Mag. Dr. Marlon Possard, MSc, MA
1. Zwischen Datenschutz, Teilhabe und Selbstbestimmung:
Juristische Herausforderungen des analogen Lebens
Ein Gesetz in Bezug auf ein „Recht auf ein Leben ohne Internet“, wie aktuell von einigen politischen Verantwortungsträger:innen gefordert, gibt es in Österreich in dieser Form (noch) nicht. Eine ausdrückliche Pflicht für den Staat, seinen Bürger:innen analoge Alternativen bereit zu stellen, existiert gegenwärtig ebenfalls nicht. Die rechtliche Situation muss daher von unterschiedlichen gesetzlichen Bestimmungen abgeleitet werden. Aus rechtlicher Perspektive finden sich in Österreich zum Status quo gesetzliche Regelungen, die sowohl dem digitalen Fortschritt als auch einem analogen Leben ohne jegliche technologisierten Zugänge (wie etwa ohne den behördlichen Identitätsausweis „ID Austria“) gerecht zu werden versuchen. Als gesetzliche Basis kann in diesem Kontext das Bundesgesetz über Regelungen zur Erleichterung des elektronischen Verkehrs mit öffentlichen Stellen (E-GovG) hervorgehoben werden, das den technologisierten Kontakt zwischen Bürger:innen und der öffentlichen Verwaltung regelt. Der Gesetzgeber normiert in diesem Zusammenhang ausdrücklich eine Wahlfreiheit für die Bürger:innen im Kontext des (digitalen) Kontakts zu Verwaltung und Behörden auf Bundesebene. Das heißt, dass den Bürger:innen einerseits ein Recht auf digitalen Verkehr eingeräumt wird (siehe hierzu § 1a Abs 1 E-GovG), andererseits werden mittels § 1a Abs 3 E-GovG auch andere Kommunikationsarten mit öffentlichen Einrichtungen explizit für zulässig erklärt. Diese anderen Arten der Kommunikation können von den Adressat:innen des Gesetzes – in diesem Kontext häufig auch als sog. „Offliner“ definiert – im Rahmen des Behördenkontakts dementsprechend eingefordert werden. De lege lata wird im Rahmen von § 1a Abs 3 E-GovG zudem ein Schutz sozialer Barrieren in Bezug auf diverse Benachteiligungen festgelegt. Konkret bedeutet dies, dass Bürger:innen, die sich für klassische Wege der Kommunikation mit Behörden entscheiden (z.B. schriftliche Anfragen, Abwicklung von Verwaltungsakten vor Ort in der Behörde), aufgrund einer ebensolchen Wahl nicht diskriminiert werden dürfen. Nur zwischen den Behörden selbst besteht auf Bundesebene gemäß § 1c E-GovG die Verpflichtung zum digitalen Austausch ohne Alternativen untereinander, sofern keine Ausnahmen hierfür vorliegen. Neben den soeben skizzierten behördlichen Aspekten können für eine juristische Einordnung darüber hinaus sowohl datenschutzrechtliche als auch verfassungsrechtliche Bestimmungen prioritär sein. In datenschutzrechtlicher Hinsicht kann das Recht auf Selbstbestimmung iSd Datenverarbeitung angeführt werden. Dieses Recht umfasst, dass das Individuum selbst bestimmen kann, welche Daten technologisiert (weiter)verarbeitet werden. Art 6 und Art 7 DS-GVO (Einwilligung) müssen hierbei dementsprechend Beachtung finden – va im Hinblick darauf, welche Daten, wie viele Daten und ob welchen Umstands diese Daten preisgegeben werden. Auch hier besteht ein Konnex zu Fragen des Rechts auf ein analoges Leben, denn ein gänzlicher Online-Verkehr steht ua im Widerspruch zu geltenden datenschutzrechtlichen Normierungen und würde in weiterer Folge zu einer mittelbaren Diskriminierung für eine bestimmte Gruppierung von Bürger:innen, insb aufgrund der beschränkten Teilhabe an gesellschaftlichen Prozessen, führen. Auf europäischer Ebene garantiert zudem die Charta der Europäischen Union (GRCh) mit Art 8 den Schutz personenbezogener Daten und somit auch Daten des Privatlebens der Bürger:innen. Aus Sicht des Verfassungsrechts kann wiederum Art 7 B-VG und der damit verbundene Schutz vor Diskriminierung und der Gleichheit vor dem Gesetz genannt werden. Menschen, die mit dem digitalen Fortschritt nicht mithalten können oder sich aus anderen Gründen der Benützung des Internets entziehen, dürfen demgemäß keine Nachteile erfahren. Weiters kann aus Art 8 EMRK (= Recht auf Achtung des Privat und Familienlebens) abgeleitet werden, dass auch ein Leben ohne Internet iSd allg Persönlichkeitsrechts respektiert werden muss, da Art 8 EMRK auch die freie Gestaltung des eigenen Lebens umfasst. Diesen Umständen tritt der österreichische Gesetzgeber zumindest auf behördlicher Ebene, dh beim direkten Kontakt zwischen den Bürger:innen und der Verwaltung, mit dem bereits erwähnten § 1a Abs 3 E-GovG (= Wahlfreiheit) entgegen, um mögliche Diskriminierungen zu verhindern.
2. Die analoge Lebensform im Spannungsfeld zwischen Recht und Ethik
Zukünftig werden sich, neben juristischen Komplexitäten, auch einige philosophische Problemfelder hinsichtlich einer verstärkten Implementierung von KI und digitalisierter Technologie im Rahmen des Behörden-Bürger:innen-Kontakts eröffnen. Als Beispiele können hier sensible ethische Fragestellungen angeführt werden (z.B. im Zusammenhang mit Gesichtserkennungen, Datenschutz, Privatsphäre). Ebenso stellt sich die Frage, wie viel „digitalen Zwang“ eine Gesellschaft überhaupt verträgt. Denn wenn Behördentermine nur mehr online vereinbart werden können und eine gewisse Gruppe von Bürger:innen keine digitalen Zugänge – bspw aufgrund des hohen Alters bzw. mangelnder Affinität oder aufgrund finanzieller Hindernisse – aufweist, so werden soziale Barrieren eröffnet, die sowohl gegen geltendes Recht verstoßen können als auch aus ethischer Sicht fragwürdig sind. Eine Aufgabe der philosophischen Ethik ist es immerhin, das Leben jener Menschen, die ohne Digitalisierungsanwendungen auskommen (müssen), als legitime Lebensart zu analysieren und die verschiedenen Werte einer Gesellschaft zu beleuchten. Diese Bereiche stehen in enger Verbindung zu Fragen der menschlichen Selbstbestimmung und der Balance zwischen individueller Freiheit und technologisierten Behördenverfahren. Dadurch kann wiederum der enge Konnex zwischen Fragen des Rechts und der Ethik hervorgehoben werden.