ÖRAK-Präsident Dr. Armenak Utudjian erläutert im Gespräch mit Anwalt Aktuell die Gebührensituation in der Justiz und fordert die Einführung verbindlicher Gesetzgebungsstandards
Dr. Armenak Utudjian
Präsident des Österreichischen Rechtsanwaltskammertages (ÖRAK)
Anwalt Aktuell: Sehr geehrter Herr Präsident, der Europarat hat kürzlich im Rahmen der CEPEJ Studie 2024 seine aktuelle Bewertung der europäischen Justizsysteme abgegeben. Österreich schneidet insbesondere bei den Erledigungszeiten im streitigen Zivilverfahren, bei der Anzahl der länger anhängigen Fälle im Strafrecht und einer Clearance Rate von teils mehr als 100 % sehr gut ab. Deckt sich das mit Ihrer Wahrnehmung?
Dr. Armenak Utudjian: Die österreichische Justiz funktioniert im Großen und Ganzen sehr gut, das zeigt auch der europäische Vergleich. Das darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es auch Mängel gibt, die wir Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte regelmäßig aufzeigen.
Anwalt Aktuell: Welche wären das aktuell?
Dr. Armenak Utudjian: Zuvorderst einmal der chronische Ressourcenmangel, der sich vielerorts bemerkbar macht und auch von der Richterschaft und Staatsanwaltschaft regelmäßig aufgezeigt wird. Auch wir Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte bekommen das zu spüren. Dieser Ressourcenmangel ist insofern bemerkenswert, als dass wir in Österreich eine Gebührendeckung der Justiz von mittlerweile mehr als 117 Prozent haben – das ist in Europa einmalig. Der Durchschnitt liegt bei einem Deckungsgrad von 13 Prozent. Das Justizsystem entwickelt sich also mehr und mehr zu einer Cash Cow des Finanzministeriums. Wenn die Politik über Steuergerechtigkeit spricht, sollte sie die Gerichtsgebühren auch als das bezeichnen, was sie mittlerweile in Wahrheit sind: eine versteckte Steuer.
Anwalt Aktuell: Zurück zur Handysicherstellung. Seit langem geht es in der Diskussion um Details, vor allem wer die Aufbereitung der Daten für die spätere Auswertung vornimmt. Hier herrscht Uneinigkeit in der Regierung. Was ist Ihr Vorschlag?
Dr. Armenak Utudjian: Es ist grundsätzlich ganz einfach: Jene Person, die die Daten technisch aufbereitet, darf nicht dieselbe sein, die die Daten anschließend auswertet und an den Ermittlungen beteiligt ist. Die wohl rechtsstaatlich sauberste Lösung ist die strikte Trennung von Aufbereitung durch das Gericht einerseits und anschließender Auswertung der Daten durch Staatsanwaltschaft und Kriminalpolizei andererseits. Denn nur durch eine organisatorische Trennung von Aufbereitung und Auswertung kann ein Befugnismissbrauch unterbunden werden. Andernfalls besteht die Gefahr einer neuerlichen Verfassungswidrigkeit der Bestimmung.
Anwalt Aktuell: Welche Forderungen knüpfen Sie an die Feststellung, dass die österreichische Justiz mehr an Gerichtsgebühren einnimmt, als der Gerichtsbetrieb insgesamt kostet?
Dr. Armenak Utudjian: Wir fordern seit Jahren eine Abkehr vom unternehmerischen Selbstverständnis der Justiz. Justiz ist eine allgemeine Staatsaufgabe und keine Einnahmequelle. Aus unserer Sicht braucht es daher eine grundlegende Reform der Gerichtsgebührenstruktur. Auf der anderen Seite müssen diese Einnahmen aber auch der Justiz zur Verfügung stehen. Laut der aktuellen CEPEJ-Studie wurden zuletzt 215 Millionen Euro an Gebühreneinnahmen zur Querfinanzierung anderer Bereiche verwendet. Damit muss endlich Schluss sein.
Anwalt Aktuell: Auf justizpolitischer Ebene war dieser Tage vor allem die Reform bei der Sicherstellung von Datenträgern ein heißes Thema. Wie beurteilen Sie das Ergebnis?
Dr. Armenak Utudjian: Die nun erzielte politische Einigung ist ein halbherziger Kompromiss und beinhaltet keine personelle und organisatorische Trennung von Aufbereitung und Auswertung der sichergestellten Handydaten, wie wir sie von Anfang an und bis zuletzt gefordert haben. Das widerspricht den Vorgaben des Verfassungsgerichtshofes. Ich gehe daher davon aus, dass auch diese Neuregelung bald vor dem VfGH landen wird. Ich halte es für bedauerlich, dass die Chance für eine rechtsstaatlich saubere Lösung vertan wurde und die Rechte der Betroffenen weiterhin nicht ausreichend geschützt sind. Wir haben als Rechtsanwaltschaft davor gewarnt, Stellungnahmen von Experten wurden in der vergangenen Legislaturperiode aber ohnehin nur sehr stiefkindlich behandelt.
Anwalt Aktuell: Können Sie das näher erläutern?
Armenak Utudjian: Im Normalfall werden Gesetzesvorhaben in Form von Ministerialentwürfen einer Begutachtung unterzogen, bevor sie dann von der Bundesregierung als Regierungsvorlagen ins Parlament gebracht werden. In der vergangenen Legislaturperiode war es erstmals so, dass mehr Initiativanträge als Regierungsvorlagen zu Gesetzesbeschlüssen im Parlament geführt haben – ein in dieser Größenordnung absolut unüblicher Vorgang. Der „Vorteil“ für die Regierungsparteien besteht darin, dass bei Initiativanträgen in der Regel keine Begutachtung – und damit im Gesetzgebungsverfahren keine unangenehme Kritik durch Expertinnen und Experten – erfolgt. Darunter leidet die Qualität die Gesetze und auch deren Akzeptanz in der Bevölkerung. Wir fordern daher ein Abgehen von dieser Vorgehensweise und die Einführung verbindlicher Gesetzgebungsstandards.