Verstoß darstellt. Beispiele für versteckte Diskriminierungen sind etwa die Vorgabe Langzeitarbeitslose einzustellen oder das Erfordernis in der Stadt, in der die Dienstleistung erbracht werden soll, über einen öffentlich zugänglichen Geschäftsraum zu verfügen.
– Transparenzgebot: Es folgt aus den Grundsätzen der Gleichbehandlung und Nichtdiskriminierung, da nämlich dieser Grundsatz ohne transparente Verfahrensführung gar nicht überprüft werden könnte. Aus dem Transparenzgebot leitet sich die Pflicht ab, die Wahl des/der Zuschlagempfängers/Zuschlagempfänger:in objektiv nach vollziehbar zu gestalten.
Kriterien zur Bewertung der Nachhaltigkeit
Der Nachhaltigkeitsgedanke in der Beschaffung setzt an der Basis an und beginnt mit der Überlegung, ob der zu beschaffende Gegenstand tatsächlich notwendig ist. So muss beispielsweise vor der Bestellung neuer Straßenbahngarnituren überprüft werden, ob jene in Verwendung nicht durch eine Reparatur noch länger im Einsatz bleiben könnten. Nachhaltigkeitsaspekte werden im Rahmen der Eignungsprüfung, der Auswahlentscheidung und der Zuschlagsentscheidung berücksichtigt. Gem § 78 Abs 1 Z 5 BVergG sind Bieter:innen aus dem Vergabeverfahren auszuschließen, die gegen Bestimmungen des Arbeits-, Sozial- oder Umweltrechts in Form schwerer Verfehlungen verstoßen. Als solche wäre beispielsweise eine (rechtskräftige) Verurteilung oder Verwaltungsübertretung zu werten, wobei jedes Mal eine Einzelfallbeurteilung vorgenommen werden muss. Aber auch Verstöße gegen das Standesrecht oder die Nichterfüllung früherer vertraglicher Pflichten können darunterfallen. Ein Nachweis allfälliger Verfehlungen darf nicht gefordert werden, der/die Auftraggeber:in muss sie selbst nachweisen. Die Eröffnung bloßer Ermittlungstätigkeiten reicht nicht aus. Das Ziel der sozialen Beschaffung wird er reicht, indem beschaffene Gegenstände für Menschen mit Behinderung zugänglich sind. So müsste eine neue Straßenbahngarnitur einen Niederflureinstieg haben, um auch die Mitfahrt für Personen im Rollstuhl zu gewährleisten. Die Grundsätze der nachhaltigen und ökonomischen Beschaffung mögen widersprüchlich erscheinen, können aber bei einer Lebenszyklusbetrachtung Synergien aufweisen, da die Nachhaltigkeit eines Produkts auch nach seiner Lebensdauer und der Möglichkeit einer eventuellen (Kosten und Ressourcen schonenden) Reparatur zu bewerten ist. Um wiederum auf das Beispiel mit der Straßenbahn zu verweisen: Bietet ein:e Bieter:in ein teureres Modell als andere, das aber dafür aus langlebigerem Material ist, ist ihm/ihr der Zuschlag zu erteilen. Während Nachhaltigkeitskriterien zunehmend das Vergabeverfahren prägen, darf dabei aber das übergeordnete unionsrechtliche Diskriminierungsverbot nicht aus dem Blick geraten (und das gilt im Speziellen bei der Ausgestaltung von Zuschlagskriterien.
Chancengleichheit für Bieter:innen
Im Zuge von Vergabeverfahren darf jedoch auch das übrige Unionsrecht nicht unbeachtet bleiben. Von Priorität ist dabei der sog. Gleich heitssatz. Er ist zu berücksichtigen, wenn in einer Ausschreibung ein „regionales“ Produkt verlangt wird. Ein aus der Region beschaffenes Produkt ist zweifellos nachhaltig, wird aber bei der Vergabe des Zu schlags auf die Herkunftsnation eines Produkts abgestellt, so liegt jedenfalls eine offenkundige Diskriminierung vor. Folgt man der Judikatur des EuGH, so gelten die unionsrechtlichen Grundfreiheiten im Vergaberecht nicht absolut, sie können also de facto durch das Ziel der Nachhaltigkeit beschränkt werden. Das oben angeführte Diskriminierungsverbot gilt jedoch uneingeschränkt und absolut und es darf durch kein anderes Ziel eingeschränkt werden. Die Regionalität mittelbar als Vergabekriterium kann jedoch als CO2 Abdruck erhoben werden und gibt wiederum ohne Verletzung des europarechtlichen Grundsatzes inländischen Bieter:innen einen Vorteil. So hätte die in Europa hergestellte Straßenbahngarnitur dies bezüglich einen Vorteil – etwa gegenüber asiatischen Anbieter:innen. Qualitätsangaben, etwa bei Lebensmitteln, sind hingegen nicht diskriminierend. In Bezug auf Fleisch können hierbei konkrete Aspekte von Bedeutung sein (z. B. die Gestaltung des den Tieren zur Verfügung gestellten Platzes). Soll beispielsweise Rindfleisch aus Weidehaltung beschafft werden, werden Bieter:innen aus jenen Ländern, in denen industrielle Massentierhaltung vorherrscht, faktisch ausgeschlossen, obwohl formal nicht auf das Kriterium der Herkunft abgestellt wird. Solche Erfordernisse könnten häufig österreichischen Bieter:innen einen Vorteil verschaffen, da im Inland strengere Normen in Bezug auf die Landwirtschaft gelten als in bestimmten Nachbarländern.
NaBe-Aktionsplan
Die österreichische Bundesregierung hat 2021 einen weiterhin gültigen Aktionsplan für nachhaltige Beschaffung (= naBe) verabschiedet. Er ist in 16 Beschaffungsgruppen unterteilt und legt für die jeweiligen Bundesministerien als Auftraggeber verpflichtende Nachweisanforderungen fest. Trotz der Tatsache, dass dieses Regelwerk lediglich für die Beschaffung der Republik seine normative Wirkung entfaltet, hat es das Potenzial auch den privatwirtschaftlichen Wettbewerb zu gestalten, da die Bieter:innen dadurch animiert werden, ihre Produkte zu ändern, um keine gesonderten Angebote für die Privatwirtschaft und die öffentliche Hand herstellen zu müssen. Beschaffen Ministerien also ihre Büromöbel, so ist es wahrscheinlich, dass deren Hersteller:innen (für den B2B- und B2C- Bereich) ebenfalls dieselben Produkte aus Überlegungen der Praktikabilität anbieten werden. Diesbezüglich hat eine Studie der EU ergeben, dass selbst im Jahr 2021 die Mehrheit der Mitgliedsstaaten Aufträge nach dem Billigstbieter:innen-Prinzip vergab, wobei zu überdenken ist, ob es nicht an der Zeit wäre, verpflichtend auf das Bestbieter:innen-Prinzip umzustellen (inkl. einer detaillierten Kriterienliste für Bestbieter:innen). Besonderes Augenmerk kann dabei auf die Langlebigkeit einer Beschaffung und ihres Beitrags zur Kreislaufwirtschaft gelegt werden.
Fazit
Abschließend lässt sich festhalten, dass die nachhaltige Beschaffung im Vergaberecht nicht nur ein rechtspolitisches Ziel, sondern längst eine rechtlich verankerte Verpflichtung darstellt. Auch wenn diverse Herausforderungen bestehen (wie etwa das Spannungsverhältnis zwischen Wirtschaftlichkeit einerseits und Nachhaltigkeit andererseits sowie unionsrechtliche Schranken), so eröffnen differenzierte Bewertungsmethoden
(z. B. über Lebenszykluskosten oder den CO2-Fußabdruck) praktikable Wege, um ökologische Zielsetzungen mit rechtlicher Gleichbehandlung zu vereinen. Nur durch eine effiziente Kooperation der Mitgliedsstaaten und deren Einhaltung der Vorgaben kann das gesetzte Ziel der Kreislaufwirtschaft im Jahr 2050 auch tatsächlich erreicht werden.
Mag. Dr. Marlon Possard, MSc, M.A.
Mag.a Alexandra Kijek
