GROSSE BROCKEN. Mit der geplanten Bundesstaatsanwaltschaft und mit dem Staatssekretariat für Deregulierung hat sich die Bundesregierung zwei ehrgeizige Projekte vorgenommen, die Auswirkungen auf Justiz und Verwaltung haben werden. Während der Verfassungs- und Verwaltungsprofessor Peter Bußjäger das vorliegende Konzept der Bundesstaatsanwaltschaft kritisch sieht, gibt er dem Thema Bürokratieabbau zumindest eine kleine Chance.
Univ. Prof. Dr. Peter Bussjäger
Anwalt Aktuell: Herr Professor Bußjäger, brauchen wir eine Bundesstaatsanwaltschaft?
Peter Bußjäger: Im Hinblick auf internationale Standards ist es sicher von Vorteil, eine von der Politik unabhängige Spitze der Staatsanwaltschaften zu haben. Ob wir dies tatsächlich benötigen, um ein korruptionsfreier Rechtsstaat zu sein, kann man bezweifeln.
Anwalt Aktuell: Haben Sie Beobachtungen, dass das Weisungsrecht durch den Justizminister oder die Ministerin schon missbräuchlich eingesetzt wurde?
Peter Bußjäger: Solche Beobachtungen habe ich nicht. Die Problematik liegt darin, dass die Existenz eines politischen Weisungsrechts unter Umständen auch zu einem vorauseilenden Gehorsam führen kann. Man muss in diesem Zusammenhang aber auch deutlich sagen, dass die Staatsanwaltschaften gegenüber einer künftigen Bundesstaatsanwaltschaft nach wie vor weisungsgebunden sein werden, ob es ein Kollegium oder eine Einzelperson sein wird. Das ist aus meiner Sicht auch richtig so. Die Gefahr eines Machtmissbrauchs bleibt natürlich weiterhin bestehen. Sie verlagert sich nur von einer Person auf eine andere bzw. auf ein Kollegium.
Anwalt Aktuell: In der Diskussion der letzten Jahre forderte die ÖVP eine Person an der Spitze der Bundesstaatsanwaltschaft, während SPÖ, Grüne und Neos immer von drei Personen sprachen. Welche ist für Sie die bessere Lösung?
Peter Bußjäger: Mir schiene die Leitung durch eine Person konsequenter. Ich frage mich auch, ob es angesichts der relativ wenigen Fälle nicht ein überzogener Aufwand ist, hier drei Personen einzusetzen. Man muss diese drei Leute ja beschäftigen. Und weil sie unabhängig sein müssen, dürfen sie ja keinen anderen Job ausüben. Für eine Dreierspitze spräche eventuell, dass man kontroverse Rechtsfragen ausdiskutieren kann. Insgesamt wäre ich jedenfalls für eine Einzelspitze gewesen.
Anwalt Aktuell: Sie stimmen also OGH-Präsident Kodek zu, der meinte, es gebe ja auch nur einen Bundeskanzler?
Peter Bußjäger (lacht): Im Ergebnis stimme ich ihm zu. Der Vergleich ist eventuell hinterfragbar, er hat aber insofern recht, als es viele monokratische Spitzen in der Verwaltung gibt. Auch der Bezirkshauptmann oder die Bezirkshauptfrau ist nur eine Person.
Anwalt Aktuell: Zur Findung des geplanten Dreierkollegiums der Bundesstaatsanwaltschaft wer den zwei Kommissionen gebraucht. Eine, um die Findungskommission zu bestellen und dann die Kommission, die die Bundesstaatsanwaltschaft bestellt. Glauben Sie, dass das alles ohne irgendwelche politische Einflüsse möglich ist?
Peter Bußjäger: Ich kann nachvollziehen, dass man diese Konstruktion wählt, aber es ist in gewisser Hinsicht auch ein Armutszeugnis. Offen bar traut sich die Politik selber nicht zu, von einer Kommission vorgeschlagene Leute selbst zu bestellen.
Anwalt Aktuell: Massive Diskussionen gibt es auch zum Profil der Mitglieder der Bundesstaatsanwaltschaft. Sollte die neue Institution generell mit Juristinnen und Juristen besetzt sein, oder sollte man sich auf Richter:innen bzw. Staatsanwält:innen fokussieren?
Peter Bußjäger: Aus meiner Sicht besteht keine Notwendigkeit, dass man die Suche auf Richterinnen und Richter bzw. Staatsanwältinnen und Staatsanwälte einschränken sollte. Warum sollte nicht auch jemand geeignet sein, der in der Anwaltei tätig war? Man könnte sich auch den einen oder anderen Strafrechtsprofessor vorstellen…Hier wären für mich auch Quereinsteiger aus verschiedenen Rechtsberufen denkbar.
Anwalt Aktuell: Ein ganz anderes Thema: Bürokratieabbau bzw. Verwaltungsvereinfachung. Glauben Sie, dass der neue Staatssekretär für Deregulierung eine Chance hat?
Peter Bußjäger: Ich würde sagen, man muss ihm eine Chance geben. Ob er sie dann nützen kann, steht auf einem anderen Blatt. Eine erfolgreiche Verwaltungsreform setzt voraus, dass man einerseits Gesprächsfähigkeit hat, dass man sein An liegen kommunizieren kann, aber auch, dass man eine gewisse Durchsetzungsfähigkeit hat. Bei aller Wertschätzung des Anliegens des Staatssekretärs scheint es nicht günstig, dass er im Außenministerium angesiedelt ist und dort keinen administrativen Unterbau hat. Er hat mittlerweile immerhin schon eine Ausschreibung für sein Büro gemacht. Das zeigt, dass er eigentlich keine Ressourcen hat. Damit startet er meines Erachtens schon relativ schlecht. Er hat sicherlich als Gastronom viel an Bürokratie erfahren, was allerdings nur ein kleiner Ausschnitt von Verwaltung insgesamt ist. Zu Hilfe kommt ihm, dass allgemein anerkannter Handlungsbedarf besteht. Es weiß jeder: Wir haben zu viel Bürokratie und wir müssen sparen. Bürokratie muss reduziert werden, um die Wirtschaft in Gang zu bringen. Das kommt ihm zu gute. Ich denke auch, dass in der Bundesverwaltung ein Verständnis für die Initiative gegeben ist.
Anwalt Aktuell: Warum ist die Bürokratie in Österreich eigentlich im Laufe der Jahrzehnte so gewaltig gewachsen?
Peter Bußjäger: Aus meiner Erfahrung hat es immer Wellenbewegungen gegeben. Man hat einer bestimmten Entwicklung zugeschaut und dann erkannt: So kann es nicht weitergehen! Dann hat man gewisse Reformmaßnahmen zumindest in Aussicht genommen, avisiert, manche auch umgesetzt. Dann hat man die Zügel wieder schleifen lassen. Darauf folgte das nächste Sparpaket und so weiter… Die Frage ist: Warum kommt es immer so weit? Einer der Faktoren liegt außer halb Österreichs. Ich habe den Eindruck, dass bestimmte Rechtssetzungen der Europäischen Union in den Mitgliedsländern nicht mehr recht beherrscht werden. Da entwickelt sich in den bürokratischen Stäben der Kommission eine Eigendynamik, gekoppelt mit den Spitzenbürokratien in den Mitgliedstaaten, die im Zusammenwirken mit den Fachbeamten auf Unionsebene mitunter Vorschriften durchsetzen, die sie auf der nationalen Ebene gegenüber ihren Politikern nicht mehr durchsetzen könnten. Zuweilen finden sich Mehrheiten, wie man es am Beispiel der Renaturierungsverordnung gesehen hat, auch in umstrittenen Fällen. Eine an sich gute Idee wird hier mit einem sehr hohen administrativen Preis bezahlt. Regulierungen dieser Art haben wir in den verschiedensten Bereichen wie Arbeitsrecht oder Umweltrecht immer häufiger. Sie werden in Österreich sehr eifrig umgesetzt. Daneben haben wir auf der nationalen Ebene ebenfalls genug Treiber von Bürokratie.
Anwalt Aktuell: Apropos. In der letzten Legislaturperiode wurden pro Tag zwei neue Gesetze durchs Parlament beschlossen. Wie soll sich ein Staatssekretär für Deregulierung dagegenstemmen? Methode Josef Moser: Mit jedem neuen Gesetz ein altes außer Kraft setzen?
Peter Bußjäger: Grundsätzlich ist mit einem modernen Staat zwangsläufig eine Gesetzesflut verbunden. Es gibt auch international bisher keine gangbaren Wege gegen diese Gesetzesflut. Auch der Europäischen Union gelingt es nicht. Die Variante, dass man mit Inkraftsetzung eines neuen Gesetzes ein altes aufhebt ist eine eher quantitative Maßnahme, aber keine qualitative. Was nützt es, wenn ich ein praktikables Gesetz habe – und ich komme mit einem neuen Gesetz daher, das beispielsweise sehr bürokratisch ist…? Das missverstehen heutzutage Leute, die sagen, neue Bauordnungen seien per se zu kompliziert. Sie sind mitunter weniger kompliziert als wenn ich ein einziges Gesetz über alle habe. Es kommt auf den Inhalt der Vorschriften an! Bürokratie muss reduziert werden, um die Wirtschaft in Gang zu bringen. Sinnvoller erscheint mir zum Beispiel die sogenannte „sunset legislation“, das heißt, dass man Gesetze mit einem Ablaufdatum versieht. Kurz vor Außerkrafttreten des jeweiligen Gesetzes muss man evaluieren, ob es etwas gebracht hat. Das würde zumindest die jeweilige Bürokratie zwingen, das nochmals anzuschauen.
Anwalt Aktuell: Kann der Staatssekretär für Deregulierung Anregungen in den Arbeiten des Österreich-Konvents finden?
Peter Bußjäger: Das ist eine Ebene zu hoch. Es ist sicher kein Fehler, wenn er ab und zu in die Verfassung schaut. Es wäre aber schon viel geholfen, wenn jede Gebietskörperschaft ihren Job macht. Wenn es dem Staatssekretär gelingt, eine Reihe von Bundesvorschriften zu deregulieren und bürokratisches Beiwerk herauszunehmen – Gewerbeordnung, Wasserrechtsgesetz, Umweltschutzvorschriften… – wäre schon viel gewonnen. In den Papieren des Österreich-Konvents gibt es darüber hinaus sicher viele Vorschläge, die noch ruhen. Zielgerichteter sind auf jeden Fall die 500 oder gar 600 Vorschläge des Rechnungshofes. Wichtig ist auf jeden Fall dann das politische und administrative Umfeld, das die Vorschläge zur Deregulierung sichten wird. Dieses muss jedoch, wenn es etwas bringen soll, mit einem gewissen Mut an die Sache herangehen. Was ich damit meine? Hinter all den Regulierungen stehen gewisse öffentliche Interessen. Manchmal muss man den Mut haben, einen Teil der Verantwortung den Bürgern und der Wirtschaft zu überlassen. Das wird nicht überall möglich sein, zum Beispiel bei Umweltschutzvorschriften oder beim Schutz von Nachbarn oder Arbeitnehmern…, aber braucht man das jeweils im kleinsten Detail? Würde uns nicht in bestimmten Fällen die Bescheinigung eines Ziviltechnikers reichen? Brauchen wir in jedem Fall eine behördliche Prüfung? Das sind die Dinge, wo man aus meiner Sicht am ehesten Aufwand einsparen kann. Es wäre eine Möglichkeit, zu sagen, wir nehmen hier und dort die Dichte der Regulierungen zurück und riskieren ein bisserl was, aber in einem Rahmen, der noch vertretbar ist.
Anwalt Aktuell: Wie beurteilen Sie die Initiative der Vorarlberger Landesregierung, eine eigene Stelle für Bürokratieabbau einzurichten? Wäre dies eventuell der effektivere Weg, die Deregulierung von unten, und nicht von oben anzugehen?
Peter Bußjäger: Die Vorarlberger Landesregierung hat sich dafür in den sozialen Medien auch den einen oder anderen Spott eingeholt. Neutral und objektiv betrachtet stellt sich für jede Regierung, die eine Verwaltungsvereinfachung angehen will, die Frage: Wie setze ich diesen Prozess auf? Meines Erachtens ist die Vorarlberger Initiative keine schlechte Idee, wenn man einen Experten oder eine Expertin so ansiedelt, dass die se Person nicht unbedingt im Fachapparat sitzt, sondern sich das Ganze aus einer leicht externen Position anschau. Wenn die Person fachlich qualifiziert ist, kann ich mir einen Mehrwert tatsächlich vorstellen. Im Dialog zwischen dem Rechtsetzer und dieser neutralen externen Person könnte sich das eine oder andere Positive ergeben. Wichtig ist jeden falls, dass man auch diese Stelle evaluiert, beispielsweise mit der Frage, ob Vereinfachungsvorschläge tatsächlich ins Gesetz eingeflossen sind. Die Kernfrage lautet: Hat sich in der Praxis etwas verändert?
Anwalt Aktuell: Als Verfassungs- und Verwaltungsrechtler sind Sie seit Jahrzehnten Beobachter auch der Bürokratie-Entwicklung. Was trauen Sie den Initiativen zur Deregulierung zu, und in welchen Zeiträumen?
Peter Bußjäger: Grundsätzlich möchte ich unserer Verwaltung attestieren, dass sie gut funktioniert. Sie ist eine im Wesentlichen saubere und korruptionsfreie Verwaltung, die ihre Aufgaben erledigt, manchmal vielleicht ein bisschen zu schwerfällig. Bei den neuen Möglichkeiten der Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz scheint sie mir noch zu vorsichtig. Das Problem sind die Rechtsvorschriften, die dieser Verwaltung sehr viele Steine in den Weg legen. Hier muss man ansetzen. Die Frage lautet: Haben wir den Mut, mehr Eigenverantwortung zuzulassen? Im Wissen, dass das manchmal auch danebengehen kann. Wenn ich an die bisherigen Erfahrungen mit De regulierungsversuchen denke, müsste ich sagen: Ich bin skeptisch. Dennoch bleibe ich optimistisch und sage: Die Erfahrungen allein können die Zukunft nicht determinieren.
Anwalt Aktuell: Herr Professor Bußjäger, danke für das Gespräch.