Maßnahmenvollzugsnovelle 2022. Mit dem Maßnahmenvollzugsanpassungsgesetz 2022 (MVAG 2022) trat in Österreich eine Reform in Kraft, die die rechtlichen Regelungen für die Unterbringung psychisch gestörter Straftäter verbessern soll. Doch reicht diese Reform aus, um den Maßnahmenvollzug spürbar zu entlasten?

 

Seit 1975 ermöglicht das österreichische Strafrecht die Unterbringung von psychisch gestörten Straftätern, die als gefährlich für die Gesellschaft gelten, in speziellen Einrichtungen. Diese Einweisungen dauern so lange, bis die betroffenen Personen als ungefährlich eingestuft werden – potenziell lebenslang. Aufgrund der stark gestiegenen Zahl von Unterbringungen und der damit verbundenen Belastung des Systems war eine Reform dringend nötig.

 

Terminologische Änderungen: Weniger Stigmatisierung

Eine der offensichtlichsten Änderungen betrifft die Sprache. Anstatt von „Anstalten für geistig abnorme Rechtsbrecher“ spricht man nun von „forensisch-therapeutischen Zentren“. Auch der Ausdruck „geistige oder seelische Abartigkeit“ wurde durch „schwerwiegende und nachhaltige psychische Störung“ ersetzt.

 

Anlasstaten

Die grundlegenden Einweisungsvoraussetzungen wurden nur geringfügig verändert. Eine Unterbringung kann nach wie vor bei Strafaten erfolgen, die mit mehr als einem Jahr Freiheitsstrafe bedroht sind.

 

Gefährlichkeitsprognose

Neu im Gesetz ist die Anforderung, dass eine hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass die Person ohne Unterbringung in absehbarer Zukunft schwere Straftaten begehen wird, und dass diese in direktem Zusammenhang mit der psychischen Störung stehen.

 

Vorläufiges

Absehen vom Vollzug Von Amts wegen zu prüfen ist nun auch die Möglichkeit, vorläufig vom Vollzug der Unterbringung abzusehen, wenn die Behandlung der Person auch außerhalb einer Anstalt möglich ist. Sollte die Person die festgelegten Bedingungen nicht einhalten, kann die Unterbringung widerrufen werden.

 

Neuerungen für junge Straftäter

Für Jugendliche und junge Erwachsene (bis 21 Jahre) sind die Voraussetzungen für eine Unterbringung wesentlich verschärft worden. Eine Einweisung ist nun nur noch bei besonders schweren Straftaten, die mit mindestens zehn Jahren Freiheitsstrafe bedroht sind, möglich. Dies wird mit dem Argument begründet, dass das Gehirn bis zum 25. Lebensjahr noch nicht vollständig entwickelt ist. Auch eine zeitliche Begrenzung der Unterbringung auf maximal 15 Jahre wurde eingeführt.

 

Prozessuale Änderungen

Die Reform bringt auch einige Änderungen im Verfahrensrecht mit sich:

Zuständigkeit des Gerichts: Künftig entscheidet ein Schöffengericht und nicht mehr auch Einzelrichter über die Unterbringung.

Sachverständige: Neben Psychiatern können auch klinische Psychologen als Sachverständige hinzugezogen werden, wenn kein Psychiater verfügbar ist. Diese Regelung ist allerdings umstritten. Der Sachverständige muss während der gesamten Verhandlung anwesend sein, um die betroffene Person zu beobachten und mögliche Fragen direkt zu beantworten.

 

Gestiegene Einweisungen und lange Anhaltedauer

Zwischen 2001 und 2023 haben sich die Anhaltungen verdreifacht! Dies liegt vor allem daran, dass Gerichte und Sachverständige immer häufiger die Kriterien für die Einweisung als erfüllt ansehen. Alle Beteiligten agieren hier aus Vorsicht, um zu verhindern, dass Personen erneut schwere Straftaten begehen. Eine weitere Herausforderung ist die lange Anhaltedauer der Untergebrachten. Viele von ihnen verbleiben über viele Jahre, teils Jahrzehnte, in den Einrichtungen. Die durch die Reform angestrebte Entlastung des Systems bleibt also aus. Es scheint unwahrscheinlich, dass das MVAG 2022 die nötigen strukturellen Veränderungen brachte, um die Zahl der Einweisungen zu senken. Letztlich bleibt der Spannungsbogen zwischen dem Schutz der Allgemeinheit und den Menschenrechten psychisch kranker Straftäter weiterhin bestehen. Die neue Regierung könnte sich auch die menschenrechtskonformen Systeme in Deutschland und der Schweiz als Vorbild nehmen.

 

 

ZUM AUTOR:

Markus Drechsler ist Berater für den Straf- und Maßnahmenvollzug und Herausgeber des Magazins „Blickpunkte – Unabhängige Zeitschrift zum Straf- und Maßnahmenvollzug“ Kontakt: markus.drechsler@massnahmenvollzug.at