TRANSPARENZ?
Am 1. September dieses Jahres tritt das „Informationsfreiheitsgesetz“ in Kraft. Wird auf die Verwaltung ein Sturm von Anfragen ein prasseln? Wie werden sich jene verhalten, die sich bisher hinter dem „Amtsgeheimnis“ versteckten? Ein Gespräch mit Stephan Heid und Martin Niederhuber, ausgewiesenen Experten für Öffentliches Recht.
Dr. Stephan Heid und Mag. Martin Niederhuber Interview: Dietmar Dworschak
Anwalt Aktuell: Wie sehen Sie das Infomationsfreiheitsgesetz? Wird hier das Dornröschen namens Verwaltungstransparenz wachgeküsst oder endet das Mittelalter namens „Amtsgeheimnis“?
Martin Niederhuber: Tatsächlich beides. Das Amtsgeheimnis ist mittlerweile völlig überkommen, insbesondere, wenn man sich das im europäischen Vergleich anschaut. Die Informationsfreiheit ist in der Tat das Dorn röschen. Das gab es in dieser Form bislang gar nicht. Natürlich gab es Informationsrechte in Teilbereichen, aber so ein umfassendes Grundrecht auf Information hatten wir bisher gar nicht.
Anwalt Aktuell: Wie soll plötzlich „Informationsfreiheit“ herrschen, wo sich jeder Gemeindesekretär in den letzten Jahrhunderten darauf berufen konnte, dass den Bürger sowieso nichts angeht, was die sogenannte Obrigkeit tut?
Stephan Heid: Dadurch, dass die Werkzeuge für den Bürger effizienter geworden sind. Er bekommt ein Grundrecht auf Informationsauskunft, das nur in Ausnahmefällen nach einer Abwägung durch die Gemeindebeamten abgelehnt werden kann. Die Gefällelage ist im Vergleich zur bisherigen Rechtslage umgekehrt. War bis dato die Amtsverschwiegenheit die Regel und die Information die Ausnahme, so ist es nun umgekehrt. Freilich muss man einschränkend darauf hinweisen, dass erst in rund 2 Jahren eine Reihe ungeklärter Fragen im Gesetz durch die Gerichtshöfe öffentlichen Rechts geklärt werden wird, so z. B. wieweit das Ablehnungsrecht des Gemeindebeamten auszulegen ist. Aber es ist damit zu rechnen, dass es weit weniger weit sein wird als in der Vergangenheit.
Martin Niederhuber: Es kommt auf die Gemein den eine riesige Umstellung zu. Das hat man bereits bei der Gesetzwerdung gemerkt. Da haben die Gemeinden ein Veto eingelegt und gesagt, dass den kleinen Gemeinden die aktive Informationspflicht nicht zumutbar sei. Nun steht im Gesetz die Ausnahme für Gemeinden mit bis zu 5.000 Einwohnern. Diese Ausnahme haben sie allerdings nicht bei der passiven Informationspflicht. Die kleinen Gemeinden sind also bei In formationsanfragen genauso in der Pflicht.
Anwalt Aktuell: Glauben Sie daran, dass ab 1. September, also mit Inkrafttreten des Gesetzes, plötzlich alle, die bisher Informationen gehortet haben, diese auch herausgeben? Anders gefragt: Gibt es spürbare Strafen für Informationsverweigerung oder kann sich der Geheimnishüter darauf ruhig einlassen?
Martin Niederhuber: Natürlich werden jetzt nicht alle frank und frei die Informationen auf den Tisch legen. Was sich ändern wird, ist, dass sich auf ihrem Tisch die Anfragen stapeln wer den. Ich bin mir nämlich von der anderen Seite ziemlich sicher, dass die NGO’s und auch die Medienlandschaft sehr aktiv dieses neue Instrument nützen werden. Wer sich im Verwaltungsbereich nicht darauf vorbereitet wird meiner Meinung nach einfach überrumpelt sein.
Stephan Heid: Die zuvor angesprochenen neuen Werkzeuge umfassen jetzt auch eine proaktive Informationspflicht durch den Staat, also einen Informationsgewinn ohne entsprechendes Bürgerbegehren im Einzelfall. Gemeinden über 5.000 Einwohnern und alle sonstigen staatlichen Informationspflichtigen sind verpflichtet, von sich aus Informationen, die ab dem 1. September entstehen, bekannt zu geben. Das ist ein nicht kleiner Kreis, der hier zukünftig jegliche Art von Information, sofern sie im allgemeinen Interesse liegt, proaktiv bekannt machen muss. Neben allen Bundes und Landesverwaltungsorganen, wie z.B. Ministerien, Landesregierungen und Bezirkshauptmannschaften, trifft das grundsätzlich auch die gesetzlichen Interessensvertretungen, die Universitäten, Hochschulen und die Sozialversicherungsträger. Dazu kommen – und das ist ganz neu – sogenannte „Beliehene“, also privatwirtschaftlich eingerichtete GmbH’s und AG’s, die in Teilbereichen mit hoheitlicher Funktion bedacht agieren sowie noch weitere private Einheiten, sofern sie eine qualifizierte Staatsnähe aufweisen. Gerade zu diesen zuletzt genannten privaten Einheiten, die proaktiv informieren müssen, herrscht momentan noch ein wissenschaftlicher Diskurs.
Anwalt Aktuell: Ich frage nach: Gibt es Strafen für die Nichterteilung von Informationen?
Martin Niederhuber: Wenn man die Information nicht erteilt, hat der Antragsteller die Möglichkeit, den Rechtsweg zu beschreiten. Das heißt, er kann einen Bescheid anfordern, dass er sie nicht bekommt und warum er sie nicht bekommt. Er kann dann zum Verwaltungsgericht – in den meisten Fällen zum Landesverwaltungsgericht – gehen, und irgendwann dann noch bis zu den Höchstgerichten. Die Gerichte sprechen dann aus, ob die Nicht Informationserteilung recht mäßig war. Explizite Strafbestimmungen sind im Gesetz nicht zu finden.
Stephan Heid: Es gibt keine Strafbestimmung, insbesondere auch keine für die Verletzung der aktiven Informationspflicht. Hier hat der Gesetzgeber offensichtlich aufgrund des notwendigen politischen Konsenses nichts vorgesehen. Eine Gemeinde mit mehr als 5.000 Einwohnern, die eine Information nicht proaktiv veröffentlichen würde, wäre daher nicht mit einer Verwaltungsstrafsanktion bedacht, aber: der Bürger kann ein individuelles Begehren auf Auskunft stellen und damit den gesamten Rechtsweg eröffnen. Ganz am Ende des Tages könnte dann doch im Wege der Verwaltungsexekution eine Geldstrafe gegen Informationspflichtsäumige verhängt werden.
Anwalt Aktuell: Das ist aber doch unendlich mühsam für jemanden, der ganz einfach eine Information bekommen möchte. Das bedeutet doch, dass man dieses Recht gegebenenfalls auf eigene Kosten ausjudizieren lassen müsste?
Martin Niederhuber: Ich kenne die ganze Ge schichte ja schon vom Umweltinformationsgesetz. Dort gibt es ein ähnliches Prozedere. Wir haben hier verkürzte Fristen, d.h., wenn ich einen Bescheid will, sollte ich diesen innerhalb von vier Wochen bekommen, wenn es kompliziert ist, innerhalb von acht Monaten. Wenn der Informationspflichtige jedoch nichts herausgeben will, kann es in die Jahre gehen.
Stephan Heid: In der Praxis wird es Frontrunner geben, die dieses Instrument intensiv nutzen und Geld, Zeit und Ressourcen haben, um den Rechtsweg zu beschreiten. Diese Frontrunner werden Judikatur erzeugen, zunächst bei Landesverwaltungsgerichten, in weiterer Folge beim Verwaltungs- und Verfassungsgerichtshof. Diese Urteile bei den Gerichtshöfen öffentlichen Rechts werden Leitfunktion für jeden Bürger haben. Die Frontrunner werden eine Art Schneise in diese neue Materie schlagen, die dann von allen Bürgern leichter begangen werden kann.
Martin Niederhuber: Es gibt kaum ein Gesetz im Bereich der Verwaltung, das mehr Judikatur produziert hat, als dieses neue Gesetz produzieren wird. Die Antragsteller werden einmal probieren, alles zu kriegen, und die Informationspflichtigen werden versuchen, auf der Bremse zu stehen.
Anwalt Aktuell: Wonach dürfen wir Bürgerinnen und Bürger im Herbst der neuen Informationsfreiheit nun fragen?
Martin Niederhuber: Das ist ja das Spannende an diesem Gesetz, dass der Informationsbegriff so weit gefasst ist, wie man es sich vorstellt, wenn man das Wort Information hört. Das sind beispielsweise sämtliche geschäftsbezogenen Aufzeichnungen, die vorhanden sind. Es muss also alles, was Amtsgeschäfte betrifft, offengelegt wer den, außer, es greifen Geheimhaltungsgründe. Der Informationsbegriff geht unheimlich weit. Bei der proaktiven Informationspflicht der Verwaltung sind es „Informationen von allgemeinem Interesse“. Da werden wir noch viel streiten, was ein „allgemeines Interesse“ ist. Ich befürchte, dass die Gerichte ausjudizieren werden, dass ein „all gemeines Interesse“ relativ schnell zu finden ist.
Stephan Heid: Der Begriff der Information um fasst alle Arten der verschriftlichten Information. Das sind nicht nur klassische Informationsmittel wie Brief, E-Mail und Aktenvermerk, sondern auch sämtliche Datei-Formen, vom klassischen Word-Dokument über Excel-Datei bis hin zu Sonderformaten, Bildinformation, Planinformationen und letztlich auch WhatsApp-Gruppen oder sonstige Social-Media-Nachrichten.
Anwalt Aktuell: Gibt es Institutionen oder Verwaltungskörper, die von der Informationspflicht aus genommen sind?
Stephan Heid: Ausgenommen sind per Gesetz jene Unternehmen, die an der Börse gelistet sind. Diese Unternehmen konnten während des Gesetzgebungsvorganges erfolgreich mit dem Argument lobbyieren, dass sie bereits weitreichenden Informationspflichten etwa durch das Aktiengesetz unterliegen. Ebenfalls ausgenommen sind auch die jeweiligen Konzerntöchter bis hinein in die jeweilige Enkelebene.
Anwalt Aktuell: Welche Informationspflichten haben die Kammern?
Martin Niederhuber: Hier muss man differenzieren. Bei der proaktiven Informationspflicht sind die Kammern im eigenen Wirkungsbereich nicht in die Pflicht genommen. Zu den Anfragen an die Kammern steht im Bundes-Verfassungsgesetz, dass sie nur ihren eigenen Mitgliedern gegenüber auskunftspflichtig sind.
Anwalt Aktuell: Welche Themen fallen nicht unter die Informationspflicht?
Stephan Heid: Zentral ist hier der Paragraf 6 des Informationsfreiheitsgesetzes. Neben klassischen Hardcore-Ausnahmen wie nationale Sicherheit oder militärischen Belangen sind es vor allem drei Themen, die von Interesse sind: Zum einen sind es Informationen, die zur Herleitung einer Entscheidung erforderlich sind – also z.B. alles im Vorfeld eines Bescheides. Dann gibt es Geheimhaltungsgründe, wo erheblicher wirtschaftlicher Schaden für das auskunftsgebende Organ entstehen könnte. Denken wir hier an Amtshaftungsansprüche, wenn zu weitgehende datenschutzrechtliche Informationen preisgegeben würden. Der dritte Tatbestand betrifft all jene Bereiche, in denen die Interessen Dritter erheblich beeinflusst werden könnten und es aufgrund spezieller Materiengesetze, etwa wie Redaktions- oder Bankgeheimnis, in einer Gesamtabwägung schwerer wiegen würde, dieses Interesse des Dritten zu verletzen. Wichtig: Es gibt kein Geheimhaltungsinteresse, das absolut wirkt. Alle bedürfen einer Abwägung, d.h. man kann sich nicht generalklauselartig auf einen Tatbestand berufen, sondern muss immer abwägen, ob es nicht Informationsinteressen gibt, die stärker wiegen als die Geheimhaltung.
Martin Niederhuber: Es ist ja ein absolutes Novum, dass durch dieses Gesetz nun auch Private verpflichtet sein können, zum Beispiel Unter nehmen, die vom Staat mit zumindest 50 Prozent beherrscht werden bzw. der Rechnungshofkontrolle unterliegen. Bei diesen erwarte ich mir eine Anfrageflut – endlich kann man auch diese Unternehmen in die Pflicht nehmen. Diese haben noch einen eigenen Ausnahmetat bestand dazu bekommen: sie können die Beeinträchtigung ihrer Wettbewerbsfähigkeit ein wenden.
Stephan Heid: Beispiele für solche Unternehmen sind etwa Energieversorger oder Verkehrsdienstleister mit besonderer Staatsnähe, die im Wettbewerb stehen und diesen Geheimhaltungsgrund vorbringen könnten.
Anwalt Aktuell: Bevor wir uns zu sehr über die neue Ära der Informationsfreiheit freuen sei die Frage erlaubt: Wie schwer wird es Ihrer Meinung nach den Informationsbegehrenden gemacht? Herrschen da wie üblich die mehrseitigen Antragsformulare?
Stephan Heid: Betreffend die staatlichen Informationspflichtigen ist grundsätzlich jede Form der Anfrage zulässig, selbst eine telefonische. Es gibt auch keine Höchstzahl für Anfragen, die eine Einzelperson stellen darf. Private Informationspflichtige haben insofern ein kleines Privileg, als ihnen gegenüber die Anfrage schriftlich zu erfolgen hat.
Anwalt Aktuell: Im Vergleich zu den Jahrhunderten des „Amtsgeheimnisses“ sind die Tage bis zum Inkrafttreten des Informationsfreiheitsgesetzes ein Augenblinzeln der Geschichte. Haben Sie Erkenntnisse oder Erfahrungen, ob sich die Verwaltungsstellen mit der neuen Transparenz beschäftigen, die demnächst fällig wird?
Martin Niederhuber: Ja, die beschäftigen sich schon damit. Es gibt auch schon erste Leitfäden, zum Beispiel einen sehr guten aus Oberösterreich, meinem Heimatbundesland. Ich bin mir nicht sicher, inwieweit sich die staatlichen Unternehmen damit schon beschäftigt haben. Die Auskunftsfrist gegenüber Anfragenden beträgt nur vier Wochen. Da sollte ich als Auskunftsgeber schon wissen, wozu ich eigentlich verpflichtet bin bzw. wer bei mir im Betrieb für die Auskunft zuständig ist.
Stephan Heid: Bis zum 1. September muss über prüft und geklärt sein, ob Fachabteilungen für sich alleine die Kompetenz zur Auskunft haben, ob es einen Qualitätscheck oder eine Querverbindung zur Rechtsabteilung oder externen Anwälten gibt sowie inwieweit die Compliance Abteilung oder der Datenschutzbeauftragte eingebunden sind. Wir sehen, dass die großen Player diesen Job bereits intensiv gemacht haben, kleinere Einheiten aber erst gerade mitten drin sind.
Anwalt Aktuell: Herr Dr. Heid, Herr Magister Niederhuber – danke für das Gespräch.