FALL „ANNA“. Dass ein Richter für den Freispruch Jugendlicher medial beschimpft und persönlich bedroht wurde, eröffnet in Österreich eine neue Ära. Die während der ÖVP-FPÖ-Regierung begonnene Verunglimpfung von Gerichten durch Politiker:innen erreicht damit einen ersten kritischen Höhepunkt. Die Justizministerin verschärft den Zweifel an den Gerichten dadurch, dass sie den rundherum angefeindeten Richter zusätzlich dadurch schwächt, indem sie eine Weisung zur Nichtigkeitsbeschwerde gegen sein Urteil erlässt.
Dietmar Dworschak
Herausgeber & Chefredakteur
Für den Richter, der die Jugendlichen im „Fall Anna“ freigesprochen hat, gilt sie nicht, die Unschuldsvermutung, mit der jedes Medium im Lande sich am Ende eines Artikels scheinbar aus der Affäre zieht. Viele Print- und audiovisuelle Medien haben ihn quasi rechtskräftig schuldig gesprochen. Mit ihnen gemeinsam die übliche Horde von Leserbriefschreiber:innen und Kommentatoren in den sozialen Medien. Volkes Stimme hat wieder einmal in übelster Weise gerülpst. Doch diesmal wird eine der wichtigsten Säulen unserer Demokratie, die unabhängige Gerichtsbarkeit, attackiert. Nachdem sich die Nebel der heftigen medialen Angriffe langsam lichten und man nüchtern auf den Tatort Gericht schauen kann, er kennt man, was die Zutaten für die Attacke waren: Unterschlagung von Information, bewusste Auslassung von Fakten, Hetze statt Wahrheit. Eines der wenigen seriös berichtenden Medien, die „Wiener Zeitung“, schreibt: „Da die Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren allerdings nicht nachweisen konnte, dass die Angeklagten vom wahren Alter des Mädchens wussten, stand keiner der zehn Jugendlichen wegen sexuellen Missbrauchs vor Gericht. Anders als Boulevardberichte über eine angebliche ,Gruppenvergewaltigung‘ nahelegten, waren die zehn Jugendlichen auch nicht mit Vergewaltigungsvorwürfen konfrontiert…“
Klarstellen oder „nachschärfen“?
Jeder Journalist, jede Journalistin hätte dies wissen können. Aus dem Schielen auf die fette Schlagzeile entstand jedoch eine hässliche Krümmung der Objektivitätslinse. Statt sich um eine vernünftige Einordnung der Tatsachen zu kümmern, wurde auch in der Politik „nachgelegt“. In der zunehmend salonfähiger gewordenen Gewohnheit des „Justiz-Bashing“ kommentierte Verteidigungsministerin (!) Tanner das Urteil: „Es kann nicht sein, dass Vergewaltiger mit milden oder gar keinen Strafen davonkommen.“ Darauf empfahl der Linzer Rechtsprofessor Meinhard Lukas, Regierungsmitglieder sollten „nicht in einer ersten Reaktion darüber nachdenken, ob ein Gesetz zu ändern oder eine Weisung an die Staatsanwaltschaft zu erteilen ist.“ Und fügte hinzu: „Immerhin geht es um die gemeinsame Verantwortung für den Rechtsstaat.“
Auch der Präsident des OLG Innsbruck, Klaus-Dieter Gosch, richtete klare Worte in Richtung Politik: „Niemand ist fehlerlos. Aber so wie das jetzt in Wien passiert ist, dass da von unqualifizierten Politikern massive Kritik an einem unabhängigen Urteil kommt, das schadet dem Rechtsstaat.“ Von den Medien und einschlägigen Politikerstatements ermutigt machen sich in sozialen Medien immer stärker Absender von Hasspostings wichtig. In ihre Richtung wendet sich Katharina Lehmayer, die Präsidentin des OLG Wien: „Es kann nicht sein, dass Richter, die Gesetzte ausführen, mit dem Tod bedroht werden. Dagegen wer den wir uns wehren.“ Angesichts der eher harmlosen Urteile, die Gerichte in diesen Fällen verhängen, kann man nur hoffen, dass in dieser Causa, die den eigenen Berufsstand betrifft, endlich einmal so geurteilt wird, dass der Haßgemeinde einmal Hören und Sehen vergeht.
Ende der Defensive?
Parallel zur steigenden Salonfähigkeit von Politik-Attacken und Angriffen in sozialen Medien nimmt auch die Bedeutung der sogenannten Litigation-PR ständig zu. Die Richterschaft ist also mit drei Kommunikationskräften konfrontiert, die nicht nur Urteile, sondern auch schleichend die Gerichtsbarkeit angreifen. Im Gegensatz beispielsweise zu Deutschland, wo seit Jah ren planmäßig die Informationskompetenz seitens der Gerichte gestärkt wurde, sind die Stimmen von Gerichtssprecher:innen in Österreich noch ziemlich kleinlaut. Richter:innen-Präsident Gernot Kanduth meint tapfer: „Wir öffnen uns und versuchen, Urteile zu erklären. Dazu werden auch Ressourcen eingesetzt. In der allgemei nen Sparsituation, in der wir uns befinden, ist es zwar schwierig, hier absolut notwendige Investitionen zu rechtfertigen. Dennoch zeigen die Vorgänge nach dem gegenständlichen Urteil, dass es wichtig ist, begleitend medial zu arbeiten, nicht nur in klassischen Medien, son dern auch auf sozialen Plattformen.“ (siehe Seite 10 – 12). So wie die Dinge stehen, sieht es nicht so aus, dass sich Richterinnen und Richter chancengleich gegen Attacken wie im „Fall Anna“ erfolg reich zur Wehr setzen können. Auch in Zukunft gilt hier das „Prinzip Hoffnung“ anstelle konsequenter Informationspolitik. Dem Rechtsstaat wäre zu gönnen, dass spürbare Investitionen in die Medienarbeit der Gerichte zu einer Chancengleichheit in der Kommunikation führen.
