Kulturverlust in Österreich: "Schutz des Lebens mehr wert als andere Grundrechte?"

DR. WOLFRAM PROKSCH, Rechtsanwalt und Partner bei ETHOS. legal.
DR. WOLFRAM PROKSCH, Rechtsanwalt und Partner bei ETHOS. legal.

 

 

Während Möbelhäuser ungehindert offenhalten dürfen und gestürmt werden, steht das österreichische Kulturleben fast komplett „unter Verschluss“.


Im Auftrag der Künstler-Initiative „Florestan“ hat nun der Wiener Anwalt Wolfram Proksch einen Individualantrag beim Verfassungsgerichtshof gegen diese Ungleichbehandlung eingebracht.

 

Tu felix Austria ...

 

Denkt man an Österreich, so hat man rasch viele Bilder vor Augen: majestätische Bergkulissen, malerische Seenlandschaften, weltberühmte Städte, eine bewegte Geschichte und einen überwältigenden Reichtum an Kunst und Kultur.


Nicht weniger als zehn Stätten des UNESCO-Weltkulturerbes befinden sich in Österreich, darunter auch das historische Zentrum von Wien. Das reiche architektonische Erbe, mit mittelalterlicher Stadtstruktur, barocken Palais, Schlössern und Gärten, bis hin zu den gründerzeitlichen Prachtbauten der Ringstraße sowie die Rolle der Stadt als musikalisches Zentrum von der Wiener Klassik bis ins 20. Jahrhundert, begründen Wiens außergewöhnlichen universellen Wert für die Menschheit.


„Missa Corona“ – die traurige Krönung einer Pandemie


200 Jahre nach dem Ende der Wiener Klassik erleben wir einen bis dato einzigartigen Kulturverlust. Der österreichische Gesetzgeber änderte dazu das bis dahin geltende EpidemieG 1950 und erließ eine Reihe von – in die Grund- und Freiheitsrechte der österreichischen Bevölkerung – eingreifenden und einschneidenden Maßnahmen; dies in Gestalt des Covid-MaßnahmenG und der darauf wiederum aufbauenden Verordnungen des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz. Zur Setzung von Maßnahmen bei Auftreten einer meldepflichtigen COVID-19-Erkrankung, und zum Schutz vor deren Weiterverbreitung bei Zusammentreffen größerer Menschenmengen – dies auch im Bereich der Kunst und Kultur – wurde in § 15 EpidemieG 1950 ua die Möglichkeit geschaffen, eine Veranstaltung einer Bewilligungspflicht
zu unterwerfen (Z1), an die Einhaltung bestimmter Voraussetzungen oder Auflagen zu binden (Z2) und diese auf bestimmte Personen- oder Berufsgruppen zu beschränken (Z3). Erforderlichenfalls können Veranstaltungen gemäß § 15 Abs 1 EpidemieG auch untersagt werden. Die erlassenen Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie tangieren eine Vielzahl von Grund- und Freiheitsrechten, und bei weitem nicht nur die Eigentums- und Erwerbsfreiheit der Kunst- und Kulturschaffenden, sondern insbesondere eben die verfassungsrechtlich verankerte Freiheit der Kunst, die Gedanken- und Gewissensfreiheit, die Meinungsfreiheit, das Recht auf Bildung, das allgemeine Diskriminierungsverbot und auch die Reisefreiheit in der Europäischen Union. Viele der in den diversen Verordnungen im Verlauf der Covid-19-Epidemie bislang erlassenen Maßnahmen erscheinen schon auf den ersten Blick und ungeachtet der Frage, ob es eine evidenzbasierte Grundlage dafür jeweils gab oder gibt, überbordend und unverhältnismäßig, und teils gar nicht tauglich, die angestrebten Zwecke zu erreichen, wenn man bedenkt, dass gerade im Bereich der Kunst, Kultur und Veranstaltungen frühzeitig Präventionskonzepte ausgearbeitet und auch schon umgesetzt wurden, und es dort, wo dies geschah, zu keinen Clusterbildungen kam. Dennoch wurden Kunst und Kultur als einer der ersten Bereiche „zugesperrt“ und bleiben bei Öffnungsdiskussionen weitestgehend „außen vor“.

 

Kulturinitiative Florestan

 

Nun ist es still, und das seit einem Jahr. Still, weil unser Alltag geprägt wird von Botschaften wie „Social Distancing“, „Abstand halten“, „zu Hause bleiben“, und das österreichische Städtebild geprägt ist von Babyelefanten-Tafeln und Abstandsmarkierungen für das korrekte „Anstehen“. Um in Zeiten der Stille der Kultur eine Stimme (zurück) zu geben, wurde vom Pianisten und Indendanten Florian Krumpöck u.a. die Initiative „Florestan“ ins Leben gerufen, um aufzuzeigen, dass Kultur nicht nur Teil unseres menschlichen Lebens ist, sondern auch lebensnotwendig, und deswegen durch Grundrechte geschützt ist. Österreichische Künstlerinnen und Künstler haben sich als Antragsteller zusammengeschlossen, und diesen Umstand an den österreichischen Verfassungsgerichtshof herangetragen.

 

"Der vom Gesetzgeber angepeilte Zweck, die Gesundheit und das Leben besonders vulnerabler Personen(-gruppen) zu schützen kann und darf nicht dauerhaft mit Maßnahmen einhergehen, die wiederum eine Vielzahl von anderen Betroffenen unverhältnismäßig belasten..."

Die Antragsteller erachten sich durch die angefochtenen Bestimmungen insbesondere in ihren verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt, so u.a. in ihrer Kunstfreiheit (Art 17a StGG), ihrer Freiheit der Meinungsäußerung (Art 10 EMRK) sowie in ihrer Erwerbsausübungsfreiheit (Art 6 StGG).

 

Eine Frage der Verhältnismäßigkeit und vermeintlichen Hierarchie

 

Die Antragsteller sind durch die Covid-Maßnahmen in Form des Verbotes von kulturellen Veranstaltungen sowie des (Veranstaltungs- und) Betretungsverbotes für Kulturstätten massiv betroffen, da ihnen durch diese Bestimmungen die Ausübung ihres künstlerischen Berufes und ihrer künstlerisch-kulturellen Tätigkeit, wie auch die Konsumation von Kunst und Kultur, der damit einhergehenden Bildung und der Empfang von Meinungen verunmöglicht wird. Überdies sehen sich die Antragsteller – als kunstschaffende Personen – aber auch in ihrem in Art 10 EMRK verbürgerten Recht eingeschränkt, selbst künstlerische und kulturelle Darbietungen zu empfangen, zu konsumieren und/oder zu besuchen.

 

Die Antragsteller stehen für eine Vielzahl von gleichermaßen Betroffenen aus der Kunst- und Kulturbranche, die sich über die Initiative www.florestan.at organisiert haben, und diese Individualanträge unterstützen. Wie sehr das Thema mittlerweile „unter den Nägeln brennt“ und in welche Bedrängnis die gesamte Branche gebracht wurde, zeigt auch eine weitere Initiative von 350 Kunst- und Kultureinrichtungen sowie 1500 Kulturschaffenden, die von der Politik einen Kulturgipfel fordern. In diesem Zusammenhang ist auch zu beachten, dass Grund- und Menschenrechte prinzipiell in keiner „Hierarchie“, sondern auf einer Augenhöhe – im gleichen Rang und gleichgewichtig – zueinanderstehen.

 

Es kann nach zutreffender Ansicht von Mahler/Weiß keine feststehende, aus dem „Wert“ eines Rechtes abgeleitete Rangordnung von Menschenrechten geben, der zufolge ein bestimmtes Recht stets Vorrang vor einem anderen genießen würde. Vielmehr ist stets im Einzelfall abzuwägen, welches Recht konkret Vorrang genießt, denn sonst wären bestimmte Rechte immer nachrangig und damit in letzter Konsequenz sogar – nach aktuellem Stand – entbehrlich. Sie sind unteilbar, interdependent und nicht konditionierbar.

 

Nicht nur in Österreich fehlt soweit ersichtlich ein über epidemiologische und virologische Erkenntnisse der Pandemiebekämpfung hinausgehender umfassender grund- und menschenrechtlicher Diskurs dazu, in welchem Ausmaß und für welche Dauer die Gewährleistung eines Rechts – in concreto das Rechtes auf Schutz des Lebens – die Einschränkung einer Vielzahl von Grund- und Freiheitsrechten anderer rechtfertigen kann? Das Recht auf Schutz des Lebens ist aus grundrechtlicher Sicht abstrakt nicht „mehr wert“ oder „bedeutsamer“ als etwa die Gedanken-, Gewissensund Religionsfreiheit, die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, das Recht auf Bildung, die Meinungsfreiheit oder eben die Freiheit der Kunst.

 

Der vom Gesetzgeber angepeilte Zweck, die Gesundheit und das Leben besonders vulnerabler Personen(-gruppen) zu schützen, kann und darf nicht dauerhaft mit Maßnahmen einhergehen, die wiederum eine Vielzahl von anderen Betroffenen unverhältnismäßig belasten und diese damit in ihren ebenso verfassungsgesetzlich verankerten Rechten verletzen, mitunter sogar in dem gleichen Recht, dessen Schutz (bezogen auf andere Betroffene) die Rechtfertigung der Eingriffe darstellen soll.

 

Kein Phantom in der Oper

 

Blickt man dieser Tage (und auch die vergangenen Monate) nach Spanien, zeigt sich dort ein gänzlich anderes Bild: Das ebenfalls an Geschichte und Kultur reiche Land blieb in den vergangenen 12 Monaten keineswegs von der anhaltenden Pandemie verschont. Jeder einzelne auf diese Pandemie zurückzuführende Todesfall – in Spanien, wie auch weltweit – ist eine schwere Tragödie. Diese Schicksalsschläge dürfen in keiner Auseinandersetzung mit dieser Pandemie respektlos zur Seite argumentiert werden. Der Umstand, dass es ein nur sehr geringes Ansteckungsrisiko in Theater- und Opernhäusern gibt, sollte dabei jedoch auch nicht unberücksichtigt bleiben.

 

Die spanische Kulturwelt beschreitet seit einigen Monaten einen mutigen, aber nachweislich auch sehr sicheren Weg. Der kulturelle Betrieb in diesen Häusern funktioniert nahezu reibungslos, dank entsprechender Sicherheitskonzepte. Zahlreiche fundierte Studien zeigen, dass kulturelle Veranstaltungen in Verbindung mit entsprechenden Sicherheitskonzepten kein epidemiologisches Risiko darstellen. Das Teatro Real (das Opernhaus in Madrid), ist bereits seit Juli 2020 wieder durchgehend geöffnet.

 

Das Dreieck aus Kunst, Mensch und Demokratie

 

Kunst und Kultur sind auf alle Fälle mehr als nur eine „Luxusgut“ oder „nice to have“. Wenn Charles Darwin zutreffend meinte, dass der Unterschied zwischen Mensch und Tier kein grundlegender sondern nur ein gradueller ist, so sind es Kunst und Kultur, die uns vom Tier unterscheiden, und zum Menschen machen. Auch nach der stRsp des EGMR ist bei der Abwägung zwischen dem Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens nach Art 8 MRK und der Freiheit der Meinungsäußerung nach Art 10 MRK sowie der Freiheit der Kunst nach Art 17a StGG darauf hinzuweisen, dass die Freiheit der Meinungsäußerung eine der wesentlichen Grundlagen einer demokratischen Gesellschaft darstellt und eine grundsätzliche Bedingung für ihren Fortschritt und für die Selbstverwirklichung jedes Einzelnen bildet.

 

Kunst und Kultur sind daher unerlässliche Bausteine einer freien demokratischen Gesellschaft – und so sollten wir sie gerade auch in Zeiten der Krise bzw der Pandemie – auch „behandeln“, schützen und gegen unverhältnismäßige Eingriffe verteidigen.

 

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