„Das nächste Mal bringt er mich um!“


BIRGITT HALLER
BIRGITT HALLER

FRAUENMORDE. In diesem Jahr wurden bis Anfang Dezember 30 Femizide in Österreich gemeldet. Birgitt Haller, Leiterin des Instituts für Konfliktforschung, sieht die Hauptursachen im nach wie vor intakten Patriarchat und in der Geschlechterungleichheit. Sie konstatiert einen großen Mangel an Beratung und Betreuung, speziell in der Prävention.

 

Interview: Dietmar Dworschak

 

 

ANWALT AKTUELL: Eine Umfrage der Europäischen Union für Grundrechte ergibt, dass jede fünfte Frau in Österreich ab dem 15. Lebensjahr körperlicher und/oder sexueller Gewalt ausgesetzt ist. Lebt sich’s als Frau gefährlich in unserem Land?

 

Dr. Birgitt Haller: Es lebt sich nicht gefährlicher als in anderen Ländern. Österreich zählt zu den Ländern mit der geringsten Zahl von Gewalt betroffenen Frauen. Es gibt Länder, in denen mehr als 30 Prozent der Frauen von Gewalt betroffen sind. Ich würde also nicht meinen, dass Österreich besonders negativ hervorsticht. Was trotzdem hervorsticht ist die große Zahl von Frauenmorden.

 

ANWALT AKTUELL: Wo sehen Sie die Hauptursachen der männlichen Aggression?

 

Dr. Birgitt Haller: Hinter den Femiziden steht ganz klar – es lässt sich so einfach sagen: das Patriarchat. Es geht um patriarchale Einstellungen, die Dominanz von Männern über Frauen, die Tatsache, dass in gesellschaftlichen und wirt- schaftlichen Führungspositionen primär Männer sind – das alles gestaltet eine Gesellschaft. In den skandinavischen Ländern ist das doch etwas anders. Diese Verteilung von Wichtigkeiten hat natürlich auch etwas zu tun mit Geschlechterrollen, die perpetuiert werden. Wenn Kinder so erzogen werden, dass der Bub halt zurückschlägt, wenn er geschlagen wird und das Mädchen still und brav ist und am besten nicht aufmuckt ist das eben ein Boden, auf dem man ein bestimmtes Verhalten lernt. Ich sage das jetzt zugespitzt. In den letzten Jahren ist hier vieles besser und anders geworden.

Für mich ist eine wesentliche Maßnahme, um Gewalt und Aggression gegen Frauen zu vermindern, die Verwirklichung von Geschlechter-Gerechtigkeit. Das inkludiert die Geschlechterrollen in sämtlichen Bereichen der Gesellschaft. Initiativen in diesem Bereich müssen in frühem Alter begonnen werden.

 

ANWALT AKTUELL: Ist der Wunsch der Frau nach Gleichstellung ein Thema, auf das Männer gegebenenfalls auch mit Gewalt reagieren?

 

Dr. Birgitt Haller: Es hat damit etwas zu tun, dass die Frauen tun, was sie glauben, dass sie tun wollen. Auslöser für die Morde sind häufig Trennungsankündigungen und Trennungsversuche oder Eifersucht, wobei es hier nicht einmal einen
realen Hintergrund geben muss. Es sind oft auch nur Fantasien. Es hat schon viel mit der Haltung „Meine Frau gehört mir“ zu tun. In der Konsequenz: „Wenn ich sie nicht haben kann, darf sie auch kein anderer haben.“

 

ANWALT AKTUELL: In Österreich werden jedes Jahr mehrere Tausend Gewaltfälle gegen Frauen registriert. Was geschieht dann in der Folge?

 

Dr. Birgitt Haller: Es werden viele Fälle registriert und es werden sehr viele Betretungsverbote verhängt, was die Polizei mittlerweile schon ganz gut macht. Was passiert danach? Ungefähr jede dritte Frau, die ein Betretungsverbot verlangt hat, beantragt anschließend eine einstweilige Verfügung, und das ist üblicherweise die Einleitung einer Trennung. Es gibt auch Familien, in denen die Polizei sechs, sieben Mal mit einem Betretungsverbot einschreitet, weil es unheimlich schwierig ist, sich aus einer Gewaltbeziehung zu lösen. Es gehört zum Zirkel solcher Abläufe, dass sich die Männer dann entschuldigen, Blumen bringen, Besserung versprechen etc. Die Frauen haben viele gute Gründe, beim Partner zu bleiben und glauben die großen Versprechungen oft, weil sie es sich so sehr wünschen. Es braucht oft lange Zeit, bis die Erkenntnis entsteht, dass sich in einer solchen Beziehung nichts mehr positiv bewegen wird.

Es ändert sich oft erst dann etwas, wenn die Gewalt dramatisch zunimmt. Wir haben mehrere Interviews mit älteren Frauen geführt, die dann ihre Trennungsversuche gemacht haben, als sie realisiert haben: „Das nächste Mal bringt er mich um!“

 

ANWALT AKTUELL: Im Frühjahr hat das Parlament ein 26,4 Millionen Euro schweres „Gewaltschutzpaket“ verabschiedet. Was ist da drin und was bringt es?

 

Dr. Birgitt Haller: Da ging es um viel Geld zur Aufstockung von Fraueneinrichtungen, ein nochmaliges Bekräftigen der Notwendigkeit der sicherheitspolizeilichen Fallkonferenzen – nicht umgesetzt, würde ich sagen! -, es waren Veränderungen bei der ursprünglich geplanten Dauer bei der Prävention für Gewalttäter… Es wurden wieder einmal bekannte Maßnahmen formuliert und mit einem Rufzeichen unterstützt.

 

ANWALT AKTUELL: Eine alte Volksweisheit sagt „es gehören immer zwei dazu“. Trifft das nicht auf Partnerschaftskonflikte ganz besonders zu?

 

Dr. Birgitt Haller: Ich würde zuerst einmal davor warnen, sich dem Thema über den Begriff „Konflikt“ anzunähern, weil das dazu führt, dass man das Gravierendere übersieht. Es gibt Konflikte, es gibt Streitereien und es gibt Auseinandersetzungen mit Partnergewalt. Das sind grundsätzlich nicht einmal Eskalationsstufen, sondern unterschiedliche Sachen. Bereits in den Neunzigerjahren wurden in US-amerikanischen Studien Begriffe wie „common couple violence“ und „intimate terrorism“ geprägt, wobei die erstgenannte Gewalt von beiden Teilen des Paares erfolgt. Es kann im Bereich der psychischen Gewalt und des Keppelns bleiben, wo man sich gegenseitig nichts schuldig bleibt, das kann sich auch als körperliche Gewalt äußern, es kann aber insgesamt eine Beziehungsstruktur sein. „Intimate terrorism“ hingegen ist eine Gewaltform, die sich von Männern gegen Frauen richtet, die tatsächlich mit der Abwertung von Frauen zu tun hat. Hier findet man viel psychische Gewalt, viel Demütigung, dazu kommt körperliche Gewalt und der Höhepunkt sind dann die Femizide. Dies ist insofern männertypisch als dieses Verhalten nur von Männern gesetzt wird und nicht von Frauen.

 

ANWALT AKTUELL: Gibt es einen Männertypus, vor dessen Eigenschaften man die Frauen im Hinblick auf Gefahrenpotentiale warnen sollte?

 

Dr. Birgitt Haller: Man kann deswegen so schlecht warnen, weil es Anzeichen eines typischen Aggressors beispielsweise bei psychiatrischen Erkrankungen gibt, die man nicht so einfach „mit freiem Auge“ sieht. In einer Studie haben wir die Daten der Männerberatung Wien analysiert und dabei eine nicht unwesentliche Zahl von Borderlinern festgestellt. Als Laie erkennt man das vorher meist nicht, und gleichzeitig handelt es sich um eine ungemein gefährliche Gruppe. Bei Gewalttrainings gibt es Tests, wo man beispielsweise solche Typen erkennen kann. Wenn ich als Frau jemanden kennenlerne gelingt es mir natürlich nicht, in dieser Weise dahinter zu schauen.

Was wir allerdings wissen: Nicht selten beginnt die Gewalt in der Schwangerschaft. Hier entstehen bereits die ersten Hinweise auf einen möglichen Femizid, weil es sich um eine extreme Gewaltform handelt, der Frau in den Bauch zu treten.
Wenn man solche Akten liest kann man sich gar nicht vorstellen, dass die Frauen solche Männer nicht gleich verlassen. Oft handelt es sich auch um Verhaltensmuster über Generationen. Wenn Gewalt in der Beziehung der Eltern eine Rolle spielt, wird dies nicht selten an die Jüngeren weitergegeben, bei männlichen und weiblichen Kindern. In diesem Zusammenhang sind Beratungsstellen unheimlich wichtig, wo gesagt wird: Sie sind nicht allein, es geht hier um ein Muster. Dafür ist das Angebot allerdings derzeit viel zu klein. Momentan sind die Beratungsstellen hauptsächlich mit den Fällen von Betretungs- und Annäherungsverboten ausgelastet. Je mehr man aber präventiv tätig sein möchte, umso deutlicher müsste das Angebot hier ausgeweitet werden.

 

ANWALT AKTUELL: Tut die Polizei eigentlich genug, um die Gefährdung von Frauen festzustellen bzw. einzudämmen? Anders gefragt: Für wie typisch halten Sie Vorfälle, bei denen Frauen von der Polizei als „Provokateurinnen“ des Anlasses
deklariert werden?

 

Dr. Birgitt Haller: Was Sie ansprechen kommt immer wieder vor und findet auch den Weg in die Medien, wo es die Vorgesetzten vermutlich mitbekommen. Die einschreitende Beamtin, der einschreitende Beamte wird daraus vermutlich
keine lehrreichen Schlüsse ziehen. Ich denke, dass bei der Polizei die unmittelbar Vorgesetzten eine sehr hohe Verantwortung haben und sie dafür sorgen müssen, dass korrekt eingeschritten wird. Ich kann mir schon vorstellen, dass es in diesem Bereich nicht genug Personen gibt, die sich zum Thema „Gewalt gegen Frauen“ engagieren. Es ist sicher einiges besser geworden, weil es bei der Polizei mittlerweile viele Schulungen gibt. Die Beamtinnen und Beamten müssen einen authentischen Blick darauf bekommen, was hier passiert.

Die Betretungsverbote sind österreichweit regional sehr unterschiedlich gestreut. Wenn ich Beamter oder Beamtin in einer Gegend bin, wo das öfter passiert, bekomme ich Routine im Einschreiten. Wenn ich in einer Region Dienst tue, wo das fast nie passiert, ist es sicher schwieriger, die richtigen Maßnahmen zu setzen.

 

ANWALT AKTUELL: Ist es Ihrer Meinung nach gut, dass sich bei den Medien mittlerweile eine Art Alarmstimmung etabliert hat, wenn es um Gewalt gegen Frauen geht? Oder ist es einfach ein prickelndes Thema, mit dem man Auflage macht?

 

Dr. Birgitt Haller: Ich würde sagen: beides. Es ist einerseits gut, weil damit die Frage „Wie gefährlich sind Männer?“ zu einem gesellschaftlichen Thema wird und die Bereitschaft steigert, mehr Geld an Opferschutzeinrichtungen zu geben. 2019 gab es eine Serie von Frauenmorden, auf die sich die Medien regelrecht gestürzt haben. Es war ein richtiger Boom. Ich gab damals ein Interview für die Wochenbeilage einer Qualitätszeitung. Eine Woche später ereignete sich der nächste Femizid. Und der wurde praktisch nirgends mehr erwähnt. Ich habe mir gedacht: Wie schrecklich muss das für die Angehörigen sein. Da wird jemand ermordet, aber es kommt redaktionell zur Unzeit.

 

Frau Dr. Haller, danke für das Gespräch.


BIRGITT HALLER
Mag.in der Politikwissenschaften. Dr.in der Rechtswissenschaften Universität Innsbruck. Seit 1990 Wissenschaftliche Mitarbeiterin des Instituts für Konfliktforschung (IKF) in Wien, seit 2012 dessen Leiterin.
Forschungsschwerpunkte: Gewaltforschung und Genderforschung