Anwalt Aktuell: Seit zweieinhalb Jahren sind Sie Behindertenanwältin für Österreich. War es für Sie persönlich und für Ihren Arbeitsbereich eine gute Zeit?

 

Christine Steger: Ja, es war eine gute Zeit. Eine herausfordernde Zeit, weil ich mit einigen Strukturbedingungen konfrontiert war, die man sich erst einmal aus der Nähe hat anschauen müssen, auch was die Büroausstattung und das Personal anlangte. Dann die Frage: Wie viele Jurist:innen bekommt man, wie viel Unabhängigkeit wird einem zugestanden…? Ich habe mich stark darauf fokussiert, das Thema bekannt zu machen. Das ist uns gut gelungen, weil wir sehen, dass es bei den Fallzahlen einen beträchtlichen Zuwachs gegeben hat. 2024 wurden im ganzen Jahr österreichweit erstmals über 400 Schlichtungen durch geführt. Damit zeigt sich, dass immer mehr Menschen mit Behinderungen auch Zugang zum Recht bekommen. 

 

Anwalt Aktuell: Bei unserem Gespräch vor zweieinhalb Jahren haben Sie darauf hingewiesen, dass Menschen mit Behinderungen von Bundesland zu Bundesland verschiedene Bedingungen vorfinden. Hat sich das gebessert?

 

Christine Steger: Nein, da hat sich nicht viel verbessert. In der Struktur hat sich nicht viel geändert. Die Landesgesetze sind nach wie vor die gleichen. Was sich schon geändert hat: Die grundsätzliche Ausrichtung in Richtung Spar zwang, der auch vor diesem Bereich nicht Halt macht. Es geht nirgends mehr um Ausweitung von Budgets, sondern nur noch um den Abwehrkampf, den Status quo zu erhalten. 

 

Anwalt Aktuell: 2023 haben Sie darauf hingewiesen, dass die Judikatur für Menschen mit Behinderung mangelhaft sei. Ist hier etwas Positives geschehen?

 

Christine Steger: Nein. Auch bei der Schlichtung hat sich nichts Positives ergeben. Nach wie vor ist es nicht Aufgabe der Schlichtung, eine Diskriminierung festzustellen. Dies obliegt nach wie vor dem Gericht. Worum es geht ist die einfache Aussage: „Es tut mir leid. Ich will versuchen, es künftig besser zu machen.“ Doch nicht einmal das bekommt man. Obwohl die Angst vor Schadenersatzforderungen ein totaler Quatsch ist. Wenn es bei einer Schlichtung zur Einigung kommt gibt es gar keinen Anknüpfungspunkt, vor Gericht zu gehen.

 

Anwalt Aktuell: Stichwort Schulen und Ausbildung. Vor zweieinhalb Jahren haben Sie von einem Klima der Segregation gesprochen, von einer allgemeinen Praxis zur Abschiebung junger Behinderter in Heime. Was hat sich da getan?

 

Christine Steger: Ich würde sogar sagen, dass sich das verschärft hat. In Oberösterreich ist die Errichtung einer großen Sonderschule geplant. Auch die Steiermark hat ein großes Bekenntnis zur Sonderschule abgegeben. Ich stelle eindeutig einen Backlash fest, leider auch im Schulbereich.

 

Anwalt Aktuell: Sie waren vor Ihrer Berufung zur Behindertenanwältin Vorsitzende des Monitoringausschusses, der die „ausgeprägte Gleichgültigkeit und Passivität gegenüber den Verpflichtungen zur Umsetzung der Ziele der UNO-Behindertenkonvention“ kritisiert hat. Hat sich das mittlerweile gebessert?

 

Christine Steger:  Nein. Es wurde sehr viel Symbolpolitik gemacht. Es wird sehr viel über Inklusion gesprochen, de facto aber sehr wenig getan. Wenn ich, wie in Wien, bereits im Kindergarten, also in der Elementarpädagogik, segregiere, dann muss ich mir die Systemfrage stellen. Unter den Sparzwängen wird diese Frage gar nicht mehr gestellt. Es wird fast nur noch davon gesprochen, was man tun muss, um das abzusichern, was da ist. Ich sag jetzt immer öfter: Der Kuchen ist verteilt, aber die Krümel werden knapp.

 

 

 

 

 

Mag. Phil. Christine Steger

ist seit März 2023 Anwältin für Gleichbehandlungsfragen

für Menschen mit Behinderungen