FREIE MEINUNG AUF DER KIPPE? Nach politischen Angriffen auf Late-Night-Comedy-Shows gerät der Begriff des „öffentlichen Interesses“ in den Fokus der Diskussion. Regulierungsbehörden der Trump- Administration setzen große Medien-Unternehmen wirtschaftlich unter Druck. Noch herrscht Widerstandswille, bei den Unternehmen und bei den Comedians. Das Publikum steht auf ihrer Seite.
Stephen M. Harnik, Esq., New York
Als Jimmy Kimmel Live! diesen Herbst abrupt aus den Programmen der US-amerikanischen Fernsehsender entfernt wurde, war klar, dass es um mehr ging als nur um eine Late-Night-Comedy-Show. Auslöser war Kimmels Mono log zur politischen Debatte um den zuvor während einer Rede ermordeten konservativen Influencer Charlie Kirk. Die Gegenreaktion kam schnell. Der Disney-Fernsehsender ABC suspendierte Kimmel mit sofortiger Wirkung, und zwei der größten US-amerikanischen Medienkonzerne, Sinclair Broadcast Group und Nexstar Media, nahmen die Show (vorübergehend) aus dem Programm.
Auf den ersten Blick lag der Gedanke nahe, dass es sich hierbei um einen klaren Fall eines Verstoßes gegen den Ersten Verfassungszusatz (freedom of speech) handelte. Schließlich hatte der Vorsitzende der Federal Communications Commission („FCC“), Brendan Carr, die Sender medienwirksam daran erinnert, dass ihre Lizenzen „an die Bedingung geknüpft sind, im öffentlichen Interesse zu handeln“. Präsident Donald Trump feierte Kimmels Suspendierung öffentlich. (Kimmel selbst scherzte bei seiner Rückkehr: „The guy in Germany offered me a job. Can you imagine? This country has become so au thoritative, the Germans are like, ‘Come here.”) Die beteiligten Unternehmen bestritten jedoch eine politische Einflussnahme, und ABC gab keine Erklärung für die Entscheidung ab. Der Umstand, dass Nexstar zu diesem Zeitpunkt die behördliche Genehmigung für eine Fusion beantragte, durch die das Unternehmen rund 80 Prozent der US-Haushalte erreichen würde, fand kaum Beachtung.
Nach drei turbulenten Tagen voller Schlagzeilen kehrte Kimmel auf den Bildschirm zurück. Es war wirklich ein cause célèbre. Bei seiner Rückkehr verlor er keine Zeit darauf hinzuweisen, dass seine Zu stimmungsrate in der Bevölkerung 20 Punkte höher war als die von Trump. Er hatte 6,3 Millionen Zuschauer, dreimal so viele wie zuvor, und das, obwohl Sinclair die Übertragung an 23 % seiner üblichen Zuseher weiterhin unterband. Dazu sahen 27 Millionen Zuschauer die Sendung auf YouTube. Kurzum, der Plan Kimmel aufgrund seiner unwillkommenen und sarkastischen Kritik mundtot zu machen war völlig nach hinten losgegangen und hat im Gegenteil seinen Beliebtheitsgrad enorm erhöht.
Dennoch zeigte das vorübergehende Verschwinden von Kimmels Sendung wie auch die schon zuvor vom Sender CBS bekanntgegebene Entscheidung, das ebenfalls äußerst beliebte Konkurrenzprogramm Late Show with Stephen Colbert auslaufen zu lassen, die Fragilität der amerikanischen freien Meinungsäußerung in einem System auf, in dem das Recht auf Ausstrahlung vom Wohlwollen der Regulierungsbehörden abhängt und in dem sich der Einfluss auf die Kommunikationsmittel stillschweigend auf eine Handvoll politisch vernetzter Konglomerate konzentriert hat.
Fast bis zum Ende des 20. Jahrhunderts wurden Rundfunk und Fern sehen in den USA im Communications Act von 1934 reglementiert. In Section 301 (47 U.S.C. §301) wurden die Funkfrequenzen als öffentliche Ressource definiert, die an private Rundfunkanstalten lediglich lizenziert wird und nicht in deren Eigentum stehen kann. Lizenzen wurden nur erteilt, um dem öffentlichen Interesse, der öffentlichen Zweckmäßigkeit und der öffentlichen Notwendigkeit zu dienen (“public interest, convenience, and necessity”) – eine Formulierung, die zum Grundsatz der FCC für die Gewährleistung des Pluralismus wurde. Die FCC, die im Rahmen desselben Gesetzes gegründet wurde, entscheidet, wer unter welchen Bedingungen senden darf. Zu diesem Zweck führte die Behörde eine strenge Eigentumsbeschränkung ein: Kein Rundfunkveranstalter durfte Sender besitzen, die mehr als etwa 25 Prozent der nationalen Zuschauer erreichen (ehemals 47 C.F.R. §73.3555(e)). Das Ziel war es, den Lokalismus und die Vielfalt der Standpunkte zu bewahren, ein Grundsatz, der vom Kongress und den Gerichten wiederholt bekräftigt wurde. Dann kam der Telecommunications Act von 1996, ein parteiübergreifendes Gesetz, das von Präsident Bill Clinton und dem Sprecher des Repräsentantenhauses Newt Gingrich unterstützt wurde. Ab schnitt 202 dieses Gesetzes hob die nationale Obergrenze von 25 auf 35 Prozent an und ermächtigte die FCC diese weiter zu lockern. Innerhalb eines Jahrzehnts war die Obergrenze auf 39 Prozent gestiegen. Dies wurde öffentlich als Reform zur Modernisierung dar gestellt; in der Praxis handelte es sich jedoch schlicht um eine versteckte Marktderegulierung. In den folgenden 25 Jahren nutzten Medienunternehmen wie Nexstar, Sinclair und Paramount diese neuen Grenzen, um die Kontrolle über lokale Tochtergesellschaften zu konsolidieren. Das Ergebnis ist eine Rundfunklandschaft, in der zwei oder drei Unternehmensgruppen die meisten amerikanischen Haushalte dominieren. Lizenzen sind gemäß 47 U.S.C. §307(c) alle acht Jahre verlängerbar, und jede Verlängerung erfordert die Genehmigung der FCC. Diese Hebelwirkung verschafft der Regulierungsbehörde und damit auch dem Weißen Haus einen unsichtbaren Einfluss darauf, was die Öffentlichkeit erreicht. Während der Communications Act jegliche explizite Zensur verbietet, ist der Begriff des „öffentlichen Interesses” derart weit, dass dies für die Medienunternehmen ein ständiges potenzielles Risiko darstellt. Wenn eine Fusion oder Lizenzverlängerung ansteht, kann daher schon die bloße Andeutung einer genaueren Überprüfung das gewünschte Verhalten herbeiführen. Dies be zeichnen einige Wissenschaftler als sanfte Zensur: Unterdrückung durch Strukturen statt durch Gesetze. Brendan Carrs öffentliche Warnungen während der Kimmel-Kontroverse veranschaulichten diese Macht. Es gab keine behördliche Anordnung, keine Anhörung, keine offizielle Untersuchung, sondern nur eine Erinnerung daran, dass die FCC Maßnahmen ergreifen kann, wenn Lizenznehmer die vorgegebenen Standards nicht berücksichtigten. Dies reichte aus, um die betroffenen Unternehmen innerhalb von Stunden zum Handeln zu bewegen. Die Affäre rund um Jimmy Kimmel erfolgte Monate nach der eingangs erwähnten Entscheidung von CBS/Paramount den Vertrag mit Stephen Colbert nicht zu verlängern. Offiziell gab die Unternehmensgruppe Umstrukturierungen und sinkende Werbeeinnahmen als Grund an. Im Wesentlichen scheint es sich jedoch um eine politische Geste gehandelt zu haben. Colberts unnachgiebige Kritik an Trump war für ein Unternehmen, das um die Gunst der Regulierungsbehörden warb, zu einem Ärgernis geworden, und die Ankündigung erfolgte gerade zu dem Zeitpunkt, als Paramount um eine Ausnahmegenehmigung für Kreuzbeteiligungen ersuchte. Im Gegensatz zu Kimmels Suspendierung wurde Colberts Ende in Unternehmenssprache verpackt. Keine Regulierungsbehörde äußerte sich öffentlich dazu. Das Unternehmen stellte die Sendung einfach ein und verwies auf „eine strategische Neuausrichtung des Programms“. Dennoch ist die Parallele unübersehbar. Beide Vorfälle zeigen, wie die wirtschaftliche Abhängigkeit vom Wohl wollen der Trump-Regierung redaktionelle Vorsicht erzeugt. In diesem Zusammenhang ist auch Paramounts prominenter Neuzugang Bari Weiss interessant. Nicht nur wurde sie als neue Chefredakteurin von CBS News vorgestellt, sondern hat Paramount auch gleichzeitig ihr digitales – von einer anti-woke Agenda geprägtes - Medienunternehmen The Free Press für 150 Millionen Dollar gekauft. John Oliver, ein weiterer bekannter Late-Night-Host hat Weiss unverantwortlichen und extrem irreführenden Journalismus vorgeworfen. Das Telekommunikationsgesetz von 1996 wird oft als Triumph des freien Marktes angesehen. Es sollte den Wettbewerb zwischen Kabel-, Telefon- und Rundfunkdiensten öffnen. Durch die Aufhebung der Eigentumsbeschränkungen schuf der Kongress jedoch ein Paradoxon: Je „freier” der Markt wurde, desto größer wurden die Rundfunkanbieter und desto abhängiger wurden sie von regulatorischen Begünstigungen. Diese Konsolidierung beschleunigt sich, und zwar nicht nur beim Fernsehen. So wird berichtet, dass Oracle-Gründer Larry Ellison, ein enger Verbündeter von Trump, kurz davorsteht, eine Mehrheitsbeteiligung an TikTok in den USA zu erwerben. Auf dem amerikanischen Markt würde TikTok dann den Empfehlungsalgorithmus von ByteDance lizenzieren, aber von einem neu en, mit Oracle verbundenen Vorstand geleitet werden. Gleichzeitig kontrolliert Ellisons Sohn David nach der Fusion seines Unternehmens Skydace mit Paramount Global nun Paramount. Die Transaktion wurde in diesem Sommer behördlich genehmigt und gibt dem jüngeren Ellison die Kontrolle über CBS, MTV, Nickelodeon und den Streaming-Dienst Paramount+, womit nun alle diese Unternehmen, inklusive streaming und social media von einer einzigen Familie kontrolliert werden. John Oliver hat bereits seine Befürchtung zum Ausdruck gebracht, dass Ellison bald sein neuer Chef werden könnte, nachdem sich dieser offenbar nun auch schon für den Sender HBO interessiert. Die Kimmel-Affäre sollte nicht als eine weitere Episode in Amerikas Kulturkriegen abgetan wer den. Sie ist eine Fallstudie darüber, wie Recht, Kapital und Politik heute zusammenwirken. Die FCC hat keine einzige behördliche Handlung gesetzt. Das war auch nicht nötig. Ein paar pointierte Bemerkungen, ein paar Milliarden Dollar an anstehenden Transaktionen, und die Trump-Regierung konnten Kimmels Schweigen zumindest kurzzeitig durchsetzen. Trotz alledem machten andere Late-Night-Comedians glücklicherweise auf diese Strategie des Mundtodmachens aufmerksam. Jon Stewart eröffnete seine late night show mit einer Voiceover-Einlage, in der er sehr unterhaltsam eine parteikonforme Sendung versprach. „We have another fun, hilarious administration-compliant show.” Er überschüttete den Präsidenten mit Lob und verspottete dessen Kritik an Großstädten und dessen Einsatz der Nationalgarde zur Bekämpfung der Kriminalität. „Coming to you to night from the real (expletive), the crime-ridden cesspool that is New York City. It is a tremendous disaster like no one’s ever seen before. Someone’s National Guard should invade this place, am I right?“
Mein Dank gilt Nicholas M. Harnik für seinen Beitrag zu diesem Brief aus dem crime-ridden cesspool New York.
