„Statt ‚Ehedrama‘ oder ‚Beziehungstat‘ soll es doch ‚Mord‘ heißen“

RÜCKSCHAU. Österreichs ehemalige Justizministerin Maria Berger erinnert sich an die Anfänge der WKStA, an den EU-rechtswidrigen „Kindergeld“- Beschluss des Parlaments und sie rätselt über die Infragestellung der Menschenrechtskonvention. Außerdem spricht sie über ihre Tätigkeit im Österreichischen Presserat.

Interview: Dietmar Dworschak

ANWALT AKTUELL: Frau Dr. Berger, erinnern Sie sich noch, was zu Ihrer Zeit als Justizministerin Anlass und Motivation war, eine eigene Staatsanwaltschaft gegen Korruption einzurichten?

 

Maria Berger: Da gab es mehrere Anlässe, die zusammengekommen sind. Das eine war ein sehr kritischer Bericht des Europarats über mangelnde Initiativen zur Korruptionsbekämpfung in Österreich mit der Anmerkung, dass es keine eigene Staatsanwaltschaft für diesen Bereich gebe, und andererseits damals in Österreich anhängige Ermittlungsverfahren bei Staatsanwaltschaften in den Landeshauptstädten.

Wenn es gegen Landespolitiker ging wurden die Untersuchungen nämlich fast immer eingestellt, zum Teil auch mit zweifelhaften Begründungen.

 

ANWALT AKTUELL: Inzwischen heißt Ihr damaliger Sprössling „Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft“. Wie zufrieden sind Sie mit deren Arbeit?

 

Maria Berger: Ich denke, sie machen eine ausgezeichnete Arbeit. Bei vielen Verfahren habe ich den Eindruck, dass es sie ohne diese spezielle Staatsanwaltschaft gar nicht gegeben hätte oder gibt. Natürlich passieren da auch Fehler. Diese werden aber innerhalb des staatsanwaltlichen Systems korrigiert.

 

ANWALT AKTUELL: Was sagen Sie zu den immer wieder auftauchenden Forderungen nach einer Abschaffung der WKStA?

 

Maria Berger: Diese Forderungen sind natürlich leicht durchschaubar. Bei der Einführung dieser Staatsanwaltschaft herrschte ja auch keine Hurra-Stimmung. Die ÖVP war damals schon nicht begeistert. Es hat dann aber überzeugt, dass für so eine Staatsanwaltschaft zentralisiertes Wissen, das es bei den anderen Staatsanwaltschaften nicht gibt, notwendig ist, insbesondere im Sektor EDV bzw. im Umgang mit neuen Medien, z.B. Handys, auf denen man doch noch was gefunden hat, obwohl die Eigentümer glaubten, alles gelöscht zu haben.

Die Vorschläge, die es immer wieder gibt, die WKStA auf verschiedene Staatsanwaltschaften aufzuteilen, beabsichtigen in Wirklichkeit die Zerschlagung der speziellen Expertise.

 

ANWALT AKTUELL: Wenn Sie sich jetzt geistig die Robe der Richterin überstreifen, was denken Sie dann über die Veröffentlichung der zahllosen Chat-­Nachrichten? Ist da eine unbeeinflusste Beweiswürdigung überhaupt noch möglich?

 

Maria Berger: Richter und Staatsanwälte haben das in ihrer Ausbildung schon gelernt, mit Vorverurteilungen und Medienberichten umzugehen und sich davon nicht beeinflussen zulassen. Es ist im Grunde eine Art Kreislauf, da das, was die Medien schreiben, ja auch wieder zurückfließt in die Ermittlungen der WKStA.

 

ANWALT AKTUELL: Es taucht ja immer wieder der Vorwurf auf, die WKStA würde gezielt Informationen nach außen geben. Wie schätzen Sie das ein?

 

Maria Berger: Ich glaube, dieser Vorwurf ist mittlerweile schon gut widerlegt, weil es überhaupt nicht im Interesse der WKStA sein kann, dass Ermittlungen torpediert werden, indem man Details vorzeitig an die Medien gibt. Es hat ja zuletzt Ermittlungen gegeben, über die nichts in die Öffentlichkeit gedrungen ist, bevor die WKStA darüber informierte.

 

ANWALT AKTUELL: Bleiben wir noch bei Gericht. Was haben Sie als ehemalige Richterin des EuGH gedacht, als Sie gelesen haben, dass das österreichische Parlament beschlossen hatte, das Kindergeld für im Ausland lebende Familien zu kürzen?

 

Maria Berger: Ich habe versucht, irgendjemanden zu finden, der mit mir wettet, wie das ausgeht. Ich war ja der Meinung, dass es nur eine Verletzung der EU-Verträge sein könne.

In meinem gesamten juristischen Bekanntenkreis habe ich niemanden gefunden, der dagegengehalten hat. Es spielte nur insofern eine traurige Rolle, als es dem damaligen Bundeskanzler Kurz wichtig war, für meine Nachfolge jemanden zu finden, der sich für die Durchsetzung des österreichischen Parlamentsbeschlusses engagiert. Ich musste damals acht Monate länger als vorgesehen am Gericht in Luxemburg bleiben, weil sich niemand gefunden hat.

 

ANWALT AKTUELL: Einige gar nicht unwesentliche Personen in der ÖVP sind wie Klubobmann Wöginger der Meinung, Zitat: „Auch die Menschenrechtskonvention gehört überarbeitet“. Gehört sie das?

 

Maria Berger: Die Diskussion hat ja bereits gezeigt, dass es hier um eine völkerrechtliche Konvention als Vertrag zwischen derzeit 56 Mitgliedsstaaten geht und bildet einen Grundkonsens weit über Europa hinaus. Wöginger hat ja nicht spezifiziert, was da überarbeitet werden sollte. Ich glaube nicht, dass er das Gebot der Unschuldsvermutung gemeint hat. Es geht ihm offenbar um das Verbot von Kollektivausweisungen und Abschiebungen. Das alles steht ja auch in der Europäischen Grundrechte-Charta, die für Österreich ebenfalls gilt.

Die Probleme, die Wöginger und andere sehen, liegen ja nicht in diesen Bestimmungen, sondern in der Nichtanwendung des Sekundärrechts der Europäischen Union. Es geht darum, dass die Verfahren nicht gleich an der Außengrenze abgewickelt werden und dass die Verfahren zu lange dauern. Dass die Rückführung von Menschen, die kein Asyl bekommen scheitert, liegt nicht an der Europäischen Menschenrechtskonvention. Jemanden nicht nach Tunesien rückführen zu können hat überhaupt nichts zu tun mit dem Folterverbot, sondern damit, dass es keine ordentlichen Rückführungsvereinbarungen gibt.

 

ANWALT AKTUELL: Szenenwechsel. Seit Oktober 2021 leiten Sie den 1. Senat des Österreichischen Presserats. Was kann diese Institution?

 

Maria Berger: Es ist ein Selbstkontrollorgan der österreichischen Medien und soll darauf achten, dass der Ehrenkodex, den sich diese Medien gegeben haben, auch eingehalten wird. Es ist eine sehr spannende Aufgabe, die nahe an der richterlichen Tätigkeit liegt.

Wir hatten zuletzt mit Medienbeiträgen zu tun, die sich positiv mit der Impfpflicht beschäftigten und von Impfgegnern massiv bekämpft wurden. Wir haben hier festgestellt, dass diese Information zwar nicht jedem gefällt, aber keine Verletzung des Ehrenkodex darstellt. Ein anderes Beispiel: die Berichterstattung über sogenannte Beziehungstaten. Da war oft verharmlosend die Rede von „Ehedrama“ oder „Beziehungstat“, nicht aber davon, was es wirklich ist: ein Mord oder eine schwere Körperverletzung mit Todesfolge. Da ist die Sensibilität noch zu erhöhen.

In letzter Zeit waren wir positiv überrascht von den regionalen Medien, gewisse Gewohnheiten zu ändern. Bei Bezirksblättern und Gratiszeitungen hat es an einer klaren Abgrenzung zwischen Inseraten und dazu redaktionellen Artikeln gefehlt. Wir haben einige Redakteure getroffen und von ihnen gehört, dass sie in Zukunft diese Trennung besser ausweisen wollen. Da gibt es schon kleine Fortschritte.

 

ANWALT AKTUELL: Zwei prominente österreichische Journalisten haben kürzlich gerade ihre Jobs verloren, unter anderem deswegen, weil sie der Politik „zu nahe“ waren. Was sagen Sie als ehemalige Politikerin: Wie weit soll und darf man sich mit Journalisten verhabern?

 

Maria Berger: Ich kann reinen Herzens sagen, dass es das bei mir nie gegeben hat. Als Justizministerium sind wir damals als uninteressanter Fall eingestuft worden, weil das Öffentlichkeitsarbeitsbudget dieses Ministeriums traditionell minimal ist. Bei uns war durch Inseratenvergabe überhaupt nichts zu gewinnen. Ich kann mich erinnern, dass mehrere Herausgeber, Chefredateure und Geschäftsführer bei mir waren, ob wir nicht dies oder das machen könnten… Ich habe gesagt: Nein, sorry, geht nicht. Wir hatten nicht einmal das Budget, die Änderung der Opferrufnummer zu bewerben. Wir haben das dann über Förderungen an den „Weißen Ring“ ausgelagert. Ich hatte mangels Geld also gar keine Chance, mich zu verhabern. “

 

Frau Dr. Berger, danke für das Gespräch.