Goethe und das Recht

 

 

 

 

 

LEIDENSCHAFT DES GEHEIMRATS. Friedrich Harrer, Rechtsprofessor an der Universität Salzburg, hat sich mit dem Juristen Goethe bereits in einem „Reineke Fuchs“-Buch beschäftigt. Sein neuestes Werk „Goethe und das Recht“ analysiert kenntnisreich und spannend, dass der Geheimrat nicht nur ein Bewunderer des Römischen Rechts war, sondern geradezu fasziniert das Recht der Griechen studiert.

Univ.-Prof. Dr. Friedrich Harrer                                                                                                                 

 

 

Anwalt Aktuell: Herr Professor Harrer, was hat Sie zur intensiven Beschäftigung mit Goethe als Juristen motiviert?

 

Friedrich Harrer: er nächstliegende Grund war zunächst die Negierung des Juristen Goethe. Ein Schlüsselerlebnis für mich war die in den Siebzigerjahren entstandene Monografie von Zimmermann „Das Weltbild des jungen Goethe“. Da, dachte ich mir, wird viel über den Juristen Goethe drinstehen, zumal seine Familie mehrere Generationen zurück lauter Juristen hervorgebracht hatte. Schon als Kind muss er einiges von der Juristerei mitbekommen haben. Dann studierte er Rechtswissenschaften. Die besagte Monografie beschränkte sich dann auf eine Zeile, die mitteilt, Goethe habe als Jurist Schiffbruch erlitten. Dieses und andere Erlebnisse waren Anlass für mich, eine planvolle Annäherung an das Thema zu wagen.

 

Anwalt Aktuell: Johann Wolfgang von Goethe wurde von seinem Vater bekanntlich regelrecht zum Rechtsstudium gezwungen. War er eigentlich ein strebsamer Student?

 

Friedrich Harrer: Das kann man so nicht vorbehaltlos bejahen. Es ist amüsant zu beobachten, wie der junge Goethe versuchte, stattdessen in die Richtung seines besonderen Interesses, nämlich der Altphilologie, abzubiegen, und ein Studium der Antike zu beginnen. Einer seiner Professoren hat ihm damals den etwas eigentümlichen Rat gegeben, mit dem Rechtsstudium wäre er doch viel besser unterwegs, denn das sei in Wirklichkeit ein Teil unserer antiken Kultur. Er hat das Rechtsstudium dann tatsächlich aufgenommen und die vorgeschriebenen Prüfungen absolviert.

 

Anwalt Aktuell: Hat Goethe aus seinem Rechtsstudium wesentliche Anregungen für seine Tätigkeit als Dichter geschöpft?

 

Friedrich Harrer: : Die unmittelbarste Umsetzung ist sicherlich der „Götz“, ein Stoff, der so viele Querbezüge zur deutschen Rechtsgeschichte aufweist und der ihn in vielfacher Weise inspiriert hat. Es gibt hier Bezüge beispielsweise zur „Fehde“, aber auch stärker verschlüsselte Anspielungen, wenn er etwa von „Bologna“ spricht, wo man wissen muss, dass es eine Rezeption des Römischen Rechts gegeben hat, die von Bologna ausgegangen ist. Ein anderes Beispiel ist Reineke Fuchs, ganz juristisch aufgeladen: Hier geht es um die Landfriedensbewegung, den Konflikt zwischen dem Monarchen und den Rebellierenden – ein klar rechtshistorisch zu verstehender Stoff. Die Wahlvorgänge im zweiten Teil des „Faust“ erinnern an die „Goldene Bulle“, die er im Studium kennengelernt hat.

 

Anwalt Aktuell: Sie beschreiben, dass Goethe auf der Suche nach den Wurzeln des Rechts nicht nur bei den Römern Halt gemacht hatte, sondern markant bei den Griechen verweilte. Was hat er dort gefunden?

 

Friedrich Harrer: Die alles überragende römische Jurisprudenz ist ein Phänomen, das zwischen 50 vor und 250 nach Christus auftritt. Damit wird die Rechtswissenschaft begründet, aber nicht das Recht. Das Recht ist viel älter. Die Anfänge und Wurzeln allen Rechts liegen bei Homer. In seinen beiden Epen finden sich zahlreiche juristische Anknüpfungen, sozusagen die Geburt des Gewohnheitsrechts, die Entstehung von Recht als ein noch nicht in Moral, Sitte, Gewohnheit und Recht geteiltes Phänomen…Es gibt keinen Dichter, der so fundamental für Goethe wichtig war, und den er auch sein ganzes Leben begleitet hat.

 

Anwalt Aktuell: Hat sich Goethe auch mit Funktionsträgern des Rechtsstaats literarisch beschäftigt?

 

Friedrich Harrer: Ja, in „Hermann und Dorothea“ fragt er, was eigentlich der Richter macht. Das Stück spielt zur Zeit der französischen Revolution, und da taucht ein Richter auf, der ins Rechtsstudium zurückführt. Denn der Schulze, der Schultheiß, ist eine bedeutende Figur der Rechtsgeschichte

 

Anwalt Aktuell: Zwei wesentliche Institutionen des Rechts – nämlich Gesetze, wie wir sie heute kennen oder die Person des Richters – gab es zu Goethes Zeit noch gar nicht. Wie haben die beiden zu Goethes Zeit ausgesehen?

 

Friedrich Harrer: Seit Mitte des 19. Jahrhunderts befinden wir uns, was die Gesetze betrifft, in einer Phase der Kodifikation. Das ABGB, das BGB, die Zivilverfahrensordnung usw. In der Goethe-Zeit war diese Entwicklung ganz am Anfang, zuerst in Frankreich, dann kam Österreich… und andere folgten. Das Recht war zu Zeiten Goethes eine modernisierte Aufbereitung des Römischen Rechts. Die umfassend institutionalisierte Person des Richters, wie wir sie heute kennen, gab es damals noch nicht. Das Höchstgericht und die ständig begleitende Publikation von Entscheidungen waren damals noch in weiter Ferne.