„Jetzt ist die Zeit für eine große Strafrechtsreform“

GROSSE BAUSTELLEN. Der Salzburger Strafrechtsprofessor Hubert Hinterhofer sieht mehrere wichtige Themen für eine grundsätzliche Reparatur des österreichischen Strafrechts. Er nennt etwa das richtungsweisende Urteil des VfGH zur Handy-Sicherstellung, Amtsmissbrauch und Kandidatenbestechung, die Informationsweitergabe im Rahmen von Ermittlungsverfahren oder die Geschworenengerichtsbarkeit.

Interview: Dietmar Dworschak 

Anwalt Aktuell: Herr Professor Hinterhofer, im Dezember hat der Verfassungsgerichtshof festgestellt, dass die Hürden zur Beschlagnahmung von Handys und Datenträgern zu niedrig sind. Der VfgH fordert eine davor stattfindende richterliche Genehmigung. Können Sie diese Entscheidung nachvollziehen?

 

Hubert Hinterhofer: Die Entscheidung ist voll überzeugend. Die Bedenken, die die Entscheidung offenlegt, bestehen meines Erachtens zurecht, und zwar nicht nur wegen der fehlenden richterlichen Bewilligung, sondern weil der Grundrechtseingriff unabhängig davon schon unverhältnismäßig wäre. In der Entscheidung werden dem Gesetzgeber zusätzlich zur richterlichen Bewilligung weitere Aspekte nahegelegt, die er bei der Neuregelung berücksichtigen muss. Es muss ein Ausgleich hergestellt werden zwischen dem Interesse der Strafverfolgung und den Grundrechten, die bisher massiv betroffen sind.

 

Anwalt Aktuell: War das ein Vergangenheitsfehler des Gesetzgebers oder hat sich die Exekutive einfach zu viel herausgenommen?

 

Hubert Hinterhofer: Die Exekutive war gesetzmäßig unterwegs. Als man 2008 die Sicherstellungsbestimmungen einführte, hatte man die mögliche Tragweite noch nicht vor Augen. Es ging damals wesentlich um die Sicherstellung von Objekten, klassisch gesagt: von Akten. Die Möglichkeiten, die die Datenträger mittlerweile haben, z.B. mit I-Cloud, die sich erst nach 2008 ins Spiel gekommen, sodass die volle Grundrechtsdimension, die man dann mit den Smart-Phones, I-Pads usw. bekommen hat, die hat sich erst später ergeben.

Man könnte natürlich kritisieren, dass auf eine Entscheidung des VfGH gewartet wurde, um etwas eklatant Grundrechtswidriges zu reparieren. Das ist natürlich schon problematisch.

Das Problem ist ja nicht nur das Grundrecht des Betroffenen, wie wir es bei der I-Cloud haben, es sind ja auch andere - die mir einen Text oder ein Bild schicken -  von dieser Sicherstellung mit betroffen, ohne dass sie wissen, dass ihre Inhalte in einem Strafakt liegen, mit dem sie gar nichts zu tun haben.

 

Anwalt Aktuell: Werden die Ermittlungsbehörden durch diese VfGH-Entscheidung nicht unnötig eingeschränkt?

 

Hubert Hinterhofer: Natürlich wird es eine Einschränkung sein. Aber eine Einschränkung zugunsten des Grundrechtschutzes. Da gibt es ja den Preis“. Und ich glaube, der ist bei diesem Thema sehr sehr virulent es eine Sicherstellung von Datenträgern in Zukunft nicht mehr geben wird. Es wird sie halt unter bestimmten, einschränkenden Voraussetzungen geben. Und wenn der Gesetzgeber eine kluge Regelung macht, die grundrechtskonform ist, dann wird es auch weiterhin Handy-Sicherstellungen geben. Man muss eben Begleitmaßnahmen haben. Ich muss wissen: in welchem Umfang wird sichergestellt, wie lange? Was braucht man nicht - was muss man ausscheiden? Es muss eine Kontrolle geben, ob das korrekt gemacht wird. 

Wir kennen diese Dinge ja schon aus der Nachrichtenüberwachung. Da gibt es einen grundrechtskonforme Regelung: nur bei schweren Straftaten, angemessene Begleitung etc.

Das wird wahrscheinlich mehr oder weniger in die Handysicherstellung übernommen werden müssen, und dann geht’s eh wieder weiter.

 

Anwalt Aktuell: Woran soll sich ein Richter oder eine Richterin bei der Entscheidung künftig orientieren, wenn ein Handy zu beschlagnahmen ist? Wäre die Höhe der Strafdrohung ein Kriterium?

 

Hubert Hinterhofer: Das wäre sicher ein mögliches Kriterium. Im Grunde ist die Handysicherstellung ohnehin schon eine Nachrichtenüberwachung. Es werden ja nicht nur die Informationen selber am Handy ausgelesen, sondern auch die Cloud, an sich das ganze Leben des Betroffenen. Damit sind wir ja mehr oder weniger bei einer Online-Durchsuchung, sodass man jene Voraussetzungen, die man für die Nachrichtenüberwachung erfüllen muss, übernehmen könnte. Daran wird sich der Richter oder die Richterin zu orientieren haben. Es wird mit den Strafdrohungen alleine aber nicht reichen.

 

Anwalt Aktuell: Staatsanwälte und Staatsanwältinnen fordern, dass die Beschlagnahme bei bestimmten Delikten einfacher erteilt werden sollte, etwa bei Kindesmissbrauch, organisierter Kriminalität oder Drogendelikten. Ginge so etwas?

 

Hubert Hinterhofer: Ich habe mit der richterlichen Erlaubnis, wie sie derzeit gehandhabt wird, ohnehin meine Probleme, weil das ein Stempel ist, und die Richterinnen und Richter in 99 Prozent der Fälle die Anordnung der Staatsanwaltschaft übernehmen. Das ist ja nicht der Sinn und Zweck einer richterlichen Begründung.

Man kann jetzt diskutieren, ob man bei machen schweren Kriminalitätsformen auf diese richterliche Bewilligung verzichtet, um die Ermittlungsarbeiten schneller vorantreiben zu können. Aber: Wenn es eine richterliche Genehmigung sein muss, dann bitte eine echte!

Derzeit ist es ein Durchläufer. Und das ist ja nicht im Sinne der Sache. Eine schriftliche Begründung durch das Gericht ist für mich das mindeste.

 

Anwalt Aktuell: Stellt der Spruch des VfGH nicht einen markanten Einschnitt im Rechtsgeschehen dar, jedenfalls unter dem Aspekt, dass die Aufklärung einer Reihe politischer Missbrauchsfälle nur durch die einfache Beschlagnahme von Handys möglich war? Dürfen sich künftige Missetäter jetzt schon freuen?

 

Hubert Hinterhofer: Natürlich ist es praktisch so gelaufen. Aber auch da ist festzuhalten: Wenn ein Strafverfahren auf einem grundrechtswidrigen Eingriff basiert, dann ist es eines Rechtsstaats nicht würdig, dass er das weiter so macht. Was bisher war ist aufgrund einer Norm passiert, sicher nicht gesetzwidrig. Aber es jetzt noch so weiterrzumachen wäre für mich ein Rechtsstaatsbankrott. Ich gebe Ihnen recht: Es ist ein massiver Einschnitt, und zwischen den Zeilen kann man aus der VfGH-Entscheidung auch herauslesen, dass die richterliche Bewilligung eine begründungspflichtige ist. Auch der VfGH hat mit dem Stempelsystem so seine Probleme. Der Einschnitt ist für mich ein rechtsstaatlich erforderlicher.

 

Anwalt Aktuell: Thema Strafrecht. Bisher war das Strafmaß bei Bilanzverschleppung oder Bilanzfälschung, vornehm gesagt: unternehmensfreundlich. Die Justizministerin kann sich als Reaktion auf die Signa-Pleiten nun vorstellen, dass verspätete Bilanzen mit bis zu 5% des Jahresumsatzes des jeweiligen Unternehmens bestraft werden. Ist das verhältnismäßig oder Anlassgesetzgebung?

 

Hubert Hinterhofer: Das halte ich für Anlassgesetzgebung, wie so oft. Wir haben etwa im Zusammenhang mit „Ibiza“ die Kandidatenbestechung ins Gesetz bekommen. Ändert an „Ibiza“ aber auch nicht mehr. Wir haben ja bereits Bilanzdelikte, die eine Handhabe geben.

Die Verschleppung der Bilanz war bisher kein Delikt. Dass man es jetzt aufgrund einer Anlassfalles zum Gesetz macht, halte ich für etwas plakativ.

 

Anwalt Aktuell: Thema Geschworenengerichtsbarkeit. Aus Anwaltskreisen, aber auch von der Geschworenenseite hört man immer öfter Unmut an diesem System. Was spricht für und was spricht gegen die Geschworenengerichtsbarkeit?

 

Hubert Hinterhofer: Für die Geschworenengerichtsbarkeit spricht nichts, das ist meine Position. Es spricht vielleicht einzig und allein die Historie dafür. Wir haben dieses System seit 1873. Damals hatte man aus der Zeit der Aufklärung historisch einen großen Respekt bzw. Argwohn und Misstrauen gegenüber den Obrigkeiten, inklusive Gerichten. Man sagte damals: Wir müssen das Volk in die Gerichtsbarkeit hineinbringen, es muss bei der Strafgerichtsbarkeit mitwirken, als „Kontrolle der Mächtigen“.

Man muss aber sagen, dass sich das überholt hat. Wir können den Berufsrichtern, die wir haben, vertrauen. Die alte Regelung steht aber immer noch in der Verfassung.

Gegen die Geschworenengerichte spricht eine ganze Menge. Mein Hauptproblem bei den Geschworenengerichten ist, dass wir bei den schwersten Delikten keine Begründung des Schuldspruches haben. Die Geschworenen entscheiden mit "ja" oder "nein" auf ihnen vorgelegte Fragen. Das ist es.

Das heißt, gleichzeitig führt diese Begründungslosigkeit auch dazu, dass Geschworenenurteile de facto unanfechtbar sind, vor allem in der Beweiswürdigung, denn diese findet nicht statt. Jetzt habe ich die groteske Situation, dass bei den schwerstwiegenden Straftaten unbegründete und unanfechtbare Urteile produziert werden, während gegen jedes Bezirksgerichtsurteil etwa wegen Ladendiebstahl volle Berufung möglich ist. Für mich ist das rechtsstaatlich untragbar.

Punkt zwei: Die Geschworenen sind ja überfordert. Die Delikte werden immer komplexer, und die Geschworenen sind allein für den Spruch verantwortlich. Das ist eine Riesenbürde. Viele wollen diese Bürde gar nicht mehr. Man kann sich dieser Bürde zwar entziehen, was dazu führt, dass man als Geschworene jene findet, die halt Zeit haben. Es gibt auch Sorge vor Repressalien. Man sitzt als Geschworener einsichtig da, ihre Adressen stehen im Akt. Manchen ist gar nicht wohl dabei wenn sie jemanden verknacken.

 

Anwalt Aktuell: Wer kann uns von der Geschworenengerichtsbarkeit befreien?

 

Hubert Hinterhofer: Leider nur eine Zweidrittelmehrheit im Parlament. Man könnte jetzt, wie in Deutschland, versuchen, aus den Geschworenengerichten große Schöffengerichte zu machen, mit zwei Berufsrichtern und drei Laienrichtern. Mit gemeinsamer Entscheidungsbefugnis, mit gemeinsamer Begründungspflicht. Was da in Deutschland funktioniert kann für uns ja auch nicht viel schlechter sein. Die Frage ist, ob dies noch verfassungskonform wäre. Ansonsten müsste man tatsächlich eine Konstellation mit einer Zweidrittelmehrheit finden, was politisch derzeit nicht opportun sein dürfte. Keine Regierungspartei würde dies angehen.

Sie haben vorhin die Anwälte angesprochen. Auch in Richterkreisen sind die Geschworenenverfahren nicht beliebt.

 

Anwalt Aktuell: Sie haben sich in letzter Zeit intensiver mit Amtsmissbrauch, Untreue und Korruption beschäftigt. Welchen Stellenwert haben diese Delikte in Österreich?

 

Hubert Hinterhofer: Um die Untreue, muss man ehrlicherweise sagen, ist es ein bisschen ruhiger geworden. Da gab es in den letzten Jahren bereits grundlegende Urteile, beispielsweise Finanzskandal Salzburg etc. Da gibt es in letzter Zeit kaum mehr spannende Urteile, dieser Hype ist abgeklungen, es gibt eine gewisse Rechtssicherheit durch OGH-Entscheidungen. Bei Amtsmissbrauch gibt es das Phänomen, dass die Schärfe dieses Delikts bei Beamten und Bürgermeistern nicht ganz bekannt ist, wie mir scheint. Wenn man in gewisse Vorgänge hineinschaut, ist ein Amtsmissbrauch vorliegend, für den es strafrechtliche Konsequenzen geben kann. Das Bewusstsein des Amtsmissbrauch in seinem großen Umfang ist vielfach nicht vorhanden. Das halte ich für ein großes Problem.

Bei der Korruption ist es in der Praxis relativ ruhig. Die Strafandrohung mit der Kandidatenbestechung, Stichwort „Ibiza“, leidet an äußerst unbestimmten Formulierungen und ist mehr als vage, Stichwort wieder "Anlassgesetzgebung".

 

Anwalt Aktuell: Wie beurteilen Sie den Bedarf an einer großen Strafrechtsreform? Oder ist es richtig, dass in einer schnelllebigen Zeit, wie wir sie haben, anlassbezogen und stückweise repariert wird? Oder braucht man einen großen Wurf?

 

Hubert Hinterhofer: Es wird bereits anlassbezogen und stückweise repariert, und trotzdem braucht es einen großen Wurf. Jetzt ist die Zeit dafür ganz gut. Wir haben das aktuelle Verfassungsgerichtsurteil, das bei den Sicherstellungsmaßnahmen einiges ändern wird, wir haben das Thema Ermittlungsverfahren und Medienarbeit. Wenn man sich anschaut, wie derzeit aus Ermittlungsakten umfassend zitiert und berichtet wird, muss man sagen, dass die Unschuldsvermutung praktisch ins Gegenteil verkehrt wird. Es ist relativ egal, ob jemand danach freigesprochen wird oder nicht, er ist durch die Berichterstattung über das Ermittlungsverfahren schon beschädigt. Eigentlich gehört auch das Geschworenenverfahren zur großen Strafrechtsreform. Was nie erwähnt wird, ist die Reform des Hauptverfahrens. 

Für mich ist jetzt der richtige Zeitpunkt, dass die Koalition im Angesichts der anstehenden Wahlen in Sachen Strafrechtsreform noch punktet.

 

Herr Professor Hinterhofer, danke für das Gespräch.