„Es bleibt das Proporzsystem“

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

VERWALTUNGSGERICHTE. Im EU-Rechtsstaatlichkeitsbericht wird der Ernennungsmodus von Präsidenten und Vizepräsidenten der Verwaltungsgerichte kritisiert. Die Justizministerin bekräftigt gleichwohl die politische Mitsprache bei der Besetzung. Der Vertreter der Verwaltungsrichterinnen und -richter widerspricht.

Dr. Markus Thoma                                                                                                                                         Interview: Dietmar Dworschak

 

 

Anwalt Aktuell: Herr Thoma, Hans Kelsen hat gefordert, dass die Bestellung von Höchstrichtern nicht durch persönliche Wertvorstellungen, sondern durch ein System von objektiven Normen und Regeln bestimmt werden sollte. Wird das in Österreich praktiziert?

 

Markus Thoma: Bei den Leitungsfunktionen in der Verwaltungsgerichtsbarkeit sind die Ernennungsvoraussetzungen in der Verfassung festgeschrieben, allerdings ist das weitere Verfahren einfachgesetzlich nur sehr rudimentär geregelt. Es fehlt eine Beteiligung der Justiz in den Ernennungsverfahren, sprich, Besetzungsvorschläge von Gremien, in denen Richterinnen und Richter maßgeblich beteiligt sind. Abgesehen von verzögerten Ernennungen in Leitungsfunktionen kritisiert der EU-Rechtsstaatlichkeitsbericht, dass die Leitungsfunktionen von Präsidenten und Vizepräsidenten, die ja auch judizieren sollen, vom Ernennungsmodus der normalen Richter abweicht. Der Rechtsstaatlichkeitsbericht kritisiert darüber hinaus eine mangelnde gerichtliche Überprüfung der Ernennungen an sich. Bei Ernennungsverfahren ist man in Österreich sehr konservativ, was die Einräumung von Rechtspositionen von Beteiligten an langt.

 

Anwalt Aktuell: Ihre ehemalige Kollegin hier im Haus, die jetzige Justizministerin, hat im Zusammenhang mit der Besetzung richterlicher Spitzenpositionen gesagt, es sei legitim, dass die Parteien ihre Interessen durchsetzen. Teilen Sie diese Meinung?

 

Markus Thoma: Ich fürchte, dass solche Äußerungen in der Öffentlichkeit zu einem Missverständnis der Rolle von Richterinnen und Richtern führen könnten. Richterinnen und Richter sollen gesetzestreu den Volkswillen vollziehen, der im Gesetz den Niederschlag gefunden hat, unabhängig von der Frage, wer sie ernannt hat und ob jene, die sie einmal ernannt haben, nach wie vor an der Macht sind. Das ist Kontinuität einer gesetzestreuen Vollziehung in von der Politik unabhängigen Weise, an die die allermeisten Richterinnen und Richter glauben. 

 

Anwalt Aktuell: Nochmals Hans Kelsen. Er hat gewarnt, im Justizbereich Gesinnung vor Verantwortung zu stellen. Gilt das noch?

 

Markus Thoma: Verantwortung ist für Richterinnen und Richter sehr wichtig. Sie sind für ihre Entscheidungen verantwortlich – in disziplinärer Hinsicht bis hin zur strafgerichtlichen Verantwortung. Die Gesinnung soll jedem und jeder Einzelnen unbenommen bleiben. Sie sollte jedenfalls nicht mit der Entscheidung bzw. der Amtsführung vermengt werden. Der demokratische Rechtsstaat lebt da von, dass alle Bürgerinnen und Bürger eine politische Überzeugung haben, aber als Richterin und Richter im Amt hat man den Gesetzesauftrag zu erfüllen.

 

Anwalt Aktuell: Zurück zur Bestellung von Spitzenpositionen in der Justiz. Bei der vorigen Regierung gab es noch die berüchtigten „Sideletters“, die sich die aktuelle Regierung erspart hat. Und gleichwohl gab es wieder Postenabsprachen. Herrscht nach wie vor der alte Geist zum Thema?

 

Markus Thoma: Man hat diese Absprachen in dem eigenen Abschnitt „transparente Personalauswahl“ in das Regierungsprogramm aufgenommen. Die Besetzungen von Spitzenpositionen beim Verfassungsgerichtshof, beim Verwaltungsgerichtshof und bei anderen Einrichtungen des Staates oder staatsnahen Einrichtungen regelt nun mehr schwarz auf weiß das Koalitionsabkommen. Von manchen wird das als Fort schritt betrachtet. Die Fortentwicklung liegt darin, dass die Aufteilung der Vorschlagsrechte nach einem Proporzsystem offengelegt wird. Das ändert aber nichts an dem Proporzsystem an sich. 

 

Anwalt Aktuell: Wie sieht Ihre Vision für eine faire Besetzung von Spitzenpositionen in der Verwaltungsgerichtsbarkeit in Österreich aus?

 

Markus Thoma: Die Reform der Besetzung der Leitungsfunktionen beim Obersten Gerichtshof hat gezeigt, dass auch für die Positionen von Präsidenten und Vizepräsidenten bei den Höchstgerichten ein Vorschlagswesen eingeführt werden kann, in Form eines besonderen Personalsenats, dessen Vorschläge in der Regel befolgt werden, zusätzlich abgesichert dadurch, dass auf einfachgesetzlicher Grundlage eine Verpflichtung der Justizministerin besteht, wenn sie vom Vorschlag abweichen möchte, dies an den Personalsenat zurückzuleiten und zu begründen. Das ändert nichts am Er nennungsrecht der Exekutive, aber es wäre die maßgebliche Beteiligung der Justiz vorgezeichnet, wie es der EU-Rechtsstaatlichkeitsbericht fordert.