Die Nationalgarde kommt zur Rettung – Es fragt sich wovor?

 

 

 

 

GEFAHR IM VERZUG?

Die spektakulären Einsätze der Nationalgarde in mehreren US-amerikanischen Städten haben laut Präsident Trump den Sinn, die Sicherheit wiederherzustellen bzw. zu überwachen. Tatsächlich sind die betroffenen (demokratisch regierten) Städte sicherer als viele republikanische, in die (noch) keine Nationalgardisten entsandt wurden.

Stephen M. Harnik, Esq., New York                                                                                                       

 

 

Ich ziehe meinen Hut vor Kamala Harris: Beim Abschluss ihres Wahlkampfs im Oktober 2024 sagte sie voraus, dass Donald Trump durchaus beabsichtige, das US-Militär gegen amerikanische Bürger einzusetzen, die lediglich eine andere Meinung vertreten als er. Menschen, die er als "the enemy from within" bezeichnet. Schon ab dem 7. Juni 2025 sollte sich diese Prophezeiung bereits bewahrheiten: Trotz des vehementen politischen und rechtlichen Widerstands des kalifornischen Gouverneurs Gavin Newsom sowie der Bürgermeisterin von Los Angeles, Karen Bass, schickte Trump 4000 Soldaten der kalifornischen Nationalgarde sowie erstmals in der Geschichte etwa 700 aktive US-Marinesoldaten in die zweitgrößte Stadt der USA. Als gesetzliche Grundlage wurde 10 USC §12406 herangezogen (Schutz von Bundesvermögen und -personal, wie die Beamten der Immigration and Customs Enforcement, ICE) nachdem es aufgrund der jüngsten Razzien gegen illegal eingewanderte Personen zu Protesten und Straßenkundgebungen gekommen war. In Wirklichkeit hatte die örtliche Polizei die Lage zu diesem Zeitpunkt aber bereits gut unter Kontrolle. Gouverneur Gavin Newsom ging daher zu Gericht und bekämpfte die Maßnahmen des Bundes im Fall Newsom v. Trump . Newsom machte dabei nicht nur Verstöße gegen die Verfassung geltend (Zehnter Zusatzartikel, Anti-Commandeering-Doktrin), sondern auch statutory overreach (Überschreitung der Bundeskompetenzen gemäß dem oben erwähnten Titel 10) und Verstöße gegen den Posse Comitatus Act von 1878 (siehe unten). Am 2.9. entschied Richter Charles Breyer, der Bruder des ehemaligen Richters am Obersten Gerichtshof Stephen Breyer, dass der Posse Comitatus Act verletzt wurde. Das Justizministerium unter Trump kündigte umgehend an, dass es Berufung einlegen werde. Schon zuvor war zweifelhaft, ob die Trump Regierung selbst ernsthaft an die Rechtmäßigkeit ihres Vorgehens glaubte. So äußerte sich Kristi Noem, Ministerin für Homeland Security dahingehend, dass die Operation darauf abzielte, „[Los Angeles] von den Sozialisten zu befreien“, womit sie Newsom und Bass meinte (deren Politik freilich alles andere als „sozialistisch“ ist). Unterdessen wurden die Nationalgarde und die Marines im Juli ohne größere Zwischenfälle wieder abgezogen, doch dann erklärte Trump am 13. August 2025 einen angeblich weiteren Notstand aufgrund hoher Kriminalität in Washington, D.C. Während ich diese Zeilen schreibe, droht er dasselbe in Baltimore und Chicago zu tun. Es ist natürlich weder medial noch unter Juristen unbemerkt geblieben, dass es sich hierbei ausschließlich um Städte mit demokratischer Stadtregierung handelt, während von tatsächlich hohen Kriminalitätsraten geplagte republikanisch regierte Städte wie Charlotte, Indianapolis und Tulsa ignoriert werden. Fairerweise muss man sagen, dass Trump nicht der erste Präsident ist, der seine Befugnis nutzt, um die Nationalgarde heranzuziehen. Gemäß der US-Verfassung hat der Kongress die Befugnis, „die Miliz zur Durchsetzung der Gesetze der Union, zur Unterdrückung von Aufständen und zur Abwehr von Invasionen einzuberufen“. Und durch die Milizgesetze von 1792 ermächtigte der Kongress den Präsidenten, die Milizen der Bundesstaaten bundesweit einzusetzen, um Aufstände zu unterbinden und Bundesgesetze durchzusetzen und damit den Frieden aufrechtzuerhalten bzw. die Ordnung wie der herzustellen. Es gibt 54 Nationalgarde-Einheiten, die perma nent in Reserve stehen und in jedem der 50 US-Bundesstaaten so wie im District of Columbia, auf Guam, den Amerikanischen Jungferninseln und in Puerto Rico stationiert sind. Im Allgemeinen ist es der Gouverneur eines Bundesstaates, der die Nationalgarde seines Bundesstaates zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung einberuft, aber auch der Präsident kann dies tun, wenn er der Meinung ist, dass die Exekutive des Bundesstaats die Kontrolle über die Lage zu verlieren droht. Es gab einige bemerkenswerte Fälle, in denen dies geschehen ist, beginnend mit dem ersten Präsidenten der Vereinigten Staaten, George Washington, als er die Miliz von Pennsylvania aufrief, die Whiskey-Rebellion von 1794 zu unterdrücken, einen Aufstand der Bauern von Pennsylvania gegen eine von Alexander Hamilton eingeführte Bundessteuer auf Alkohol, mit der die Kriegsschulden der neuen Nation beglichen werden sollten. Im Gegensatz zu Trump hat Präsident Washington die Truppen selbst angeführt – das einzige Mal, dass ein Präsident das gemacht hat. Präsident Abraham Lincoln bediente sich zu Beginn des Bürgerkriegs 1861 der Milizen der Bundesstaaten um die Sklaverei zu beenden. Später wurden diese eingesetzt um schwarze Schulkinder zu schützen und die Integration in den Schulen durchzusetzen, nachdem der Oberste Gerichtshof in seiner historischen Entscheidung Brown v. Board of Education (1954) der „getrennt, aber gleichberechtigt” Ideologie im Schulsystem ein Ende gesetzt hatte. In diesem Fall forderte zunächst der Gouverneur von Arkansas die Nationalgarde auf, schwarze Schüler am Betreten der vorgeschriebenen integrierten Schulen zu hindern, mit der Behauptung dies diene zu deren eigenem Schutz. Präsident Eisenhower befahl daraufhin derselben Nationalgarde, die Seiten zu wechseln und die Kinder gemäß der Anordnung des Bundesgerichts in die Schule zu begleiten. Dies wiederholte sich unter Präsident Kennedy, als dieser die Alabama Nationalgarde einsetzte, um die Universität von Alabama zu integrieren, und sich damit gegen Gouverneur George Wallace stellte, der sogar persönlich versuchte, den Zugang zu blockieren. Alabama war auch Schauplatz des nächsten Milizeneinsatzes, als Martin Luther King einen dreitägigen Marsch von Selma nach Montgomery anführte, um auf Missstände beim Wahlrecht für Minderheiten aufmerksam zu machen. Als sie die Edmund Pettus Bridge überquerten, griffen Polizisten des Bundesstaates Alabama die Demonstranten mit Tränengas, Hunden, Peitschen und Schlagstöcken an. Der Vorfall ging als „Bloody Sunday“ in die Geschichte ein. Als Reaktion da rauf rief Präsident Johnson die Alabama National Guard zum Schutz der Demonstranten her bei, und als sie schließlich in Montgomery ankamen, sprach Rev. King auf den Stufen des Kapitols die berühmten Worte: „No tide of ra cism can stop us.” Als die Nationalgarde im August erstmals in Washington, D.C. einrückte, trug sie keine Schusswaffen und überließ Festnahmen der örtlichen Polizei. In der Zwischenzeit hat sich das aber geändert was weitere Unruhen be fürchten lässt, so wie beispielsweise die Schie ßerei an der Kent State University am 4. Mai 1970 auf dem Höhe punkt der Anti-Vietnamkriegsbewegung. In diesem Fall wurde die Nationalgarde nicht vom damaligen Präsidenten Richard Nixon, sondern vom Gouverneur von Ohio gerufen. Die Garde eröffnete das Feuer auf die Demonstranten wobei vier Studenten getötet und elf verletzt wurden. Für die Nachwelt festgehalten wurde dieses entsetzliche Ereignis in einem später mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichneten Foto, indem eine junge Frau mit schmerzverzerrtem Gesichtsausdruck und wie zum Flehen ausgestreckten Armen über einem der getöteten Studenten kniet, sowie im Protestsong „Ohio“ von

Crosby Stills Nash & Young:

 

Tin soldiers and Nixon coming

We're finally on our own

This summer I hear the drumming

Four dead in Ohio

Gotta get down to it, soldiers are cutting us down

Should have been gone long ago

What if you knew her and found her dead on the ground

How can you run when you know?

La-la-la-la, la-la-la-la

La-la-la-la, la-la-la 

 

Der rechtliche Rahmen

Wie oben erwähnt, leitet sich die Einberufung der Nationalgarde aus der US-Verfassung ab. Im Posse Comitatus Act von 1878, nach dem Ende der Reconstruction und der Rückkehr der weißen Suprematisten an die politische Macht, versuchte der Kongress jedoch sicherzustellen, dass das Bundesmilitär nicht zur Intervention bei der Einführung der Jim-Crow-Gesetze eingesetzt werden würde, die die rechtliche Wiedereinführung der Rassentrennung in den ehemaligen Konföderiertenstaaten zum Ziel hatte. In der Tat standen die Gründerväter, die zuvor die Tyrannei von König Georg III. über die amerikanischen Kolonisten erlebt hatten und die zum Unabhängigkeitskrieg von 1775 führte, der Kontrolle des Militärs durch die Exekutive misstrauisch gegenüber. Der Posse Comitatus Act besteht aus nur einem Satz: „Whoever, except in cases and under circumstances expressly authorized by the Constitution or Act of Congress, willfully uses any part of the Army or the Air Force as a posse comitatus or otherwise to execute the laws shall be fined under this title or imprisoned not more than two years, or both" 

 

Somit darf das Militär nicht zur zivilen Strafverfolgung eingesetzt werden. Dies gilt im Allgemeinen nur für das Militärpersonal des Bundes und unterliegt Ausnahmen, von denen die wichtigste der Insurrection Act ist, wonach der Präsident auf Ersuchen einer einzelstaatlichen Regierung das Militär einsetzen kann, um einen Aufstand im betreffenden Bundesstaat zu unterdrücken. Darüber hinaus gibt dieses Gesetz dem Präsidenten die Befugnis, ungeachtet der Zustimmung des Bundesstaats das Militär zum Schutz der Bürgerrechte einer Gruppe von Menschen einzusetzen (siehe die oben genannten Beispiele), wenn dieser untätig bleibt. Eine weitere wichtige Ausnahme vom Posse Comitatus Act ist der District of Columbia. Im Gegensatz zu allen anderen Nationalgarden der Bundesstaaten und Territorien untersteht die DC Guard stets der Kontrolle des Präsidenten. Dementsprechend war Trump befugt, die DC Guard zur Strafverfolgung einzusetzen, auch wenn es eine andere Frage ist, ob dies wirklich notwendig war. Darüberhinaus wirft Titel 32 des Posse Comitatus Act rechtliche Probleme auf. Nach diesem Titel kann das Personal der Nationalgarde aus Bundesmitteln bezahlt werden, wenn es unter diesem Titel einberufen wird, und zwar auch dann, wenn es von einem Gouverneur eines Bundesstaates zur Lösung eines staatlichen Problems einberufen wurde. Dies führt zu Unklarheiten darüber, wem die Garde unterstellt ist und von wem sie Befehle entgegen nehmen muss, wenn sie unter Titel 32 operiert, was den Zweck des Posse Comitatus Act unterlaufen kann wenn die Bundesregierung den Einsatz der Garde zu ihren eigenen Zwecken forciert. Im Gegensatz dazu untersteht die Nationalgarde bei einer Aktivierung gemäß Titel 10 dem Präsidenten und erhält Bundesmittel für Bundesmissionen. Um den Widerstand der demokratischen Gouverneure zu umgehen, hat Trump die Gouverneure mehrerer republikanischer Bundesstaaten aufgefordert, ihre eigene Nationalgarde nach Washington D.C. und möglicherweise auch nach Baltimore, Chicago und New York zu entsenden. Das Brennan Center an der NYU Law School hat (neben anderen Institutionen) darauf hingewiesen, dass damit das Verfahren des Insurrection Act und damit die politi schen Kosten seiner Anwendung umgangen würden und genau das darstellt, was der Posse Comitatus Act verhindern sollte. Dem entsprechend hat das Brennan Center den Kongress aufgefordert, den Posse Comitatus Act in dreierlei Hinsicht zu reformieren: Erstens sollte die Kontrolle über die Nationalgarde von Washington D.C. vom Präsidenten auf den Bürgermeister von Washington übertragen werden. Zweitens sollte der Kongress klarstellen, dass Gouverneure ihre Nationalgarde nicht in einen anderen Staat oder ein anderes Gebiet ohne dessen Zustimmung entsenden dürfen. Drittens sollte der Kongress ein Gesetz erlassen, das klarstellt, dass der Posse Comitatus Act für Nationalgarde-Truppen in jedem Fall gilt, indem eine Befehlshierarchie des Bundes besteht, unabhängig davon, ob sie offiziell zu einem Bundeseinsatz einberufen wurden. Es bleibt abzuwarten, ob Trump die Nationalgarde „zur Rettung“ eines (oder mehrerer) demokratisch geführten Bundesstaats rufen wird. Wie die Geschichte zeigt ist die Gefahr dass dies zu blutigen Auseinandersetzungen führt leider sehr real.